Kommentar
22:15 Uhr, 21.03.2006

Petrobras: Brasilianische Perle in der Analyse

Brasilien galt immer als das Land der Zukunft, das nie in der Gegenwart ankommt. Nun stimmt das auf einmal nicht mehr. Brasilien ist angekommen. Mit China, Russland und Indien erreicht es jährliche Wachstumsraten im hohen einstelligen Bereich, und es geht wohl so weiter. Weltweit schauen Autofahrer neidisch auf das Land, das seinen Bürgern schon seit vielen Jahren ermöglicht, an den Zapfsäulen statt Benzin auch Bioethanol oder ein beliebiges Gemisch aus beiden Treibstoffen zu tanken – zu günstigen Preisen. Petrobras versorgt Brasilien mit Fernwärme, Erdgas, Erdöl, Mineralölprodukten aller Art und will jetzt auch in die Ethanolproduktion einsteigen. Auch heute profitiert die Gesellschaft bereits an der knappen Versorgungslage des Ethanolmarktes, wenn auch nur indirekt. Denn die brasilianische Regierung entschied angesichts der stark steigenden Ethanolpreise, Normalbenzin nicht mehr wie bisher zu 25 Prozent sondern zukünftig nur noch zu 20 Prozent mit Ethanol anzureichern. Damit soll die Ethanolnachfrage gedämpft werden. Gleichzeitig bedeutet dies gute Geschäfte für Petrobras, welche die steigende Benzinnachfrage komplett decken wird. Denn Petrobras kann ihr Benzin auf dem Heimatmarkt zu besseren Margen absetzen, als am Exportmarkt.

Der Gesellschaft geht es hervorragend, wie auch die Zahlen zum Geschäftsjahr 2005 zeigten. Sie steigerte ihren Umsatz in 2005 um 31 Prozent und machte dabei 40 Prozent mehr Gewinn. Die Margen konnten von 33 auf 35 Prozent ausgebaut werden, was im Branchenvergleich bemerkenswert hoch ist. Die Aktien der Gesellschaft reagierten positiv auf das neue Rekordergebnis. Seit unserer letzten Besprechung im Februar 2005 verteuerten sie sich um 122 Prozent. Einige Analysten sehen selbst auf diesem Niveau noch weiteres Kurspotential, da die Anteile mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 8,5 auf Basis der 2006er Gewinnerwartungen immer noch günstiger bewertet seien, vergleicht man sie mit der Bewertung der großen Ölmultis wie BP, Chevron und ExxonMobil (KGV ø 12). Der Branchenschnitt liegt bei einem KGV von etwa 10.

Petrobras ist als größte lateinamerikanische Gesellschaft überall auf dem südamerikanischen Kontinent tätig. Sie unterhält enge Verbindungen zu Bolivien, das als erdgasreiches Land rund die Hälfte der brasilianischen Erdgasnachfrage deckt. Gerade schloss Petrobras dort einen Vertrag über 5 Milliarden US Dollar zur Erschließung neuer Öl- und Gasfelder, zum Bau neuer Raffinerien und zum Ausbau der bolivischen Erdgasinfrastruktur. Darunter falle auch die stärkere Verbreitung von erdgasbetriebenen Fahrzeugen in Bolivien. Das Glück steht dabei auf Petrobras' Seite, denn die Gesellschaft kann in den Erdgasverträgen mit Bolivien neuerdings einen Joker ausspielen. Anfang des Jahres wurden vor der Küste Brasiliens immense Erdgasfelder gefunden, die in relativ kurzer Zeit erschlossen werden und schon bald einen großen Teil des brasilianischen Erdgasbedarfs decken könnten. Bis zum zweiten Halbjahr 2008 sollen die dortigen Reserven ein Viertel und bis 2010 zwei Drittel des brasilianischen Erdgasbedarfs decken. Nebst Bolivien unterhält die Gesellschaft auch gute Verbindungen zum ölreichen Venezuela.

Doch die Gesellschaft ist international tätig. Sie plant mit dem türkischen Ölkonzern TPAO die Erschließung von Ölquellen im Schwarzen Meer und fördert Öl vor der westafrikanischen Küste, wo immense Ölquellen an der Küste und in der Tiefsee vermutet werden. Dabei kann sie als Marktführer bei der Tiefseeexploration punkten. Rund 65 Prozent der Offshore-Ölquellen Petrobras' liegen 400 Meter oder tiefer unter dem Meeresspiegel. Die tiefsten Vorkommen liegen über 1800 Meter unter dem Meeresspiegel. Sie ist daher auch ganz vorne dabei, wenn es um die Erschließung der Tiefseequellen im Golf von Mexiko geht, und, zur Philosophie der Gesellschaft passend, übernahm sie nun auch eine Raffinerie in Texas, ganz im Sinne eines „integrierten Ölkonzerns“, der zu günstigen Margen alles aus einer Hand anbieten kann.

