Osteuropa: Die Krise trifft nicht alle gleich
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Gastkommentar des Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche
Alle Länder in Mittel- und Osteuropa, in Südosteuropa einschließlich der Türkei sowie in China, Kasachstan, Russland und der Ukraine haben eine deutliche Verschlechterung der Wirtschaftslage gemeinsam. Die Auswirkung der globalen Krise in Form einer Kreditverknappung sowie eines Rückgangs der Industrieproduktion und des Außenhandelsvolumens ist in den genannten Regionen allerorts sichtbar. Die wirtschaftliche Lage hingegen ist, wie schon in den vergangenen Jahren, zurzeit keineswegs einheitlich und wird es auch in nächster Zukunft nicht sein. Ausschlaggebend dafür sind länderspezifische Gegebenheiten. In einigen EU-Mitgliedsländern hat der Unternehmensbereich eine hohe Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, die sich auch in einer weiten Palette von Exportgütern ausdrückt. In anderen Ländern, speziell in Südosteuropa, hat eine starke reale Währungsaufwertung die Unternehmensentwicklung gebremst, und dies schlägt sich in hohen Leistungsbilanzdefiziten nieder.
Zu einer signifikanten Verlangsamung des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bis hin zur Stagnation wird es voraussichtlich in folgenden Ländern kommen: Polen, Slowakei und Tschechien; Albanien; sowie China, Kasachstan und Russland (siehe Überblickstabelle Entwicklungen 2007-2008 und Prognosen 2009-2011). Eine deutliche Verringerung des Bruttoinlandsproduktes werden 2009 folgende Länder hinnehmen müssen: Estland, Lettland, Litauen und Ungarn; Kroatien, Mazedonien und die Türkei: Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien; sowie die Ukraine. Zwischen diesen beiden Gruppen gibt es einige Länder – Bulgarien, Rumänien und Slowenien – die eine Stagnation oder einen leichten Rückgang im Vergleich zu 2008 verzeichnen werden. Risiken als Resultat größerer Ungleichgewichte und hoher Verschuldung
Die Defizite der Staatshaushalte im Verhältnis zum BIP haben sich in den letzten Jahren in der Regel verringert. Gleichzeitig aber bot sich den Ländern die Möglichkeit einer massiven Ausweitung der Defizite im Außenhandel und in der Leistungsbilanz. Mit Ausnahme der Türkei überstieg 2008 das Defizit in in allen südosteuropäischen Ländern in der Leistungsbilanz 10% des BIP: Es lag bei 27% des BIP in Montenegro, 25% in Bulgarien, 18% in Serbien und zwischen 15 und 10% in Albanien, Kroatien, Mazedonien und Rumänien. Außerhalb Südosteuropas erreichte das Defizit nur in Lettland und Litauen ein ähnliches Ausmaß (12-13% des BIP). Die Defizite sind in Mittel- und Südosteuropa jedoch generell hoch: Mit Ausnahme Tschechiens liegen sie in allen Ländern über 5% des BIP. Im Gegensatz dazu erzielen China und Russland traditionell hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Auf internationalen Finanzmärkten wird bei Risikoabschätzungen auf den Grad der Verschuldung ein größeres Augenmerk gelegt als auf das Defizit in der Leistungsbilanz. Die Bruttoauslandsverschuldung erreicht in einigen mittel- und südosteuropäischen Ländern über 100% des BIP: in Lettland (137% im Jahr 2008), Ungarn (121%), Estland (117%), Bulgarien (112%) und Slowenien (104%). In Kroatien erreichte die Verschuldung 2008 96% des BIP. Ein Teil der Schulden wird in diesen Ländern 2009 fällig, dies erhöht ihre Krisenanfälligkeit.
Indikatoren, wie die Höhe des Haushaltsdefizits des Staates, des Leistungsbilanzdefizits und der Auslandsverschuldung sagen etwas über die Krisenanfälligkeit eines Landes aus. Wendet man diese Maßzahlen jedoch auf Russland an, erwirtschaftete der Staat in den letzten Jahren Überschüsse: die Staatsverschuldung war gering, die Leistungsbilanz war stark positiv und die Auslandverschuldung ist niedrig. Dennoch musste auch Russland in den letzten Monaten einen wirtschaftlichen Rückschlag hinnehmen, der Rubel wertete ab. Russlands extrem hohe Abhängigkeit von Energieexporten führte dazu, dass der drastische Rückgang der Energiepreise die wirtschaftliche Lage massiv beeinträchtigte und die Strukturschwäche sowohl innerhalb als auch außerhalb des Finanzsektors offen zu Tage tritt. Die Türkei, für mittel- und südosteuropäische Verhältnisse ebenfalls eine wirtschaftliche Großmacht, verfügt über sehr leistungsfähige Unternehmensbereiche, ihre Exporte sind entsprechend stark diversifiziert. Trotzdem sieht sich das Land durch einen wirtschaftlichen Rückschlag konfrontiert – einer Rezession verbunden mit einer Tendenz zur Währungsabwertung. Auch in China, einem Land, das seinen Staatshaushalt stets ausgeglichen hielt und stets hohe Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, hat sich das Wirtschaftswachstum deutlich verlangsamt.
