Kommentar
12:33 Uhr, 01.03.2013

Politische Krise ja, Finanzmarkt-Krise nein!

Italien ist nach den Wahlen zum politischen enfant terrible der Eurozone avanciert. Denn im Abgeordnetenhaus hat zwar das Mitte-Links-Bündnis von Euro-Befürworter Bersani das Sagen, im gleichberechtigten Senat jedoch werden die Euro-kritischen Parteien Berlusconis und die Beppe Grillos eine vernünftige Regierungsarbeit vereiteln. Italien sieht insofern einer politischen Lähmung entgegen, an deren Ende Neuwahlen stehen. Ein dann möglicherweise noch deutlicheres Votum der Euro-Skeptiker gegen Sparmaßnahmen und weitere Reformen ist zu befürchten.

Die Rating-Agenturen reagierten sofort auf die bevorstehende politische Hängepartie. So droht Moody’s bereits mit einer Herabstufung der ohnehin angeschlagenen italienischen Kreditwürdigkeit. Zudem macht sich die aufkeimende politische Unsicherheit in Form gestiegener Renditen am italienischen Staatsanleihemarkt bemerkbar. Vom in diesem Jahr niedrigsten Niveau Mitte Januar bis zum aktuellen Zeitpunkt zeigen die italienischen Staatsanleiherenditen über die gesamte Zinsstrukturkurve eine Parallelverschiebung bis zu einem Prozentpunkt.

Die Angst vor Ausstrahleffekten spiegelt sich auch an anderen euroländischen Finanzmärkten wider. So sind nicht nur die Risikoaufschläge 5-jähriger italienischer, sondern auch spanischer zu deutschen Staatsanleihen im Trend angestiegen. An den Finanzmärkten wird kaum eine Unterscheidung zwischen diesen beiden prekären Euro-Ländern getroffen, schließlich hat auch Spaniens zumindest reformwilliger Regierungschef Rajoy mit politischem Gegenwind und dem Risiko vorgezogener Neuwahlen zu kämpfen.

Aber die EZB steht bereit

So droht die unsichere politische Situation in Italien und Spanien der ohnehin blutleeren Reformbewegung in Euroland ein Ende zu setzen. Auch Frankreich ist vom Reformzug schon abgestiegen. Die Reaktion der Privatwirtschaft zeigt sich bereits. Mit einer fortschreitenden Schwächung der Wirtschaftsbedingungen werden Unternehmensinvestitionen zunehmend ausbleiben. Davon ist dann auch der Export negativ betroffen. Genau dies ist ja seit 2011 das Problem des Wirtschaftsstandorts Euroland.

An den fünf Fingern einer Hand lässt sich abzählen, dass kein Weg an einer Weiterführung der verschuldungsgetriebenen Konjunkturpolitik vorbeiführt, um überhaupt noch Wirtschaftswachstum zu erreichen.

Die staatliche Ersatzbefriedigung für privatwirtschaftliche Investitionen lässt daher wie in einem Teufelskreis die Staatsverschuldung immer weiter steigen. So hat Italien einen gewaltigen Refinanzierungsbedarf zu stemmen. Allein 2013 liegt dieser bei rund 311 Mrd. Euro. Hinzu kommen jedoch noch neue Schulden.

Um einen Schulden-GAU zu verhindern, bleibt der EZB nichts anderes übrig, als ihre Rendite drückende Geldpolitik fortzuführen. So betonte Draghi nach der italienischen Wahl bereits, dass die EZB weit entfernt von einem Ausstieg aus ihren Stimulierungsmaßnahmen ist. Die bisher nur verbal angekündigten, unbegrenzten Aufkäufe von Staatsanleihen werden also im Bedarfsfall tatsächlich getätigt. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass sich Empfängerländer dann Gegenleistungen beugen werden. Das Krisenpotenzial von Italien und auch Spanien als Schuldnernationen kann durchaus als Drohkulisse bzw. Instrument der Gefügigmachung eingesetzt werden.

