Kommentar
10:54 Uhr, 26.11.2012

Nicht noch ein Schuldenschnitt

Noch ein Schuldenschnitt für Griechenland?
EZB und IWF werben für einen weiteren Schuldenerlass der Gläubigerländer Griechenlands. Diesmal sollen nicht die Privaten bluten wie im Frühjahr 2012, sondern die öffentlichen Geldgeber. Bis zu 50% Abschlag sind im Gespräch, um den Griechen den Weg zu einer „tragfähigen“ Schuldenhöhe zu ermöglichen. Wenn sich diese mächtige Allianz gegen den noch starken deutschen Widerstand durchsetzen sollte, wäre der Mythos, die Rettungspolitik koste real kein Geld, da es sich ja „nur um Garantien“ handele, endgültig widerlegt.

Abgesehen davon, dass sich deutsche und andere europäische Steuerzahler zu Recht fragen werden, warum sie für Schulden anderer Regierungen haften sollen: Genau das, was durch die Griechenlandrettung angeblich vermieden werden soll, nämlich ein nicht zu beherrschender Dominoeffekt, wird durch eben dieses geplante Vorgehen ins Rollen gebracht. Denn dann kann man sich eine Sanduhr hinstellen und abwarten, wann der nächste Kandidat, und das völlig zu Recht, fragen wird: Warum kriegen die Griechen ZWEI Schuldenschnitte – und wir sollen unsere Schulden komplett bedienen?

Die Unterstützung der EZB für einen abermaligen Schuldenerlass macht leider genau unter diesem Aspekt Sinn. Man muss nur im Hinterkopf haben, wer der Chef ist (bzw. woher er kommt) und welche Fraktionen inzwischen die Politik der EZB bestimmen. Deutschland ist schon seit geraumer Zeit mehr oder weniger vollständig isoliert im EZB-Rat. Die Mittelmeerstaaten haben de facto die Kontrolle übernommen – und allesamt haben sie ein großes Schuldenproblem – das am besten die anderen lösen sollen. Die anderen, das ist Deutschland.
Wenn also heute die EZB – bzw. die Personen in der EZB, die etwas zu sagen haben – öffentlich fordern, dass die europäischen Geberländer den Griechen einen weiteren Teil der Schulden erlassen mögen, dann könnte dahinter ganz einfach nacktes Eigeninteresse stehen. Es fällt so wesentlich leichter, später auch für Spanien, Italien und evtl. sogar Frankreich ebenso eine Teilentschuldung zu fordern, wie auch immer die dann umgesetzt werden soll.

Halten Sie das für etwas zu weit gesponnen? Geht die Fantasie mit mir durch?
Dazu muss man sich nur in Erinnerung rufen, wie im Frühjahr 2010 behauptet wurde, Griechenland werde „jeden Cent“ zurückzahlen. Wie viele Positionen sind danach einfach fallengelassen worden? Gegen wie viele geschriebene und ungeschriebene Regeln der Eurozone wurde verstoßen?

Deutschland muss jetzt höllisch aufpassen. Ein schwieriger Spagat ist vonnöten, der die Interessen des eigenen Landes betont, gleichzeitig aber die Union mit den europäischen Partnern nicht gefährdet. Im konkreten Fall Griechenlands ist eine Reduzierung der Zinslast durch niedrigere Kupons auf die öffentlich gehaltenen Schulden ein gangbarer Weg, der nicht sonderlich schmerzhaft ist.
Massive Konflikte sind aber vermutlich kaum zu vermeiden. Die deutsche Regierung muss nein und nochmals nein sagen zu weiteren Schuldenschnitten und zu einer Ausweitung der Schuldenunion. Ferner muss sie für den Extremfall– wenn auch besser unausgesprochen – das Ende der Währungsunion als allerletzte Option im Hinterkopf behalten. Ohne zumindest implizite Drohkulisse braucht sich Deutschland gar nicht an den Verhandlungstisch setzen.

Ihr
Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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