Durch ihre erfolgreiche Explorations- und Produktionsstrategie konnte die Gesellschaft ihre Erdölproduktion in 2005 um 15 Prozent steigern. In 2006 wird ein erneutes Plus von 9 Prozent erwartet. Das liegt primär an einer Reihe neuer Projekte. Eines davon ist das P-50-Feld vor der brasilianischen Westküste. Es soll anfangs 20,000 Barrels Rohöl und 6 Millionen Kubikmeter Erdgas am Tag produzieren. Noch vor Jahresende werde die Produktion auf 180,000 Barrels Erdöl am Tag steigen. Im Herbst 2006 hofft die Gesellschaft, das P-34-Feld in Betrieb nehmen zu können. Es soll täglich 60,000 Barrels Rohöl pro Tag produzieren, mit steigender Tendenz. In der zweiten Jahreshälfte 2006 werden außerdem die ersten Öltanker vom Capixaba-Feld vor der brasilianischen Küste ablegen, das eine tägliche Produktionskapazität von 100,000 Barrels Rohöl besitzt. Mit diesen Projekten wird Petrobras Brasilien in die vorteilhafte Lage versetzen, sich langfristig als Nettoexporteur von Rohöl zu etablieren. Bereits im vierten Quartal konnte mehr Rohöl ins Ausland verkauft werden, als vom Ausland eingekauft wurde.

Die Risiken für den europäischen Anleger sind die gleichen wie bei allen Ölgesellschaften:

  • Ein starker Verfall des Ölpreises, der allerdings nicht uferlos sein wird, da inzwischen die Förderkosten weltweit gestiegen sind und Petrobras sich weiterhin in einer relativ guten Position befindet.
  • Ein starker Verfall des US-Dollars, weil Öl und die Aktien der Ölgesellschaften in US-Dollar notieren. Eine Absicherung des US-Dollars erscheint uns deshalb notwendig.
  • Verzögerungen bei wichtigen neuen Projekten. Dies ist angesichts der hohen Zuverlässigkeit der Ankündigungen von Petrobras in der Vergangenheit eher unwahrscheinlich.

Für Petrobras kommen allerdings noch folgende Risiken hinzu:

  • Eine Degradierung der Bewertung des Länderrisikos für Brasilien, die unseres Erachtens allerdings zurzeit eher unwahrscheinlich ist.
  • Preisinterventionen der brasilianischen Regierung zu Gunsten der Verbraucher, insbesondere der Industrie mit dem Ziel der Wachstumsförderung.
  • Abschöpfung der Gewinne durch Steuererhöhungen, die zumindest nicht auszuschließen sind, weil die Gesellschaft ausreichend verdient, um die Expansionsvorhaben zu finanzieren.
  • Staatliche Einflussnahme auf die Strategie des Unternehmens.

Besonders letztere drei Punkte sind hinsichtlich eines möglichen Regierungswechsels nach den brasilianischen Präsidentschaftswahlen im Oktober 2006 nicht auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist als relativ gering anzusehen, da der brasilianische Staat gerade in letzter Zeit darum bemüht war, die internationalen Regeln für die brasilianischen Gesellschaften anzuerkennen, um ihnen zu helfen, eine gerechte Bewertung ihrer Aktien an den internationalen Märkten durchzusetzen.

Zusammenfassung

Die Aktien von Petrobras haben einen gewaltigen Boom durchlaufen. Seite Ende 2002 sind sie um sagenhafte 1000 Prozent angestiegen, seit unserer letzten Besprechung im Februar 2005 um 122 Prozent. Auch wenn Analysten angesichts der starken Entwicklung der Gesellschaft noch weiteres Kurspotential sehen, ist die Aktie mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau angelangt. Die zahlreichen neuen Projekte der Gesellschaft werden auch im laufenden Jahr die Ergebnisse weiter steigern. Angesichts der wachsenden Unsicherheit an den weltweiten Ölmärkten ist aber eine Erhöhung der Volatilität der Petrobras-Aktie wahrscheinlich. Anleger können daher immer dann langfristige Positionen eröffnen, wenn der Petrobras-Kurs gefallen ist. Mögliche Einstiegsmarken liegen bei rund 80 US Dollar und darunter bei 74 US Dollar. Beachten Sie hierzu unsere Chartanalyse zu Petrobras.

Diese Analyse ist Teil des Rohstoff-Report. Wenn Sie Analysen dieser Art zeitnah per E-Mail erhalten möchten, können sich unter http://www.rohstoff-report.de kostenlos in den Verteiler für den Rohstoff-Report eintragen.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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