Nagel: EZB müsste auf Inflation durch Angebotsschocks reagieren
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Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones) - Die Europäische Zentralbank (EZB) müsste nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel ihre Geldpolitik straffen, wenn die Inflation durch Angebotseffekte auf über 2 Prozent zu steigen drohen sollte. Nagel sagte bei der Frühjahrskonferenz der Bundesbank, geopolitische Spannungen, die demografische Alterung und der Klimawandel beziehungsweise die zu seiner Bremsung ergriffenen Maßnahmen könnten die Inflation treiben, und dann müsste die EZB entsprechend ihrem Mandat reagieren. Folgende Punkte machte Nagel laut veröffentlichtem Redetext:
1. Geopolitische Unsicherheiten
"Wir haben gerade auf die harte Tour gelernt, dass kosteneffiziente globale Produktionsketten und Handelsmuster plötzlich zum Stillstand kommen können", sagte der Bundesbankpräsident. Natürlich sei es nicht sinnvoll, auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung gänzlich zu verzichten. Um die Widerstandsfähigkeit zu verbessern, erscheine jedoch eine gewisse Form des De-Risking sinnvoll, insbesondere bei strategisch wichtigen Gütern. "Wir sollten bedenken, dass eine größere Sicherheit der Lieferketten wahrscheinlich mit einem gewissen zusätzlichen Preisdruck einhergeht."
2. Arbeitskräfteverknappung durch Demografie
In Deutschland gibt es derzeit Nagel zufolge trotz der schwachen Konjunktur durchschnittlich 1,2 offene Stellen pro Arbeitslosem. Vor 2015 schwankte diese Zahl demnach meist zwischen 0,2 und 0,5. "Unseren Prognosen zufolge wird das Erwerbspersonenpotenzial ab 2026 um durchschnittlich 80.000 Personen pro Jahr abnehmen. Diese Entwicklung könnte zu einem anhaltend höheren Lohnwachstum und, als Nebenprodukt, zu einer stärkeren inländischen Inflation führen", sagte Nagel. Angesichts der geopolitischen Unwägbarkeiten sei die Verlagerung der Produktion möglicherweise nicht mehr so einfach möglich wie früher.
3. Kosten der Dekarbonisierung
Der Umbau zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft kann nach Nagels Aussage während einer Übergangszeit zu einem Inflationsdruck beitragen. Allerdings gebe es widersprüchliche Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Dekarbonisierung - auch wegen der dynamischen und allgemeinen Gleichgewichtseffekte der Kohlenstoffpreise und anderer klimapolitischer Maßnahmen, die den anfänglichen inflationären Auswirkungen entgegenwirken können. Einerseits werde die Dekarbonisierung der Stromerzeugung laut IWF weltweit zu einer zusätzlichen Inflation von 0,1 bis 0,4 Prozentpunkten pro Jahr führen. "Andererseits haben Kollegen vom Forschungszentrum der Bundesbank gezeigt, dass Schocks aufgrund des Übergangsrisikos den Preisanstieg bisher gedämpft haben könnten."
Nagel verwies darauf, dass die EZB nicht wisse, wie stark sich diese Faktoren auf die Preise auswirken würden und ob die Preisdynamik aus der Zeit vor der Pandemie wieder am Horizont auftauchen werde oder nicht. Er fügte aber hinzu: "Eines ist klar: Unser Mandat ist Preisstabilität." Sollte es mittelfristig zu einem stärkeren Preisdruck kommen, müsse die EZB dagegen vorgehen.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/kla
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