Das Wechselkursregime spielt eine wichtige Rolle
Ist die Leistungsbilanz stark defizitär und die Verschuldung in Fremdwährung hoch, kann ein fixer Wechselkurs, etwa im Rahmen eines Currency Board-Regimes wie in Bulgarien oder Estland, zu einer Zerreißprobe führen. Dies zeigt das Beispiel Lettlands. Eine hohe reale Währungsaufwertung kann in jedem Land dazu führen, dass die Wettbewerbsfähigkeit einer zunehmenden Zahl von Unternehmen schwindet und sie Schwierigkeiten haben, ihre Schulden zu bedienen. Es können sich Situationen entwickeln die an Detroit erinnern, in dem Sinn, dass wichtige Unternehmen ihre Fähigkeit verlieren ohne staatliche Hilfe zu überleben und der Regierung dadurch zusätzliche Lasten aufbürden. Solche Szenarien können sich in manchen mittel- und südosteuropäischen Ländern sowie auch weiter östlich entwickeln. In Ländern mit flexiblem Wechselkurs profitieren die Produzenten handelbarer Güter wenn die Währung des Landes gegenüber den Leitwährungen abwertet, während gleichzeitig jene Unternehmen und Haushalte, die Fremdwährungskredite aufgenommen haben, die Verlierer sind.
Zu einer Abwertung kam es in den letzten Monaten in den Ländern Polen, Rumänien, Russland, Serbien, Tschechien, Türkei, Ukraine und Ungarn. In den meisten Fällen wird sich aufgrund dessen die Lei- stungsbilanz im Verhältnis zum BIP verbessern. In Ländern mit fixem Wechselkurs wird sich die Reduktion des Leistungsbilanzdefizits hingegen nur aus einem Rückgang des BIP und einem damit verbundenen Importrückgang ergeben.
Der Unterschied zwischen Ländern mit flexiblem und fixem Wechselkurs ist auch hinsichtlich der Preisentwicklung von Bedeutung. Länder mit fixen Wechselkursen werden möglicher Weise eine Phase sinkender Preise erleben, wie es ansatzweise bereits sichtbar ist. In Ländern mit flexiblem Wechselkurs hingegen, wird die Abwertung einen preissteigernden Effekt haben, auch wenn dieser geringer ausfallen dürfte als in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität. Laut der wiiw- Prognose hinsichtlich der Verbraucherpreisentwicklung wird es 2009 nur in Ländern mit starker Währungsabwertung, wie Russland und Ukraine zu zweistelligen Inflationsraten kommen. Aber selbst dort dürfte die Inflationsrate geringer ausfallen als 2008.
Wenig Spielraum für antizyklische Fiskalpolitik
Das Defizit des Staatshaushaltes wird in den mittel- und südosteuropäischen Ländern 2009 und 2010 wahrscheinlich steigen, da die Einnahmen vergleichsweise gering ausfallen und die Anforderungen auf der Ausgabenseite gleichzeitig steigen werden. Letzteres wird mit Hilfen für Notleidende Unternehmen innerhalb und außerhalb des Finanzsektors sowie mit höheren Arbeitslosengeldern zu tun haben. Unter diesen Bedingungen werden die meisten Regierungen Mittelund Südosteuropas kaum in der Lage sein, Konjunkturförderungsprogramme größeren Ausmaßes über einen längeren Zeitraum hinweg zu finanzieren. China und Russland werden in dieser Hinsicht einen größeren Spielraum haben dürften.
Keine baldige Rückkehr zu hohen Wachstumsraten
Es ist höchst unsicher, wann es in den Ländern der gesamten Region zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kommen wird, und wie stark er ausfallen wird. Ein Anstieg der Nettoexporte hat das höchste Potential ein künftiger Wachstumsmotor zu werden. Die Außenhandelsbilanz der mittel- und osteuropäischen Länder kann sich jedoch nur verbessern, wenn ihre Handelspartner mehr importieren. Es ist nicht sicher ob Westeuropa oder die USA in den nächsten Jahren solch eine Rolle übernehmen werden. Währungsabwertungen größeren Ausmaßes und die damit zusammenhängende Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit könnte jene zusätzliche Nachfrage schaffen, die für einen Aufschwung nötig ist. Im Falle einer globalen, günstigen Wirtschaftsentwicklung könnte die Wirtschaft der Region 2010 oder 2011 wieder zu wachsen beginnen. Ähnlich hohe Wachstumsraten wie in den letzten Jahren, werden aber vorerst kaum erzielbar sein, weil die Finanzierung von außen nicht so schnell wieder das frühere Ausmaß erreichen dürfte.
Quelle: Ostbörsen-Report
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