Kommentar
18:48 Uhr, 06.04.2005

Öl: Wie weit reicht der "Superanstieg"? Aspekte der jüngsten Rallye

Die OPEC rechnet in ihrer Studie „Oil outlook to 2025“ mit einer weltweit ständig weiter steigenden Ölnachfrage. Von 2002 bis 2010 geht das Öl-Kartell von einem Anstieg der Ölnachfrage um 12 Millionen Barrel auf 89 Millionen Barrel pro Tag (MbpT) (1.8% p.a.) aus. Von 2010-2020 werde die Nachfrage um weitere 17 Millionen Barrel auf 106 MbpT (ansteigen. In den darauffolgenden 5 Jahren sieht die OPEC einen weiteren Anstieg um 9 Millionen Barrel auf 115 MbpT. Somit wird die weltweite Nachfrage nach Öl bis 2025 um fast 50% zunehmen. Drei Viertel dieser Nachfragesteigerung werde durch Entwicklungsländer – primär sei hier Asien genannt - generiert.

Außerhalb der OPEC organisierte Öllieferanten werden nach Einschätzung der OPEC nach 2010 ein Angebotsmaximum bei 55-57 MbpT erreichen. Nach 2010 rechnet die OPEC mit einem zunehmenden Einfluss auf das weltweite Ölangebot. Nach Einschätzung der OPEC sei in den nächsten zwei Jahrzehnten mit einem ausreichenden Angebot an Rohöl zu rechnen, sodass der OPEC-Korbpreis für die weltweit sieben wichtigsten Ölsorten sich bei durchschnittlich $20-$25 einpendeln dürfte (Die OPEC testet derzeit eine Ausweitung des OPEC-Baskets auf 11 Ölsorten). Dabei seien kurzfristige Preisausschläge in beide Richtungen nicht auszuschließen. Aktuell notiert der OPEC-Korbpreis bei $52.27. In 2004 lag der Basket-Preis bei durchschnittlich $36.06, im Jahr davor bei $28.10.

Mitte März beschloss die OPEC eine Erhöhung der maximalen Fördermenge für ihre Mitgliedsstaaten um 500,000 bpT auf 27,5 MbpT. Sollte der Ölpreis anhaltend auf hohem Niveau bleiben, so sieht man bis zum nächsten Meeting am 7. Juni eine erneute Anhebung um 500,000 Barrel vor. Der amtierende Generalsekretär der OPEC Adnan Shihab-Eldin sagte Anfang April, dass die OPEC bereit sei, die Fördermengen um weitere 10% anzuheben, um eine „boom-and-bust“-Situation möglichst zu vermeiden. So sei nebst der Mai-Anhebung der Fördermenge im dritten Quartal eine erneute Anhebung um 500,000 Barrel und im vierten Quartal eine zusätzliche Ausweitung um 800,000 Barrel denkbar. Die folgenden Anhebungen wurden Mitte März durchgeführt:

Altes Produktionsniveau (Barrel pro Tag) Förderanhebung Neues Produktionsniveau (Barrel pro Tag)
Algerien 862,000 16,000 878,000
Indonesien 1,399,000 26,000 1,425,000
Iran 3,964,000 73,000 4,037,000
Kuwait 2,167,000 40,000 2,207,000
Libyen 1,446,000 27,000 1,473,000
Nigeria 2,224,000 41,000 2,265,000
Qatar 700,000 13,000 713,000
Saudi Arabien 8,775,000 162,000 8,937,000
Vereinigte Aarabische Emirate 2,356,000 44,000 2,400,000
Venezuela 3,107,000 58,000 3,165,000
Gesamt 27,000,000 500,000 27,500,000

Vorläufigen Schätzungen von Oil Market Intelligence zufolge lag das Ölangebot weltweit im März 2005 400,000 Barrel pro Tag über der weltweiten Nachfrage. Der prozentuale Zuwachs des weltweiten Ölverbrauchs sank im Vergleich zum Vorjahr, jedoch lag das Verbrauchsvolumen im März 2.1% über dem Vorjahr. Im März 2005 wurden durchschnittlich 84.7 Millionen Barrel pro Tag konsumiert. Das Angebot stieg auf 85.1 Millionen Barrel pro Tag. Wichtigster Punkt dieser Studie ist jedoch, dass das Wachstum der weltweiten Nachfrage beginnt, abzuebben, was den Erwartungen des Marktes entspricht. Auf der anderen Seite wirft der Markt einen genauen Blick auf die weltweiten Rohölvorräte, besonders im Vorfeld der Sommerzeit in Europa und den USA, zu der die Nachfrage nach Benzin wieder ansteigen wird. Der Angebotsüberschuss bleibt weiterhin knapp. Deutliche Nachfragespitzen und die eher träge Reaktion auf der Angebotsseite könnten in den nächsten Monaten weitere Preisspitzen bei Rohöl auslösen.

