Kommentar
20:00 Uhr, 23.07.2008

Probleme bei Finanzwerten noch nicht ausgestanden

Für eine Weile hatte es den Anschein, als hätten sich die Märkte beruhigt. Seit Mitte Mai reißen die Negativmeldungen aus dem Finanzsektor jedoch nicht ab. Erneute Abschreibungen, zusätzliche Aktienemissionen, Finanzierungsschwierigkeiten, Herunterstufung der Ratings, Dividenden fallen aus, unerwartet hohe Verluste, die Immobilienpreise im freien Fall in den USA und Großbritannien – nahezu täglich wartet der Finanzsektor mit neuen „Schreckensmeldungen“ auf. Altaktionäre sind besonders betroffen: Nicht nur fallen die Dividenden aus, sondern zusätzliche Kapitalerhöhungen führen zu einer Verwässerung der Gewinne je Aktie.

Wir sind daher vorsichtig, was die Aktien von Finanzinstituten betrifft. Wir setzen auf Banken mit soliden Refinanzierungsquellen (z. B. starkes Einlagengeschäft) sowie Banken, die von der Wachstumsdynamik in den Schwellenländern profitieren. Zurzeit ziehen wir (Investment-Grade-) Unternehmensanleihen von Finanzdienstleistungsunternehmen Aktienwerten vor. Nach unserem Dafürhalten haben sich die Spreads (Risikoaufschlag auf Staatsanleihen) bei Corporate Bonds im Verhältnis zum von uns eingeschätzten Risiko zu stark ausgeweitet. Nichtsdestotrotz werden die Unternehmensanleihemärkte von Liquiditätsproblemen und trüber Stimmung heimgesucht. Die kommende Berichtssaison sollte die Situation im Finanzsektor etwas erhellen. In dieser Focus-Ausgabe umreißen wir unsere Prognosen für die aktuelle Entwicklung dieses Sektors bei Aktien und Anleihen.

Banken im Kapitalrausch

Das wahre Ausmaß der Kreditkrise hat sich erst im Laufe des vergangenen Quartals gezeigt. Zahlreiche Finanzinstitute haben bereits in großem Umfang Not leidende Kredite und Investments abgeschrieben. Zur Refinanzierung ihrer finanziellen Sicherheitspuffer suchen sie jetzt ihr Heil am Kapitalmarkt. Bloomberg-Daten zufolge wurde auf diese Weise im zweiten Quartal 2008 weltweit neues Kapital in Höhe von 110 Milliarden Euro aufgenommen, davon 58,8 Milliarden Euro allein in Europa. Dies war in vielen Fällen mit der Ausgabe neuer Aktien verbunden und führte damit zu einer erheblichen Verwässerung der Beteiligungen von Altaktionären.

Gegenüber dem ersten Quartal, als weltweit Neukapital in Höhe von 56,6 Milliarden Euro eingeworben wurde (16,6 Milliarden Euro in Europa), hat sich der Rekapitalisierungsprozess damit erheblich beschleunigt. Staatliche Investmentfonds (besser bekannt unter der Bezeichnung „Sovereign Wealth Funds“ (SWFs) haben bereits großes Interesse an den Aktienemissionen angemeldet. So verschaffte sich das britische Bankhaus Barclays im Juni über eine Kapitalerhöhung im Werte von 1,8 Milliarden Pfund eine Kapitalspritze aus dem ölreichen Katar. Auch andere Institute sammelten frisches Kapital aus Asien und dem Nahen Osten ein.

Es überrascht daher nicht, dass der Finanzsektor unter diesen Bedingungen nur enttäuschend abschneidet. Weltweit fielen Finanzaktien im zweiten Quartal um durchschnittlich 12 Prozent; damit haben diese Titel im bisherigen Jahresverlauf um fast 29 Prozent nachgelassen. Seit seinem Höchststand im April 2007 gab der MSCI World Financials Kursindex im Durchschnitt um 43 Prozent nach (auf Euro-Basis).

