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15:32 Uhr, 10.01.2024

Raffelhüschen: Zuwanderung ist ein fiskalisches Minusgeschäft

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - Die Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland kann nach Aussage des Volkswirts Bernd Raffelhüschen die fiskalischen Auswirkungen des demografischen Wandels nicht kompensieren. Wie Raffelhüschen in einer für die Stiftung Marktwirtschaft aufgestellten Generationenbilanz vorrechnet, könnte Deutschland durch eine gezieltere Auswahl von Einwanderern die negativen fiskalischen Folgen der Migration allenfalls abmildern. Der deutsche Staatshaushalt sei insgesamt nicht nachhaltig, sondern verspreche seinen Bürgern mehr Leistungen, als diese über ihren Lebenszyklus finanzieren könnten, befindet der Ökonom.

Folgende Szenarien macht der Professor der Universität Freiburg auf:

1. Fortschreibung des Status Quo

Die Integration von jährlich 293.000 Einwanderern dauert laut der Modellannahme sechs Jahre, was dazu führt, dass sie netto weniger in die Sozialkassen einzahlen als Einheimische. Das führt zu einem Anstieg der Nachhaltigkeitslücke von 447,8 auf 497,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). (In einem hypothetischen Szenario ohne künftige Migrationsströme läge die Nachhaltigkeitslücke Raffelhüschen zufolge bei 347,4 Prozent.)

2. Bessere Qualifikationsstruktur der Migranten

Falls der Staat mit migrationspolitischen Maßnahmen dafür sorgen würde, dass die Hälfte der Einwanderer über eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss verfügt, würde das die Nachhaltigkeitslücke um 64 Prozentpunkte senken.

3. Förderung zusätzlicher Arbeitsmigration

Gegenüber der Nettomigration von 293.000 Personen im Referenzszenario wird in diesem Szenario eine zusätzliche Zuwanderung von 109.000 Personen mit einer höheren Qualifikation (Berufsausbildung, Hochschulabschluss) angenommen, wodurch sich die Nachhaltigkeitslücke um 39,5 Prozentpunkte verringern würde.

4. Kombination beider Maßnahmen

Zwar ergäbe sich ein positiver fiskalischer Effekt von 127,7 Prozent des BIP, insgesamt bliebe die fiskalische Bilanz der Migration jedoch bei minus 22,0 Prozent des BIP. "Somit zeigt sich, dass die negative fiskalische Bilanz der Zuwanderung insbesondere auf die ungesteuerte und irreguläre Migration zurückzuführen ist", konstatiert Raffelhüschen.

Die Analyse der betrachteten Migrationsszenarien zeigt nach seiner Aussage, dass eine Erhöhung der Zuwanderung nicht ausreicht, um die Nachhaltigkeitslücke zu schließen. Es verblieben Nachhaltigkeitslücken zwischen 369,4 und 457,6 Prozent des BIP. Selbst eine erfolgreiche Zuwanderungspolitik könne daher eine Anpassung der staatlichen Leistungen, insbesondere der altersspezifischen Sozialausgaben, nicht ersetzen: "Der Sozialstaat in seiner jetzigen Form ist auf Dauer weder für die in Deutschland lebende Bevölkerung noch für Zuwanderer bezahlbar", resümiert Raffelhüschen.

Seine Darstellung beschränkt sich allerdings auf die direkten Auswirkungen der Einwanderung auf die Sozialkassen. Sie berücksichtigt beispielsweise nicht die negativen Effekte ausbleibender Migration für die Arbeitsmärkte und damit auch den Fiskus. Raffelhüschen weist seit Jahren auf die implizite Staatsschuld im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung hin und plädiert für eine ergänzende kapitalmarktbasierte Rente.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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