Kommentar
22:00 Uhr, 23.02.2009

Plötzlich sah sich die gesamte Zertifikate-Branche heftigen Angriffen ausgesetzt

Als im Februar 2007 der Deutsche Derivate Verband gegründet wurde, war die Börsenwelt noch in Ordnung. Die Weltwirtschaft wuchs kräftig, die Aktienmärkte kletterten von einem Rekord zum anderen. Der vergleichsweise junge Markt für Anlagezertifikate legte mit prozentual zweistelligen Wachstumsraten zu. Die Marktteilnehmer erwarteten, dass sich die aufkeimende Finanzkrise auf den US-Hypothekenmarkt beschränken würde. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Vielmehr setzte eine Abwärtsspirale ein, dessen Sogwirkung selbst altgedienten Kapitalmarktexperten den Atem raubte. Abgesehen von Staatsanleihen gerieten fast sämtliche Anlageklassen unter die Räder.

Auch bei Zertifikaten hinterließ der Abschwung tiefe Spuren. So wurden in der Baisse die Kursschwellen zahlreicher Bonuspapiere verletzt, die bei der Auflage noch in unangreifbarer Ferne schienen. Und - es gibt ein Emittentenrisiko, wie vielen Anlegern die Insolvenz von Lehman Brothers schmerzhaft vor Augen führte. Plötzlich sah sich die gesamte Zertifikate-Branche heftigen Angriffen ausgesetzt. Vielfach richtete sich die Kritik pauschal gegen Zertifikate-Investments insgesamt, weil es sich hierbei um Inhaberschuldverschreibungen der emittierenden Bank handelt. Fehlentwicklungen bei anderen Kapitalmarktprodukten wurden hingegen weitgehend ausgeklammert. So ist heute schon fast vergessen, dass nicht wenige der einst als vollkommen sicher geltenden Geldmarktfonds mit US-Hypothekenpapieren jonglierten. Die Anleger ahnten hiervon nichts. Natürlich bergen auch Zertifikate Risiken. Sicherlich lässt sich auch die Struktur vieler dieser Produkte noch verbessern. Ihre zahlreichen Vorteile sollten versierte Investoren jedoch ebenfalls zu schätzen wissen.

Zertifikaten bieten große Vielfalt, was Vor- und Nachteile hat

Zertifikate lassen sich vergleichsweise unkompliziert auflegen und ermöglichen die Abbildung vielfältiger, zumeist exakt definierter Anlagestrategien in einem Produkt. Während die meisten Investmentfonds eine „Long-Only“-Strategie verfolgen und die Zusammenstellung der im Portfolio befindlichen Positionen einem von der jeweiligen Gesellschaft beschäftigten Kapitalmarktspezialisten obliegt, wählt der typische Zertifikatekäufer genau diejenigen Produkte aus, die seiner persönlichen Markterwartung entsprechen. Er alleine entscheidet, ob er in einen Aktienindex, eine bestimmte Branche oder beispielsweise in einen Korb von Agrarrohstoffen investiert. Rechnet der Investor mit einem seitwärts tendierenden oder leicht fallenden Basisinstrument, kann er zu einem Bonuszertifikat oder auch einem Discountzertifikat greifen. Letzteres bietet in Zeiten hoher Volatilität einen besonders hohen Zusatznutzen. Die beiden „Klassiker“ unter den Zertifikaten erlauben es, mit einem Risikopuffer auf eine bestimmte Börsenentwicklung zu setzen. Mit ihnen lassen sich somit auch in seitwärts tendierenden oder fallenden Märkten überdurchschnittliche Renditen erzielen. Vollständigen Kapitalschutz bieten wiederum Garantiezertifikate, bei denen zum Ende der Laufzeit das eingesetzte Kapital ganz oder zum größten Teil zurückerstattet wird. Wie die DDV-Marktstatistik zeigt, hat diese Produktkategorie seit dem vergangenen Herbst stark an Bedeutung gewonnen. Bear- oder Short-Zertifikate kann wiederum einsetzen, wer eine Baisse von Dax, Dollar oder Dow erwartet.

Bei der Vielzahl der angebotenen Strategien entscheidet die Produktauswahl über den Anlageerfolg. Der Investor ist gefordert: Er sollte den Gesamtmarkt im Auge behalten, die zukünftige Entwicklung seines favorisierten Basisinstruments abschätzen und schließlich den passenden Emittenten auswählen. Hier mangelte es während der vergangenen Jahre teilweise an leicht zugänglichen Informationen und auch an Weiterbildungsangeboten. Zu den obersten Zielen des Deutschen Derivate Verbandes (DDV) gehört es daher nicht nur, Aufklärungsbroschüren auszuarbeiten und Seminare zu planen. Der Verband stellt auch umfangreiches Datenmaterial zur Verfügung, das permanent erweitert und aktualisiert wird. Wesentliches Ziel dieser Bemühungen ist es, für mehr Transparenz auf dem Zertifikatemarkt zu sorgen.

