Kommentar
08:51 Uhr, 11.08.2016

Neue Chancen in der Weltwirtschaft

  • Die Weltwirtschaft differenziert sich. Es gibt unterschiedliche Konjunkturzyklen in den Industrie- und den Entwicklungsländern.
  • Für die Realwirtschaft ist das ein zweischneidiges Schwert. Die Weltwirtschaft stabilisiert sich, der Handel gleicht konjunkturelle Unterschiede aber nicht mehr aus.
  • Für die Anleger sind es gute Nachrichten: Der gegenwärtige Kursaufschwung an den Börsen der Emerging Markets kann noch länger dauern.

In der Weltwirtschaft vollziehen sich derzeit Veränderungen, die ich so bisher noch nie gesehen hatte. Sie haben erheb­liche Auswirkungen nicht nur auf das globale Wachstum, sondern auch auf die Kapitalmärkte und die Anleger.

Bisher sind wir immer davon ausgegangen, dass sich auch die Weltwirtschaft in Zyklen bewegt. Es gibt zwar immer das eine oder andere Land, das zeitweise ausschert und seinen eigenen Weg geht. Die Wachstumsraten von Industrie- und Entwicklungsländern sind auch unterschiedlich hoch. Aber insgesamt gesehen konnte man doch ein gemeinsames Muster erkennen. Wenn es in den Industrieländern nach oben ging, dann war das auch in den Emerging Markets
der Fall. Umgekehrt, wenn sich die Konjunktur abschwäch­te, waren davon sowohl Industrie- als auch Entwicklungs­länder betroffen.

Damit scheint es jetzt erst einmal vorbei zu sein. Die Schwellen- und Entwicklungsländer wachsen zwar im­mer noch schneller als die Industrieländer. Beim Timing eman­zipieren sie sich jedoch. Zum ersten Mal in der Geschichte der Nachkriegszeit entwickelt sich die wirtschaftliche Dyna­mik in den Industrie- und den Entwicklungsländern nicht mehr parallel, sondern gegenläufig.

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Schauen Sie sich die Grafik an. In den Jahren 2013 bis 2015 erlebten die Industrieländer einen ordentlichen Auf­schwung. Ihre Wachstumsrate erhöhte sich von 1,3 % auf 1,9 %. Gleichzeitig schwächte sich die Dynamik in den Schwellen- und Entwicklungsländern ab. Das Wachstum für die Gruppe insgesamt verringerte sich von 5 % auf 3,8 %. Angesichts der hohen Wachstumsraten, an die sich diese Länder in den letzten Jahren gewöhnt hatten, war das gefühlt eine Rezession. Vielen von ihnen ging es richtig schlecht.

»Zum ersten Mal in der Geschichte der Nachkriegszeit entwickelt sich die wirtschaftliche Dynamik in den Industrie- und den Entwicklungsländern nicht mehr parallel, sondern gegenläufig.«

In diesem und dem nächsten Jahr dreht sich die Situation. Die Industrieländer verlieren an Schwung. Ihr Wachstum verringert sich wieder auf 1,3 %. In den Schwellen- und Ent­wicklungsländern geht es dagegen kräftig nach oben. Sie werden aller Voraussicht nach im nächsten Jahr wieder eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts von 4,6 % errei­chen.

Manche sehen das als eine neue zyklische Gesetzmäßig­keit. Wenn es in den Industrieländern nach oben geht, schwächen sich die Entwicklungsländer ab und umgekehrt. Mit so weitgehenden Schlussfolgerungen wäre ich jedoch vorsichtig. Das was die gegenwärtige Verschiebung der Zy­klen ausgelöst hat war nämlich weitgehend ein einmaliger Vorgang: Die Krise in der Dritten Welt. In den Zeiten boo­mender Rohstoffpreise gab es dort eine Wachstums-Bo­nanza. Alles schien gut, und viele glaubten, der Boom könne nie zu Ende gehen. Daraus entwickelten sich Über­trei­bung­en. Es kam zu Fehlinvestitionen. In Politik und Wirt­schaft machten sich Schlendrian und Korruption breit. Bes­tes Bei­spiel ist Brasilien. Das musste mit einem schmerz­haften Wachstumseinbruch korrigiert werden. Jetzt nähert sich die Anpassung ihrem Ende. In einer Reihe von Ländern geht es wieder aufwärts.

Was bedeutet diese Verschiebung zwischen den Zyklen der einzelnen Ländergruppen? Die gute Nachricht: Die Weltwirt­schaft ist stabiler. Die Schwäche des einen wird durch die Stärke des anderen kompensiert. Das erklärt, dass die glo­bale Wachstumsrate in den letzten Jahren so stabil war. Sie bewegte sich sechs Jahre hintereinander in der engen Bandbreite zwischen 3 % und 4 %. So etwas hat es meines Wissens noch nicht gegeben.

Die schlechte Nachricht: Die Integration in der Weltwirt­schaft leidet. Die zentrifugalen Kräfte nehmen zu. Die Men­schen haben nicht mehr den Eindruck, dass sie alle in ei­nem Boot sitzen. Es sind verschiedene Boote mit unter­schiedlichen Interessen unterwegs. Der Welthandel erfüllt nicht mehr seine ausgleichende Funktion. Früher wuchs er in der Regel doppelt so schnell wie die Weltproduktion. Jetzt stagniert er, zeitweise schrumpft er sogar. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Sie spiegelt die zunehmenden Ab­schottungstendenzen in einzelnen Ländern und die Schwie­rigkeiten, neue regionale Freihandelsabkommen zu schlie­ßen. Sie birgt auch das Potenzial für politische Spannun­gen.

Der Anleger

kann sich freuen. Zum einen bedeutet die Aufwärtsentwick­lung in den Emerging Markets, dass die "Trockenperiode" auf den Finanzmärkten dieser Länder dem Ende zugehen könnte. Seit 2011 sind die Börsen der Schwellen- und Ent­wicklungsländer zusammengenommen – anders als die der Industrieländer – insgesamt gesehen nicht mehr gestiegen. Der MSCI Emerging Markets notiert heute auf demselben Niveau wie im Herbst 2009 unmittelbar nach der Finanzkri­se. Seit Anfang dieses Jahres hat sich die Entwicklung ge­dreht. Die Kurse sind um fast 25 % gestiegen. Wenn es richtig ist, dass sich diese Länder in einer konjunkturellen Erholung befinden, die noch länger anhält, dann könnte die­se Aufwärtsentwicklung noch kräftig weitergehen.

Und noch etwas: Wenn sich die konjunkturelle Schaukel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fortsetzen soll­te, dann ergäben sich auch daraus weitere Chancen. Dann hätte der Anleger immer einen Bereich, wo er Geld verdie­nen könnte – entweder in den Industrieländern oder in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Langfristige Investor­en könnten daran denken, sich gleichzeitig Fonds aus In­dustrieländern und Fonds aus Emerging Markets ins Depot zu legen. Oder sie könnten in einen Welt-Aktienfonds inves­tieren, der auf lange Sicht größere Stabilität verspre­chen müsste.

1 Kommentar

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  • tschak
    tschak

    Absolut. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Als Österreicher finde ich die Rendite natürlich -risikoadjustiert- noch immer leichter AUSSERHALB des ATX, ATX-Prime, nämlich in USD-Aktien oder EM - lustigerweise. Naja, so lustig ist das eigentlich garnicht, "traurige" Realität. Einen HOME-BIAS à la Warren Buffet kann ich mir leider nicht leisten (als Ösi)...

    12:57 Uhr, 11.08.2016