Obwohl die Preiselastizität der Ölnachfrage in den letzten Monaten relativ hoch war – dass heisst, die Nachfrage reagierte nur unterproportional negativ relativ zu den Preisanstiegen – regten sich gerade in den letzten Wochen vermehrt Stimmen aus verschiedenen Ländern, die auf eine wachsende Unbehaglichkeit bezüglich der Rohölpreise hindeuteten. Die Wachstumserlangsamung in der März-Studie von Oil Market Intelligence könnte ein Hinweis auf eine fallende Preiselastizität der Nachfrage nach Rohöl sein, jedoch dürften freilich noch weitere Datenreihen nötig sein, um einen Trend auszumachen.

Der durchschnittliche von der OPEC für die nächsten zwei Jahrzehnte prognostizierte Preis von $20-$25 sei fundamental durch mehrere Faktoren gerechtfertigt. Die erste fundamentale Annahme sei, dass in diesem Zeitraum für ein ausreichendes Angebot gesorgt werden könne. Zum Zweiten sei dieser Preis auf einer Höhe, die die Erschließung sehr teurer Ölvorräte nicht rentabel mache. Sollte es zur Erschließung sehr teurer Ölvorräte kommen, so drohe Überkapazität und ein Einbruch des Ölpreises, so die OPEC. Eine drohende Überkapazität sei jedoch bei einem langfristigen Durchschnittspreis von $20-$25 je Barrel nicht zu erwarten. Drittens sei ein Preis auf diesem Niveau ausreichend, um die nötigen Kräfte in Bewegung zu setzen, um den Markt mit dem nötigen Angebot zu versorgen. Last but not least sieht die OPEC auf diesem Preisniveau auch die Budgetanforderungen der Mitgliedsstaaten als „erfüllt“ an.

Während die OPEC einen deutlichen Rückgang der Ölpreise erwartet, gibt es namhafte Vertreter am Markt, die der aktuellen Aufwärtsbewegung bei Rohöl noch viel Potential beimessen. So warnen die Experten der renommierten US-Investmentbank Goldman Sachs vor einem weiteren deutlichen Anstieg des Ölpreises. „Die Ölmärkte könnten gerade erst am Anfang der Phase eines ,Superanstiegs’ stehen“, so die Analysten. Der Preis für US-Leichtöl könnte so in der Spitze bis auf $105 je Barrel steigen, so die Analysten. (Der Preis für US-Leichtöl liegt in der Regel $2-$3 über dem Preis für die Nordsee-Sorte Brent, die in London an der IPE gehandelt wird. US-Leichtöl wird an der NYMEX gehandelt). Innerhalb der gerade laufenden Übertreibungsphase gehen die Experten von einem Preis zwischen $50-105 aus, nach zuvor $50-$80. Goldman Sachs hoben in Folge ihre Prognose für den durchschnittlichen Ölpreis für 2005 und 2006 auf $50 bzw. $55 an. Bisher lagen die Prognosen für beide Jahre bei $40. Unter anderem begründeten die Analysten ihre Prognose mit dem „unverwüstlichen weltweiten Nachfrageanstieg“ und der wachsenden spekulativen Komponente bei der Preisbildung von US-Leichtöl. Nur bei einer deutlichen Wachstumsverlangsamung der Konjunktur der asiatischen Länder gebe es Hoffnung auf eine Entspannung beim Ölpreis, so Goldman Sachs.

Fazit:
Wie weit die aktuell laufende Rallye andauern wird, kann wohl niemand mit Gewissheit sagen. Die weltweit knappen Lagerbestände und das knappe Verhältnis zwischen weltweiten Ölangebot und Ölnachfrage machen den Ölpreis anfällig für weitere scharfe Preisspitzen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit dürfte in den nächsten Monaten der Erfolg der chinesischen Regierung bei den Maßnahmen zur Abkühlung des Wirtschaftswachstums sein. Nicht nur bei Öl, sondern im gesamten Rohstoffsektor, dürfte ein plötzliche Wachstumsrückgang der chinesischen Wirtschaft zu deutlichen Korrekturen sorgen. Mehrere Vertreter der OPEC und westlicher Regierungen haben sich in den letzten Wochen dahingehend geäußert, dass der spekulative Anteil an der Preisbildung von Rohöl derzeit enorm sei. Genauso schnell, wie die Ölpreise gestiegen sind, dürften sie demzufolge auch wieder in sich zusammenbrechen, sollte den Spekulationen der Nährboden durch ein Drehen der fundamentalen Ausgangslage genommen werden. Behalten Sie diesen Aspekt bei möglichen Investitionsentscheidungen im Rohstoffsektor im Auge und sichern Sie Ihre Positionen ausreichend ab, um nicht auf der Verliererseite der jüngsten Rohstoffrallye zu stehen.

Jochen Stanzl – BörseGo GmbH

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