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18:30 Uhr, 12.02.2025

Nagel: Neutraler Zins könnte höher als 2-1/4% sein

Von Hans Bentzien

DOW JONES--Die Bundesbank sieht nach den Worten ihres Präsidenten Joachim Nagel das Risiko, dass der so genannte neutrale Zins, unterhalb dessen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) expansiv wirkt, etwas höher als von der EZB geschätzt ist. Das birgt das Risiko, dass die EZB im Zuge weiterer Zinssenkungen eine zu lockere Geldpolitik verfolgen und damit Inflationsgefahren heraufbeschwören würde. In einer Vorlesung an der London School of Economics (LSE) verwies Nagel laut veröffentlichtem Redetext auf die kürzlich veröffentlichte Schätzung eines neutralen Nominalzinses von 1-3/4 bis 2-1/4 Prozent und sagte: "Schätzungen von Bundesbankmitarbeitern für Ende 2024 deuten auf eine Spanne von 1,8 bis 2,5 Prozent hin."

Aus dem Holston-Laubach-Williams-Modell abgeleitete Schätzungen der EZB für den neutralen Zins für das dritte Quartal 2024 liegen Nagel zufolge sogar bei 1,75 bis 3 Prozent. "Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich die Spanne der R-Star-Schätzungen gegenüber ihren Tiefstständen höchstwahrscheinlich um etwa einen Prozentpunkt erhöht hat", sagte er. Zu ähnlichen Ergebnissen seien Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gekommen. Die EZB hatte den Anstieg auf nur 30 Basispunkte geschätzt.

Nagel wies auf einen weiteren Grund hin, warum der neutrale Zins höher sein könnte als angenommen: Seine Schätzung beziehe sich heutzutage auf Renditen der relativ sicheren Staatsanleihen. In Knut Wicksells ursprünglicher Definition des natürlichen Zinssatzes sei dagegen die Rendite des physischen Kapitals im Gleichgewicht gewesen. "Die Rendite des physischen Kapitals ist die Kapitalrendite in der Realwirtschaft. Und diese Rendite ist sehr stark mit Risiken verbunden", sagte Nagel.

Diese Perspektive sei jedoch in praktisch allen Modellansätzen verloren gegangen, mit Blick auf die Realwirtschaft wäre aber eine risikobehaftete Kapitalrendite der geeignetere Maßstab. Nagel verwies darauf, dass die Renditen auf privates Kapital in den vergangenen Jahrzehnten in den USA, in Deutschland und im Euroraum insgesamt weitgehend stabil geblieben seien.

Der EZB-Einlagenzins liegt derzeit bei 2,75 Prozent. Die meisten Analysten rechnen damit, dass die EZB diesen Zinssatz bis Juni auf 2,00 Prozent senken wird.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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