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15:15 Uhr, 22.10.2024

Nagel gegen Zinsprognosen der EZB-Ratsmitglieder

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - Mitglieder des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) sollten nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel nicht dazu gezwungen werden, ihre Erwartungen zur Leitzinsentwicklung öffentlich zu machen, selbst wenn diese Prognosen anonymisiert wären. Nagel sagte in einer Rede in der Harvard University, ein solches Vorgehen würde die Unabhängigkeit des Gremiums gefährden und brächte keinen nennenswerten Nutzen bei der Kommunikation der Geldpolitik.

Nagel verwies auf die vor zehn Jahren von der EZB getroffene Entscheidung, in ihren Sitzungsprotokollen einerseits den in dem Gremium gefundenen Konsens zu übermitteln, aber zugleich anonymisiert das volle Meinungsspektrum zu präsentieren. Trotz der Anonymität der vorgebrachten Argumente versuchten die Märkte und die Medien jedoch weiterhin, die Identität der dahinter stehenden Personen zu ermitteln.

Nagel sagte laut veröffentlichtem Redetext weiter: "Da zahlreiche Mitglieder des EZB-Rats ihre Ansichten zur Geldpolitik in Reden und Interviews zum Ausdruck bringen, stellt die Identifizierung ihrer Positionen keine besondere Herausforderung dar. Wenn es anonyme Dot Plots von EZB-Ratsmitgliedern gäbe, würden die Medien und die Märkte wahrscheinlich ebenfalls versuchen, jedem Punkt einzelne Mitglieder zuzuordnen."

Der Hauptunterschied zwischen Reden und Dot Plots bestehe darin, dass die Mitglieder des EZB-Rats freiwillig Reden halten. Im Gegensatz dazu würden die Dot Plots alle EZB-Ratsmitglieder dazu zwingen, regelmäßig ihre Ansichten über die künftige Entwicklung der Zinssätze darzulegen. Dies, so Nagel, könnte die Unabhängigkeit des EZB-Rat beeinflussen.

"Sobald die nationalen Interessengruppen von den Ansichten 'ihres' Vertreters über die künftigen Zinssätze erfahren, können sie Druck auf den Vertreter ausüben, damit dieser sich den nationalen Interessen anpasst", gab Nagel zu bedenken. Die EZB sei gut beraten, sich nicht in eine Situation zu begeben, die den Druck auf sie erhöhen könnte, so zu handeln, wie andere es von ihr erwarteten.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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