Noch ist es nur ein Fiskalisches Klippchen

Bis jetzt konnten sich in den USA Demokraten und Republikaner nicht auf eine einvernehmliche Lösung zur Abwendung der automatischen Ausgabenkürzungen im US-Haushalt einigen. Bis zum Ende des Haushaltsjahrs im September sind nun - wenn man sich die tatsächlich stattfindenden und nicht nur politisch missbrauchten Sparvolumen betrachtet - etwa 42 Mrd. US-Dollar an Zwangskürzungen geplant. Bei monatlich 7 Mrd. US-Dollar hält sich die wirtschaftliche Restriktion aber zunächst in Grenzen. Deutliche Bremsspuren für die US-Wirtschaft sind also nicht zu befürchten. Zudem ist auch weiterhin jederzeit eine Einigung im Budgetstreit möglich, so dass Teile der automatischen Einsparungen erst gar nicht in Kraft treten könnten.

Ein Zusammenraffen von Demokraten und Republikanern ist allerdings alleine schon erforderlich, um eine politische Verunstimmung zu verhindern, die bereits beim Schuldenstreit 2011 die US-Wirtschaft lähmte. Auch für die Stimmung in der Weltkonjunktur und an den internationalen Finanzmärkten sind geordnete politische Zustände in Amerika sehr wichtig.

No Exit bei der Fed

Unterdessen sorgt die US-Notenbank über ihre anhaltende Liquiditätsschwemme weiter für eine konjunkturelle Stabilisierung. So zerstreute Fed-Chef Bernanke in seiner halbjährlichen Aussage vor dem US-Senat Bedenken vor einem vorzeitigen Ende des Ankaufs von Hypotheken- und Staatsanleihen. Jeden Monat wird also auch zukünftig für 85 Mrd. US-Dollar neue Liquidität geschaffen. Neben dem Volumeneffekt wird auch der Zinsdrückungseffekt mögliche negative Folgen der automatischen US-Haushaltskürzungen abmildern.

Anhaltend günstige Kreditbedingungen sind für die Erholung der US-Wirtschaft weiter dringend geboten. Insbesondere der Rückgang der Hypothekenzinsen hat den US-Immobilienmarkt seit der Pleite der Lehman Bank massiv gestützt, ohne jedoch bislang an frühere Qualitäten anknüpfen zu können. Ein Ausstieg der Fed aus ihrer üppigen Geldpolitik käme nicht nur zu früh, sie wäre fatal.

Japan macht geldpolitisch mobil

Und auch in Japan steht die Geldpolitik vor einer noch expansiveren Ausrichtung. Schließlich muss der japanische Nachtragshaushalt zur Ankurbelung der Wirtschaft von umgerechnet 103 Mrd. Euro gegenfinanziert werden. Mit dem anstehenden Machtwechsel bei der Bank of Japan - der neue Notenbank-Gouverneur Kuroda muss nur noch vom Parlament abgenickt werden - ist die Unabhängigkeit der Notenbank Geschichte, da sie noch stärker in die Nähe der Finanzpolitik rückt. Einer Aufstockung des Anleiheaufkaufprogramms der japanischen Notenbank schon in diesem Jahr steht nichts mehr im Weg.

Die Grundzutaten für ein weiterhin freundliches Aktienumfeld bleiben damit erhalten. Zu bemerken ist, dass üppige Liquiditätsausstattungen für Aktienaufwärtsbewegungen historisch immer bedeutender waren als konjunkturelle Verbesserungen.

Grafik der Woche: (Projizierte) Kumulierte Bilanzsumme der EZB, Fed und BoJ, in Mrd. Euro und weltweiter Aktienindex (MSCI World Index)

Deutsche Unternehmensgewinne steigen

Gestützt durch die unbeirrt lockere internationale Geldpolitik und eine wieder anziehende Weltkonjunktur entwickeln sich deutsche Unternehmensgewinne - gemessen an den MSCI Aktienindices - stabil. Insbesondere deutsche Technologie- und Pharmawerte warten nach dem Schreckensjahr 2009 aktuell wieder mit einer positiven Gewinnentwicklung auf. Auch Industriewerte - als deutsche Kernbranche - gehen aus ihrem Seitwärtstrend in einen leichten Aufwärtstrend über und liegen damit gemessen an der gesamten deutschen Gewinnentwicklung auf Durchschnittsniveau. Versorger haben jedoch noch unter den Auswirkungen der Energiewende zu leiden, was eine schwache Gewinnentwicklung nach sich zieht. Finanzwerte haben mit anhaltendem Gegenwind aus der Politik zu kämpfen. Die Gefahr einer deutlich zunehmenden Regulierung und erhöhter Eigenkapitalvorschriften werden zum Anlass genommen, frühere gewinnträchtige, aber auch risikoreichere Geschäftszweige abzubauen.

