Kommentar
16:32 Uhr, 18.04.2024

Notenbanken: Mehr oder weniger Unabhängigkeit?

Notenbanken betonen regelmäßig, dass ihre Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. Die Geschichte gibt ihnen recht.

Wie unabhängig Notenbanken heute sind, darüber lässt sich streiten. Vor wenigen Jahren durfte man daran große Zweifel haben. Der Kauf von Staatsanleihen, Nullzinspolitik und andere Interventionen erweckten den Eindruck, dass Notenbanken alles und jeden retten wollen. Dadurch machten sie sich auch erpressbar. Wenn Notenbanken zur Rettung eilen, können Regierungen auch verantwortungslos Schulden machen.

Die Schulden wurden in einer Zeit gemacht, in der die Inflation niedrig war. Als die Inflation plötzlich stieg, glaubte niemand daran, dass Notenbanken die Zinsen so schnell anheben würden, wie sie es getan haben. Noch bei der ersten Zinsanhebung in den USA dachte man, dass das Hoch bei 2 % erreicht sein würde. Von wegen.

Mit der Zeit passten Marktteilnehmer ihre Erwartungen an. Man glaubte Notenbanken, dass es ihnen ernst ist. Wie ernst es ihnen ist und wie wenig Rücksicht sie auf Staatsschulden nehmen, legen die USA dar. Die Zinsausgaben haben sich im Vergleich zu 2019 vervierfacht. Zinsen nehmen 15 % des jährlichen Budgets ein. Hätte die Notenbank auf die Folgen hoher Schulden Rücksicht genommen, wäre die Zinswende ganz anders verlaufen.


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Notenbanken sind unabhängiger, als man es ihnen vor wenigen Jahren zugetraut hatte. Unabhängigkeit wird als Schlüssel für den Erfolg gesehen. Der endgültige Beweis dafür steht aus. Die Historie gibt allerdings Hinweise, dass unabhängige Notenbanken effektiver sind. Das ist nicht nur in Europa oder den USA so.

Ein Kontinent, der von einer Inflationskrise in die nächste rutschte, war Südamerika. In einigen Ländern erreichten die Inflationsraten in den 80er-Jahren mehrere tausend Prozent. Bis zu diesem Zeitpunkt nahm die Unabhängigkeit von Notenbanken ab. Weniger Unabhängigkeit fiel mit steigender Inflation zusammen (Grafik 1).

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Mit den Ausnahmen Venezuela und Argentinien sind südamerikanische Länder in der jüngsten Inflationskrise sehr gut davongekommen. Hohe Unabhängigkeit dürfte einen raschen Rückgang der Inflation ermöglicht haben. Zum Teil sind die Inflationsraten niedriger als in Nordamerika oder Europa.

In Nordamerika und Europa gab es in den 70er-Jahren die große Inflationswelle. Auch dieser Entwicklung ging eine leichte Aufweichung der Unabhängigkeit voran (Grafik 2). Der Rückgang war allerdings so moderat, dass man den Zusammenhang bestenfalls vermuten kann. Dennoch, sowohl die Inflation der 70/80er-Jahre und die zurückliegende, kleinere Inflationswelle passen ins Bild. Unabhängige Notenbanken sind effektiver in der Inflationsbekämpfung. Leider wünschen sich immer mehr politische Parteien in immer mehr Ländern eine Änderung. Das muss verhindert werden.

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1 Kommentar

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  • masi123
    masi123

    Manche Notenbanker nehmen vielleicht nicht so viel Rücksicht auf die Staatsverschuldung und die daraus resultierende Zinslast. Diese müssen i. Ü. letztlich von den Steuerzahlern, also allen Bürgern getragen werden. Allerdings nimmt speziell die FED spätestens seit dem sog. Greenspan-Put immens Rücksicht auf Finanzinstitute und Börse. Heute spricht man auch von too big to fail (vgl. z.B. Credit Suisse).

    Nicht vergessen sollte man, dass es die Subprime-Kredite bzw. deren Handel durch die Finanzindustrie waren, die zu der letzten Finanzkrise und ihren Folgen, wie der Ausweitung der Staatsverschuldung (Subventionen, Rettungspakete etc.) und daraus wiederum resultierend verschiedener QE-Maßnahmen (zur Finanzierung) mit einer starken Ausweitung der Geldmenge, geführt haben. Dies ist wohl die Wurzel der derzeitigen hochinflationären Phase.

    Inwieweit also eine Unabhängigkeit oder besser Unparteilichkeit der Notenbank besteht, ist die Frage.

    21:28 Uhr, 18.04.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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