Kommentar
08:30 Uhr, 03.11.2016

Plötzlich bricht die Sparwut aus

Erst wurde nicht genug gespart, jetzt zu viel. Könnte die Geldpolitik dafür verantwortlich sein?

Deutschland ist als Sparweltmeister bekannt. Mit dieser Erkenntnis gewinnt man keinen Blumentopf. Neu ist jedoch, dass ganz Europa spart. Grafik 1 zeigt wie sich das Vermögen der Gesamtwirtschaft und einzelner Akteure verändert hat. Es handelt sich bei den Werten um den Zuwachs in jedem Quartal. Wegen teils starker monatlicher Schwankungen sind die Daten im gleitenden Durchschnitt (4 Quartale) dargestellt.

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Im Durchschnitt der letzten vier Quartale stieg das Vermögen der Eurozone um 150 Mrd. – jedes Quartal. Das ist eine enorme Summe, die schon lange nicht mehr erreicht wurde. Überhaupt wurden Werte über 150 Mrd. nur kurzzeitig vor Ausbruch der Krise erreicht. Geht der aktuelle Trend so weiter, könnte innerhalb eines Jahres ein neuer Rekord aufgestellt werden.

Die Rekordjagd wird insbesondere durch zwei Akteure bedingt: Regierungen und Unternehmen (Nicht-Finanzunternehmen). Nachdem es den Regierungen der Eurozone für einen kurzen Moment im Jahr 2007 gelang keine neuen Schulden aufzunehmen, senkten die massiven Ausgabenprogramme während der Krise die Sparquote des gesamten Wirtschaftsraumes.

Inzwischen konsolidieren sich die Staatsausgaben und erreichten zuletzt wieder einen Wert wie er aus den Vorkrisenjahren bekannt war. Der geringer werdende negative Beitrag der Staaten zum Vermögensaufbau ist ein wesentlicher Treiber der Entwicklung. Ein zweiter Treiber ist die Sparquote der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors. Hier werden Quartal um Quartal neue Rekorde aufgestellt.

Der Vorkrisenrekord lag bei 108 Mrd. Euro. Unternehmen bauten also in einem einzigen Quartal mehr als 108 Mrd. an zusätzlichen Reserven auf. Das war im Jahr 2002. Dieser Rekord wurde inzwischen mehrfach gebrochen, zuletzt Ende 2015 mit 134 Mrd. Euro. Inzwischen sind Unternehmen zu den größten Sparern geworden, noch vor den Privathaushalten. Seitdem es die Datenreihe gibt ist das so noch nie vorgekommen.

Die Sparwut zeigt sich vor allem bei Unternehmen, nicht so sehr bei den Privathaushalten. Wenn Unternehmen viel sparen, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass sie weniger ausgeben. Zu zusätzlichen Ausgabemöglichkeiten zählen insbesondere Investitionen. Man kann also sagen, dass Unternehmen weniger investieren.

Dieser Umstand bestätigt sich. Grafik 2 zeigt die Sparquote sowie die Investitionsquote. Die Sparquote steigt an. Das ist für eine Phase der wirtschaftlichen Expansion ungewöhnlich. Im Normalfall wird im Aufschwung besonders viel investiert und die Sparquote sinkt. Das war etwa bis 2000 zu sehen und dann wieder in den Jahren 2004 bis Anfang 2008.

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Nun steigt die Sparquote an. Das ist ein Verhalten wie man es aus einem Abschwung kennt. Unternehmen selbst äußern sich zu diesem Umstand deutlich. Sie wollen Reserven aufbauen. Das liegt an mehreren Faktoren. Einerseits sehen sie die globale Entwicklung skeptisch, andererseits fühlen sie sich mit Reserven für den nächsten Abschwung besser gewappnet.

Während die Finanzkrise global tobte, kam es zur Kreditklemme. Unternehmen und Konsumenten kamen nicht mehr an ausreichend Kredit. Wer Rücklagen hat, macht sich von Banken unabhängiger.

Während dieses Verhalten durchaus Sinn macht, muss man auch festhalten, dass Unternehmen noch nie so günstig wie derzeit Kredit aufnehmen konnten. Eigentlich sollte jetzt die Zeit für Investitionen sein. Die EZB macht dies durch ihre Niedrigzinspolitik und Anleihekäufe möglich. Unternehmer lockt das jedoch nicht hervor.

Man kann nun auch nicht sagen, dass die Geldpolitik der EZB ein Grund für ausbleibende Investitionen ist. Die Geldpolitik verhindert keine Investitionen, sie fördert sie aber auch nicht. Immerhin gibt es einen Lichtblick. Nicht alles ist negativ. Die Investitionsquote löst sich von ihren historisch niedrigen Tiefs.

Generell ist der Trend in Ansätzen positiv, doch es zeigt sich ein ähnliches Dilemma wie in den USA. Unternehmen investieren nur zaghaft, weil ihnen die Perspektive fehlt. Es liegt dabei nicht so sehr an der Perspektive im eigenen Land, sondern an der Perspektive für die Weltwirtschaft. So werden Milliarden gehortet und nicht investiert. Das trägt zu einer langsamen Erholung bei.

Die Sparwut der Unternehmen hat noch einen negativen Effekt. Je mehr gespart wird, desto mehr Geld muss irgendwo geparkt werden. Je mehr Geld um Anlagemöglichkeiten buhlt – und seien es nur Geldmarktfonds – desto eher und desto länger werden Zinsen niedrig bleiben. Dieser Sparüberhang wird von Mario Draghi immer wieder aufgegriffen und auch für die niedrigen Zinsen mit verantwortlich gemacht. Seine Lösung für das Problem sind noch niedrigere Zinsen, um den Sparreflex zu brechen und das Ersparte abzuschöpfen, indem mehr investiert wird. Das funktioniert allerdings offensichtlich nicht.

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3 Kommentare

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  • Billabong
    Billabong

    Richtig german2, die Mittelschicht muss gestärkt werden, dauerhaft. Verteilt werden muss das Geld von oben nach unten. Das geht schon bei der Lohnsteuer los, wenn ich 100.000 im Jahr verdiene, sollte ich wesentlich mehr davon zahlen als ein Durchschnittsverdiener.

    10:22 Uhr, 03.11.2016
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Hmm. Ich dachte es wird konsumiert wie niie ?! Was stimmt da nicht? Ich bin verwirrt. Mit Null℅ Krediten kann man natuerlich gut sparen. Aber offenbar gibts bei der Auslastung und Ueberproduktion noch rechte Probleme. Na mal sehen wie es weiterlaeuft.

    08:41 Uhr, 03.11.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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