Initiativen für mehr Transparenz und Produktqualität

Beispiel Bonität: Auf seiner Internetseite (www.derivateverband.de) informiert der DDV zeitnah über die Ratings sämtlicher Zertifikate-Emittenten. Unter dem Menüpunkt „Transparenz“ sind außerdem die Credit Default Swap-Sätze der einzelnen Anbieter abrufbar. An den Daten lässt sich zeitnah ablesen, wie teuer es ist, sich gegen einen Ausfall des jeweiligen Emittenten zu versichern. CDS-Sätze bieten damit Einblick in die Risikoeinschätzung professioneller Marktteilnehmer. Die entsprechende Auswertung wird börsentäglich aktualisiert und ist für jeden Internetnutzer einsehbar.

Hinsichtlich Produktqualität hat der DDV zahlreiche Initiativen ergriffen. Zum einen wurde ein Derivate-Kodex als bindende Selbstverpflichtung ausgearbeitet. Der Kodex legt unter anderem Leitlinien für die Strukturierung der Produkte und den Handel mit ihnen fest. An diesem Punkt hatte sich in der Vergangenheit Kritik entzündet. Da die Emittenten An- und Verkaufskurse für ihre Zertifikate stellen, müssen sie quasi sekündlich auf Marktschwankungen reagieren und entsprechende Preise berechnen. Wie zuverlässig dies funktioniert, veröffentlicht der DDV ebenfalls. Er greift dazu auf Daten der Handelsplattform Scoach zurück. Diese misst die prozentuale Wahrscheinlichkeit, mit der eine Order nach 10 oder 30 Sekunden ausgeführt wird. Zum anderen wird auch erfasst, ob bzw. wie häufig es bei der permanenten Kursfeststellung zu Unterbrechungen kommt.

„Kaufe nur, was Du verstehst“ – diesen Grundsatz sollten vor allem die so genannten Selbstentscheider unter den Zertifikatefans beherzigen. Wer keinen Finanzberater konsultieren möchte, kann mit Hilfe der vom DDV entwickelten Checkliste überprüfen, ob er das zu seinen Erwartungen passende Produkt selektiert hat. Der Check kann z.B. Anlass sein, noch einmal die Webseite des Anbieters zu besuchen, um unklare Sachverhalte zu recherchieren. Zusätzliche Orientierung bietet unter anderem das Zertifikate-Rating der European Derivatives Group (EDG), an dem bisher ein Großteil der führenden Emittenten teilnimmt. Die EDG bewertet zum einen Kosten, Handelbarkeit, Bonität sowie das Informationsangebot des Emittenten. Zum anderen teilt das Rating-Institut die verschiedenen Produkte in fünf unterschiedliche Risikoklassen ein. Dies soll dazu beitragen, Missverständnisse und Enttäuschungen zu vermeiden, die durch den unbewussten Erwerb eines als zu riskant empfundenen Papiers entstehen können.

Entscheidung über die Anlagestrategie verbleibt beim Anleger

Wie die Marktstatistik des DDV dokumentiert, bevorzugt die Mehrzahl der Anleger derzeit Zertifikate, die sich auf den Aktienmarkt beziehen und eine klar definierte Absicherungs-Komponente enthalten. In Anbetracht der Talfahrt der Realwirtschaft bereichern diese mit einem Schutzmechanismus oder Risikopuffer versehenen Investments jedes Depot. Für Zertifikate spricht außerdem, dass ihre steuerliche Diskriminierung mit Einführung der Abgeltungssteuer zum Jahreswechsel endete. Die Emittenten und der DDV werden die Produktqualität weiter verbessern und gewährleisten, dass Investoren den Zertifikatemarkt besser überschauen können. Eine wesentliche Aufgabe wird jedoch bei den Anlegern verbleiben: Sie alleine entscheiden, wie progressiv sie investieren und welchen Partner sie wählen.

Lars Brandau - Der DDV ist die Branchenvertretung der 20 führenden Emittenten derivativer Wertpapiere in Deutschland. Als politischer Interessenverband ist der DDV - weltweit der größte seiner Art - auch in Brüssel aktiv. Die Mitglieder zählen zu den bedeutendsten Emittenten in Deutschland. Sie repräsentieren 90% des Gesamtmarktes. Der DDV fördert den Derivatemarkt und somit die Akzeptanz von Zertifikaten, Aktienanleihen und Optionsscheinen. Zu den Zielen des DDV zählen außerdem der Schutz der Anleger und die Verbesserung der Verständlichkeit und Transparenz der Produkte.

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