Kommentar
11:00 Uhr, 28.05.2008

Physiker behaupten, dass es schwarze Löcher gibt - Banker haben soeben den Beweis dafür erbracht!

In einigen Wochen geht der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger, der jemals gebaut wurde, in Betrieb. Der Large Hadron Collider – besser bekannt unter seiner englischen Abkürzung LHC – wurde unter Federführung des Europäischen Zentrums für Kernforschung (CERN) in Genf gebaut. Die Koryphäen der Teilchenphysik aus der ganzen Welt werden dort ihre Experimente durchführen. Mehr als 100 Meter unter der Erde des französisch-schweizerischen Grenzgebiets verborgen, vereint der LHC eine ganze Reihe von Superlativen auf sich: Kosten von über 6 Milliarden Euro, ein Umfang von 27 Kilometern, die von Protonen mit 11.000 Umdrehungen je Sekunde zurückgelegt werden, geleitet von 1230 Magneten mit jeweils 15 Metern Länge, die ein Magnetfeld erzeugen, das 160.000 Mal so stark wie das Erdmagnetfeld ist, und das bei einer Temperatur von -271°C, um nur einige zu nennen. In jeder Sekunde prallen Protonen-Pakete 30 Millionen Mal aufeinander. Sie werden von riesigen Detektoren registriert und die dabei erzeugte Datenmenge (1 Megabyte je Kollision) wird anschließend analysiert. Sie entspricht einem Volumen von 200.000 DVDs jährlich. Die Experimente sollen das „Standardmodell“ der Physik vervollständigen, bestätigen oder widerlegen, indem die Bedingungen des Universums ein Tausend-Milliardstel Sekunden nach dem Urknall reproduziert werden, oder sie sollen die berühmten „Higgs-Teilchen“ nachweisen, vielleicht auch das Wesen der schwarzen Materie entschlüsseln ...

Und mitten in den Vorbereitungen geht beim Bundesgericht des Bezirks Honolulu in Hawaii eine Klage ein, mit der die Inbetriebnahme des LHC ausgesetzt werden soll. Es ist nicht unmittelbar einleuchtend, warum gerade ein hawaiisches Gericht für eine Angelegenheit in den Alpen zuständig sein sollte, aber die Begründung der Klage ist dennoch interessant. Herr Wagner, in Hawaii wohnender Wissenschaftler, und Herr Sancho, in der Nähe von Barcelona wohnender Autor, behaupten nämlich, dass der LHC mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein „schwarzes Mini-Loch“ erzeugen könnte, das die Erde verschlingen könnte. Nun lachen Sie vielleicht. Vergessen Sie aber nicht, dass ein schwarzes Loch das letzte Stadium der Materie ist, die wiederum aus dem Zusammenbruch des Kerns eines riesigen Sterns resultiert. Das Gravitationsfeld erreicht dabei eine solche Intensität, dass das schwarze Loch jede Materie in der Nähe ansaugt, einschließlich des Lichts, und somit seine direkte Beobachtung unmöglich ist. Aber beruhigen Sie sich. Kollisionen wie diejenigen, die im LCH herbeigeführt werden, geschehen täglich in der Natur und bewirken keinerlei Zerstörungen. Die Physiker in Genf können also weiterhin gut gelaunt ihre Teilchen untersuchen, um zu verstehen, warum es im Universum etwas gibt und dort nicht nur Leere herrscht.

Währenddessen fragen sich nicht weit entfernt, in Zürich, einige weniger gut gelaunte Menschen, warum Leere herrscht, wo eigentlich etwas sein sollte. Die UBS hat wie viele andere Banken auch ein veritables schwarzes Loch geschaffen. Die Lage der Bank ist symptomatisch für die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise. Nicht weniger als 38 Milliarden Dollar wurden durch die Aktivitäten im Zusammenhang mit amerikanischen Subprime-Hypotheken buchstäblich verschlungen. Ist es denn gerechtfertigt, danach noch Vertrauen in die finanzielle Lage der Bank zu haben? Je nachdem, wie sich die Preise für Hypothekenpapiere weiter entwickeln, fallen möglicherweise noch weitere Verluste an. Noch schwerer wiegen die Kollateralschäden, die der Bank entstanden. Das Institut, das für seine Umsicht so legendär war, büßte einen großen Teil seines Glanzes ein. Aber wie gesagt, die Schweiz ist keine Ausnahme: Paris, London, New York und viele andere Finanzzentren sind gleichermaßen betroffen.