Diesen insgesamt positiven Trend bestätigen insbesondere die Ausblicke der DAX-Unternehmen gemäß der aktuellen Berichtsaison. Nachdem BASF 2012 seine Ergebnisziele mit neuen Bestmarken erreicht hat, geht man für 2013 von einer anziehenden globalen Konjunktur und erneuten Rekordmarken bei Umsatz- und operativem Gewinn aus. Auch der Gesundheitskonzern Fresenius erreichte 2012 Rekordzahlen und erwartet für das aktuelle Geschäftsjahr eine Fortsetzung des Wachstumskurses insbesondere im Bereich Infusions- und Ernährungstherapie. Bayer schaut ebenfalls positiv in die Zukunft. Getrieben von der Agrar- und Gesundheitssparte befindet sich das Unternehmen auch 2013 auf Wachstumskurs.

Aktienbewertung unproblematisch

Für Aktien spricht auch das anhaltend günstige Bewertungsniveau, insbesondere gegenüber deutschen Staatsanleihen. Denn vergleicht man das Kurs-Gewinn-Verhältnis der deutschen Umlaufrendite mit deutschen Aktien, hat sich längst noch keine Normalisierung auf Durchschnittsniveau ergeben, d.h. deutsche Staatspapiere sind teuer, nicht deutsche Aktien.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene stehen die Bilanzergebnisse der Deutschen Post, RWE, Beiersdorf, Merck, Linde, Adidas und Continental auf dem Plan. Insgesamt dürften auch sie im Ausblick freundlich in die Zukunft blicken.

Nach dem Wahldebakel in Italien dürfte das Geschehen an den Börsen aber wieder deutlicher vom politischen Grundrauschen in Euroland beeinflusst werden. Dem entsprechend sind alle Augen auf die Beruhigungsmaßnahmen der Geldpolitik gerichtet. Auf der kommenden Zinssitzung wird die EZB daher weiterhin ihre offensive Haltung betonen (müssen). Mit weiterführenden Stützungsmaßnahmen wird man aber warten, bis sich in Italien der politische Nebel gelichtet hat.

Unterdessen verdeutlicht in Amerika der ISM Index für das Dienstleistungsgewerbe die voranschreitende Erholung der US-Wirtschaft. Die US-Auftragseingänge in der Industrie deuten aber darauf hin, dass die US-Konjunkturerholung noch nicht auf ausreichend soliden Füßen steht. Dem entsprechend langsam verläuft auch die Erholung am US-Arbeitsmarkt.

In Deutschland verdeutlichen die Auftragseingänge in der Industrie sowie die Industrieproduktion den soliden Start der deutschen Wirtschaft in das neue Jahr.

Aus charttechnischer Sicht besteht im Bereich zwischen 7600 und 7550 Punkten eine erste signifikante Unterstützung. Darunter befindet sich der nächste Auffangbereich zwischen 7450 und 7400 Punkten. Im Falle einer heftigen Korrektur gibt die 200-Tage-Linie bei zurzeit 7117 Punkten Halt.

Auf der Oberseite trifft der DAX aktuell zwischen 7780 und 7785 Punkten auf einen ersten Widerstand. Darüber liegen weitere Hürden an der Marke bei 8000 und am Allzeithoch von 8151 Punkten.

Zukünftig sind erhöhte Kursschwankungen zu erwarten.

Halvers Woche:

Was von der italienischen Wahl übrig bleibt…

Das italienische Wahlvolk hat gesprochen und als gute Demokraten ist das Wahlergebnis zu respektieren. Allerdings muss man schon ein Clown sein, wenn man darüber lachen will.

Was mir sehr zu denken gibt, ist jedoch, dass sich in einem großen und sogar Gründungsmitgliedsland der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung gegen Euroland ausgesprochen hat. In Italien wird die Währungsunion offensichtlich nur noch mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit gleichgesetzt.

