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13:30 Uhr, 16.05.2024

Nagel: Operativer Handlungsrahmen könnte Geldmarkt schwächen

DJ EZB/Nagel: Operativer Handlungsrahmen könnte Geldmarkt schwächen

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel darauf achten, dass ihr neuer operativer Handlungsrahmen mit seiner geringeren Differenz zwischen Hauptrefinanzierungs- und Einlagensatz nicht zu einer unangemessenen Schwächung des Marktprinzips führt. Nagel sagte in einem Seminar zu Geldtheorie und Geldpolitik laut veröffentlichtem Redetext, die EZB müsse dem Prinzip des offenen Markts genug Raum geben, ohne dabei eine zu starke Volatilität der kurzfristigen Marktzinsen zu riskieren. Im Zweifelsfall müsse die EZB ihren Handlungsrahmen erneut anpassen.

Die EZB wird ab Mitte September den Abstand (Spread) zwischen Hauptrefinanzierungssatz und Bankeinlagensatz von derzeit 50 auf 15 Basispunkte verringern. Sie reagiert damit auf die Perspektive einer sich verringernden Überliquidität im Bankensektor und die Ungewissheit über den genauen Liquiditätsbedarf der Akteure. Der geringere Zinsabstand schafft für einige Marktteilnehmer Anreize, sich Liquidität nicht bei anderen Banken zu besorgen, sondern bei der EZB.

Nagel sagte dazu: "Derzeit bepreisen die Geldmarktteilnehmer die meisten unbesicherten Übernachtgeschäfte mit einer engen Spanne von null bis 10 Basispunkten. Für dieses Segment scheint die künftige Spanne von 15 Basispunkten ausreichend zu sein, um wirtschaftliche Anreize für eine gewisse Marktaktivität zu schaffen. Die meisten dieser Transaktionen finden zwischen Banken und Nichtbanken statt."

Für Interbankengeschäfte könnten Nagel zufolge jedoch höhere Spreads erforderlich sein. "In den längerfristigen Geldmarktsegmenten könnte eine Spanne von 15 Basispunkten dazu führen, dass viele Transaktionen, die auch bei einer größeren Spanne möglich sind, vom Markt verdrängt werden", sagte er.

Beeinflusst wird durch den niedrigeren Zinsabstand auch die Liquiditätshaltung der Banken. Die Institute müssen einen Mindestbestand an erstklassigen liquiden Aktiva (HQLA) halten, um ihre Nettoliquiditätsabflüsse in den nächsten 30 Tagen auszugleichen. Eine Möglichkeit, diese Anforderungen zu erfüllen, ist die Aufnahme von Reserven beim Eurosystem, die als HQLA definiert sind. Als Sicherheit reichen die Banken Assets ein, die keine HQLA sind. Auf diese Weise wandeln sie Banken illiquide und minderwertige Assets in hochwertige um, was als Sicherheitentransformation bezeichnet wird.

Nagel sagte: "Die Opportunitätskosten dieses Geschäfts betragen derzeit 50 Basispunkte, das heißt, die Differenz zwischen dem Hauptrefinanzierungssatz und dem Satz der Einlagefazilität. Die Banken haben also einen starken finanziellen Anreiz, sich gegen das Liquiditätsrisiko auf dem Markt zu versichern. Eine Senkung des Spreads auf 15 Basispunkte könnte die Opportunitätskosten senken und Anreize schaffen, von der Markt- zur Zentralbankfinanzierung zu wechseln."

Der konkrete Nutzen einer stärker von den Marktkräften beeinflussten Bankenrefinanzierung ist Nagel zufolge zwar schwer zu messen, das sie zu einer effizienteren Allokation von Ressourcen führe sei aber wohl unbestritten, sagte Nagel.

Ebenso schwer messbar sind Nagel zufolge allerdings die Folgen einer erhöhten Volatilität der Geldmarktsätze. Zu solchen Schwankungen könnte es kommen, wenn sich die EZB zu stark aus der Steuerung heraushält. Nagel zufolge wird die EZB nach Start des neuen operativen Rahmens genau darauf achten, wie sich die Volatilität entwickelt. Ist sie zu hoch, könnte das das Erreichen des geldpolitischen Ziels gefährden.

Nagel zufolge wird die EZB genau darauf achten, wie sich Volatilität und Geldmarktaktivität entwickeln. "Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir fähig und flexibel sind, uns an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Lassen Sie uns dafür offen sein, jetzt und in Zukunft", sagte er.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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