Besondere Erwähnung verdienen hier die begrenzten zusätzlichen Rückstellungen, die sämtliche von der Subprime-Krise betroffenen US-Banken am Ende des ersten Quartals bildeten. Die US-Börsenaufsicht (SEC) richtete in der Tat Ende März einen entsprechenden Brief an die Finanzinstitutionen und räumte ihnen darin eine gewisse Freiheit bei der Bewertung von strukturierten Finanzprodukten ein, die als „schwierig zu bewerten“ (Level 3) galten. So können sich die Banken von der Bewertung zum Marktpreis („Mark to Market“) abkoppeln, die ihnen derzeit nur schaden würde. Aber allein damit lässt sich das Vertrauen nicht wiederherstellen. Die traditionellen Banken, insbesondere die Regionalbanken, haben begonnen, einen deutlichen Aufschlag für zweifelhafte Forderungen, Zahlungsrückstände oder -ausfälle zu verlangen. Das betrifft Verbraucherkredite, Kfz-Kredite, Kreditkarten und andere Kredite gleichermaßen. Das wird an den gebildeten Rückstellungen deutlich sichtbar. Auf diesen Punkt konzentriert sich unsere Analyse. Zu der Anfälligkeit der Kreditnehmer in einem katastrophalen Immobilienumfeld kommt die gestiegene Ängstlichkeit der Banken. Sie sorgen sich plötzlich um die Qualität der Sicherheiten und leiden gleichzeitig unter der schwieriger gewordenen Refinanzierung zwischen den Banken. Das Resultat ist ein weltweites „Deleveraging“ der US-Wirtschaft, also der Abbau des hohen Anteils von Positionen, die Fremdkapital enthalten. Wir rechnen damit, dass diese Situation mindestens bis Ende des Jahres anhält, trotz der lobenswerten Maßnahmen der Zentralbank. Diese Situation rechtfertigt ganz offensichtlich die Beibehaltung einer strategischen Absicherung in unserer globalen Verwaltung (Carmignac Investissement, Investissement Latitude und Patrimoine), die auf den Bankensektor und die zyklischen Konsumgüter in den USA abzielt. Der entsprechende Deckungsgrad wurde dennoch am Monatsende vorübergehend von 20 Prozent auf 10 Prozent herabgesetzt, um unsere Erwartung eines weltweiten Aufschwungs an den Aktienmärkten nutzen zu können.

Während der Bankensektor also möglicherweise weitere schwarze Löcher schaffen wird, von denen wir so weit wie möglich entfernt sein möchten, gehen andere Sterne im weltweiten Wirtschaftsuniversum auf. Die jüngsten Wachstumsprognosen des IWF für das Jahr 2008 machen das ebenfalls deutlich. Zwar geht der IWF mit einer Wachstumsrate von 3,7 Prozent von einer Verlangsamung der weltweiten Wirtschaftstätigkeit im Vergleich zu den kräftigen 4,9 Prozent im Jahr 2007 aus, aber in den Schwellenländern wird ein robustes Wachstum erwartet. Die Zahlen sprechen für sich: Für die Schwellenländer Asiens werden 7,5 Prozent prognostiziert, darunter 9,3 Prozent für China und 7,9 Prozent für Indien. In Afrika wird mit einem Wachstum von 6,3 Prozent und in Lateinamerika mit 4,4 Prozent gerechnet. Am meisten fällt mir dabei auf, dass die beiden Länder mit dem stärksten Wachstum auch die beiden Länder mit der größten Bevölkerung weltweit sind. Außerdem haben beide Länder umfassende Infrastrukturprogramme eingeleitet, weil sie die notwendigen Bedingungen für langfristiges Wachstum schaffen wollen. So stellen die Schwellenländer trotz der enttäuschenden Börsenentwicklungen seit Jahresbeginn immer noch eine wichtige Investitionsachse dar. Unsere Geduld wurde im Übrigen gerade bei dem Land belohnt, von dem wir am stärksten überzeugt sind, nämlich Brasilien. Die soliden Fundamentaldaten des Landes veranlassten die Ratingagentur S&P, die Staatsanleihen mit der erstklassigen Bonitätsbewertung „Investment Grade“ zu bewerten. Diese internationale Anerkennung verlieh der Börse und der Währung einen Schub: Der Bovespa-Index legte im Monatsverlauf um 16 Prozent zu. Allgemeiner betrachtet stellt die Verbesserung des Lebensstandards in diesen Schwellenländern mit einer hohen Bevölkerungszahl ein wichtiges Kriterium bei allen unseren Anlageentscheidungen dar.