Wie im alten Rom Angst und Schrecken in Europa verbreiten

Apropos EWG, wie in einer früheren Spielshow mit Hans-Joachim Kulenkampf steht EWG auch in Italien für „Einer wird gewinnen“. Denn dieser Einer, Silvio Berlusconi, der italienische Fantomas - das französische Original war auch geliftet - hat sich die Euro-Skepsis der Italiener in bekannter Manier zu Nutze gemacht. Ich befürchte, er wird die politische Pattsituation für seine Zwecke missbrauchen. Und wäre ich Berlusconi - ich bin es zum Glück nicht - aber wenn ich es wäre, würde ich mit einer knallharten Blockadepolitik Neuwahlen erzwingen, mich im neuen Wahlkampf als Retter Italiens präsentieren, um damit möglichst in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit zu gewinnen. Und dann, ja dann kann Silvio sich den italienischen Stiefel wieder anziehen und Richtung Brüssel und Berlin treten.

Die Wahlenttäuschung und die Angst vor dem italienischen Wutbürger bei Neuwahlen haben schockartig den Solidaritätsreflex bei Euro-Politikern ausgelöst. Zukünftig will man mehr auf Hilfsaktionen setzen. Stabilität wird also nicht mehr so heiß gegessen wie sie gekocht wurde. In Deutschland nennen wir das Hartz 4: Fördern und Fordern. Ich frage mich jedoch, was vom Fordern übrig bleibt. Denn spätestens jetzt wissen auch vernünftige italienische Politiker, dass Reformen keine Wahlen mehr gewinnen. Herr Monti kann davon ganze Liederbücher singen. Eigentlich trägt er die politische Schuld am Wahlergebnis. Hätte er zügig nach Ernennung seiner Technokraten-Regierung Neuwahlen angesetzt, hätte er die Unterstützung der Italiener gehabt. Intelligent zu sein ist schön, aber man muss auch clever sein.

Happy Hour in der Eurozone: Laissez Faire und Dolce Vita

Neben Silvio wissen auch die Stabilitätsanhänger im Norden sehr genau, dass das Erpressungspotenzial des euro-systemrelevanten Italiens für die Eurozone gewaltig ist: Kippt Italien, kippt Euroland. Da kann der Stiefelträger schon mal auf den Brüsseler Tisch schlagen und die Stabilitäts- und Reformanforderungen in Schach halten und entspannt Solidaritätsgeschenke empfangen. Euroland droht zum Stiefelknecht der italienischen Politik zu werden.

Neben Frankreich mit seinem stabilitätspolitischen Laissez Faire-Kurs gesellt sich also nun Italien mit seiner Dolce Vita-Haltung. Mit welcher Berechtigung bitte schön will man dann Griechen, Portugiesen oder Spaniern noch Reformen abverlangen? Nein, wir machen den Euro-Hartz: Fördern statt Fordern.

EZB erteilt den Segen Urbi et Orbi

Das heißt auch mehr Verschuldung. Bei Reformermüdung, die Investitionen und Exporte und schließlich Arbeitsplätze abbaut, gibt es keine Alternative. Aber selbst wenn die Renditen in Italien wieder steigen werden, und wenn die Rating-Agenturen Italien & Co. wegen ihrer Stabilitätssünden strafen sollten, wird EZB-Chef Draghi nicht zögern, die Absolution zu erteilen. Und sollte die das Risiko auch auf andere Länder streuen, gibt es auch den ganz großen Sündenerlass. Eine Euro-Krise 2.0 wird die Notenbank konsequent verhindern. Es könnte die letzte sein. Zur Erinnerung: Draghi hat wenn nötig unbegrenzte Anleihenkäufe angekündigt. Wer verbal A sagt, muss auch tatsächlich B sagen. Sonst macht man sich unglaubwürdig.

Die aktuell entspannte Reaktion der Finanzmärkte signalisiert klar, dass der Glaube an Draghi als Schutzpatron von Aktien und Renten fest ist. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist“ ist ja fast schon zur Hymne in den Börsensälen Eurolands geworden.

Wasser in den süßen Euro-Wein

Ein bisschen über den Tellerrand geschaut, ist aber definitiv klar, dass diese „Alles wird gut-(Geld-)Politik“ uns gegenüber den Konkurrenten aus Asien und Amerika zurückwerfen wird. Da wird zwar auch geldpolitisch kräftig nachgeholfen. Aber dort wird auch wieder in die Hände gespukt, man steigert das Bruttosozialprodukt.

Wir in Euroland sollten uns schnell daran erinnern, dass mit „Heile, heile Gänschen“ die Globalisierung nicht zu gewinnen ist. Deren Motto lautet nämlich: Entweder man scharrt mit den Hühnern oder man fliegt mit den Adlern.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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