Kreditportfolios weiter unter Druck

Die Zunahme der Kapitalspritzen im zweiten Quartal hängt eng mit dem fortgesetzten Verfall der Kreditmärkte rund um den Globus zusammen. Der anhaltende Niedergang des US-Immobilienmarktes führte zu steigenden Verlusten in den Hypothekenportfolios, die mittlerweile von Subprime nicht nur in das nächsthöhere Segment „Alt-A“, sondern auch ins „Prime“- Segment übergegriffen haben. Laut dem Case/Shiller-Hauspreisindex vom April fiel der Durchschnittspreis von Immobilien in den 20 größten USStädten annualisiert um 15,3 Prozent. Damit rutschen diese Preise schneller als in den Vormonaten, und ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Hinzu kommen steigende Abschreibungen auf risikoreiche Unternehmenskredite („Leveraged Loans“), die in den letzten Jahren von Banken auf der Suche nach höheren Renditen ausgegeben wurden. Im gegenwärtigen Umfeld ist es natürlich weitaus schwieriger, Portfolios mit Problemkrediten abzustoßen. Verluste bei der Liquidierung von Positionen sind daher unvermeidlich. Auch bei den Außenständen für Verbraucherkredite (Kreditkarten und Privatdarlehen) ist eine anhaltende Verschlechterung zu beobachten, da die hohen Treibstoffpreise die Privateinkommen zunehmend belasten. Ein weiterer Faktor ist, dass zahlreiche Banken sich bei Spezialkreditversicherern, so genannten Monolinern, gegenüber den mit komplexen Derivaten verbundenen Risiken versichert hatten. Auch diese Versicherer müssen jetzt Verluste hinnehmen; in vielen Fällen wurde ihr Kreditrating bereits herabgestuft. Da dies wiederum zu einer Minderung des Wertes der entsprechenden Versicherungspolicen führt, müssen Banken abermals Abschreibungen vornehmen.

Abbau der Fremdverschuldung noch nicht abgeschlossen

Die Finanzdienstleistungshäuser reagieren mit Kostensenkungen auf die Probleme, häufig durch Stellenabbau. Gleichzeitig sehen sie sich gezwungen, ihre Fremdverschuldung zu reduzieren, indem sie demgegenüber den Eigenkapitalanteil ausbauen. Der Anteil der Fremdmittel an der Bilanzsumme sinkt dadurch. Dazu bedient man sich Kapitalerhöhungen, Verkauf von Unternehmensanteilen und Verzicht auf Dividendenausschüttungen. Beim Deleveraging handelt es sich indes um einen langwierigen Prozess, der sich über mehrere Quartale hinziehen kann. Dies hat natürlich auch Folgen für die erwarteten Kapitalrenditen. Für die Finanzdienstleister geht es hier nicht nur um eine massive Beschneidung ihrer profitabelsten Tätigkeiten. Gleichzeitig müssen die Banken ihre Aktivitäten über eine Zunahme des teureren Eigenkapitals finanzieren. Insofern bemühen sich die Aktienmärkte derzeit, auszuloten, welche Kapitalrenditen mittelfristig bei Banken machbar sind.

Bei Finanzaktien bleiben wir untergewichtet

Auf den ersten Blick erscheinen die Bewertungen im Hinblick auf KGVs, Buchwerte und Dividendenrenditen niedrig und damit attraktiv. Inwieweit das strukturelle Ertragsniveau angemessen ist, bleibt jedoch abzuwarten. Ein weiterer wunder Punkt sind die Dividenden. Aus diesem Grunde halten wir bis auf weiteres an unserer untergewichteten Position fest. Unsere Positionierung ist auf Banken mit starkem Einlagengeschäft, die daher weniger dem Risiko finanzieller Schwierigkeiten ausgesetzt sind (vor allem asiatische Banken), und Banken mit Engagement in den wachstumsstarken Schwellenländern ausgerichtet. Die Gewichtung britischer Banken haben wir angesichts des gebeutelten Immobilienmarktes in Großbritannien heruntergefahren.

Autor: Bert Veldman, Senior Investment Manager Global Equity bei ING Investments

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