Das erste unserer Anlagethemen, das sich unmittelbar aus der Industrialisierung und Urbanisierung der Schwellenländer und den damit verbundenen Investitionsausgaben ergibt, hängt mit der wachsenden Nachfrage nach natürlichen Rohstoffen zusammen. Ein Beispiel, das über die tägliche Volatilität und die journalistischen Mutmaßungen über Höchststände hinausgeht, soll dies veranschaulichen. Die Internationale Energiebehörde (IEA) schätzt in einem aktuellen Bericht, dass die weltweiten Investitionen in die Infrastruktur für die Energieproduktion bis zum Jahr 2030 bei 20.000 Milliarden Dollar liegen werden. Davon sollen 3.700 Milliarden in China und 1.000 Milliarden in Indien sowie ein gleich hoher Betrag in Russland investiert werden. 4.000 Milliarden sollen in den Sektor Öl und Gas fließen, und davon die Hälfte in die Produktion. Darin sehen wir eine klare Bestätigung unserer langfristigen Beurteilung des Sektors der Öldienstleistungen und Offshore-Bohrungen.

Was die Konsumentwicklung und das damit verbundene Potenzial sowohl für die Energie als auch die Industriemetalle betrifft, möchte ich an die Zahlen des Automobilsektors erinnern: Im weltweiten Durchschnitt entfallen 120 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner. In den USA sind es 750 Fahrzeuge, in China nur 44. Wie lange es genau dauern wird, kann ich nicht beurteilen: Aber wenn China den weltweiten Durchschnitt erreicht, werden 156 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein - drei Mal so viele wie derzeit. Was das für die Entwicklung der Infrastruktur bedeutet, kann man sich vorstellen. Nicht zu vergessen ist auch Indien, wo derzeit nur sieben Fahrzeuge auf 1.000 Bewohner entfallen. Indien hat gerade ein Modernisierungs- und Entwicklungsprogramm für den Straßenverkehr begonnen, das sich auf ein Netz von über 50.000 Kilometern erstreckt. Gleichzeitig bereitet sich Tata Motors darauf vor, sein Modell Nano zu einem Preis von 2.500 Dollar auf den Markt zu bringen. Davon sollen über 600.000 Stück jährlich gebaut werden.

So beschäftigen sich die Physiker weiter mit den Geheimnissen des Universums und wenden dabei Theorien an, die schwarze Löcher als zwingend notwendig voraussetzen. Vielleicht deshalb, weil sie immer noch ziemlich im Dunkeln tappen, was ihr Verständnis betrifft. Bei den schwarzen Löchern in der Finanzwelt dagegen ist der Nachweis ihrer Existenz erbracht, aber ihre zwingende Notwendigkeit erscheint doch zweifelhaft. Leider fällt es uns schwer zu glauben, dass es in Zukunft nicht zu weiteren Exzessen anderer Art kommen wird. Dies soll uns aber nicht von den Anlagechancen ablenken, die sich bis dahin aus der Entwicklung der Weltwirtschaft ergeben. Denken wir global. Investieren wir global.

Eric Le Coz - CARMIGNAC GESTION

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