Kommentar
09:50 Uhr, 06.09.2016

Nach Brexit-Votum: Hat die Bank of England übertrieben?

Die britische Notenbank hat durch ein umfassendes Maßnahmenpaket im August Fakten geschaffen. Nun stellt sich immer mehr heraus: Es waren wohl die falschen.

Notenbanken und Anleger können gleichermaßen von geldpolitischer Lockerung gar nicht genug bekommen, unabhängig davon, ob die Maßnahmen gerechtfertigt sind oder nicht. Letzteres ist wohl in Großbritannien der Fall. Die Notenbank hatte im August ein Maßnahmenpaket beschlossen, welches für ein Weltuntergangsszenario ausreicht. Der antizyklische Kapitalpuffer für Geschäftsbanken wurde auf 0 % gesenkt, ebenso wurden die Zinsen auf ein neues Rekordtief gedrückt und ein neues Wertpapierkaufprogramm aufgelegt.

All diese Maßnahmen wurden relativ zügig beschlossen. Zweifellos hatte der Markt das auch erwartet. Die Notenbank hat ihr Möglichstes getan, um diese Erwartungen hochzuschrauben. Im Juli hatte sie bei ihrer Sitzung noch keine Maßnahmen beschlossen, aber deutlich gesagt, was sie für August erwartet. Ein Zurück gab es danach nicht mehr.

Die Notenbank hatte die Maßnahmen praktisch ohne Fakten beschlossen. Es gab nach dem Referendum Ende Juni einige Indikationen für einen Abschwung. Die Einkaufsmanagerindizes für das Gewerbe und die Industrie sackten ab. Sie fielen unter die Marke von 50 Punkten, welche die Grenze zwischen Expansion und Kontraktion darstellt. Der Einbruch der Indizes war im Juli stark ausgeprägt (siehe Grafik). Im August ist nun die Gegenreaktion ebenso stark ausgeprägt. Die Grafik zeigt die Abweichung von der 50 Punkte Marke. Nachdem beide Indizes im Juli unter diese Marke rutschten, sind sie nun wieder deutlich darüber.

Der Index für das Gewerbe stieg im August so stark wie selten zuvor und klettert sogar auf den höchsten Stand seit knapp einem Jahr. Nun ist es nicht das Gewerbe, welches der bestimmende Faktor für die britische Wirtschaft ist. Industrie und Gewerbe machen lediglich 10 % der Wirtschaftsleistung aus. Der Dienstleistungssektor ist sehr viel wichtiger.

Der Index des Dienstleistungssektors brach im Juli ebenfalls stark ein. Inzwischen stellt sich jedoch auch hier heraus, dass es sich um einen kurzfristigen Effekt handelte. Briten gehen nach wie vor einkaufen. Das Wachstum der Konsumausgaben ist ungebrochen hoch. Auch die Kreditvergabe an Verbraucher und Unternehmen geht reibungslos weiter.

Kurz gesagt: es gab nach dem Referendum einen kurzen, emotionalen Schock. Praktisch hat sich davon in der Realwirtschaft nichts materialisiert.

In den kommenden Jahren wird der Brexit seine Spuren zweifelsohne hinterlassen. Die große Katastrophe bleibt jedoch aus. Möglicherweise wird es nicht einmal zu einer Wachstumsdelle kommen. Mit viel Fantasie lässt sich aber sogar ein Boom erkennen, getrieben vom schwachen Pfund, welches Exporte begünstigt und viele Touristen anlockt.

Nun hat also die Notenbank mitten in der Hochkonjunktur eine massive Lockerungsübung veranstaltet, weil sie harte Fakten nicht abwarten konnte. Das ist ein großes Problem. Die Folgen einer unangemessen lockeren Geldpolitik kann man sich gut ausmalen. Die Verschuldung steigt zu schnell und es bilden sich Preisblasen, z.B. auf dem Immobilienmarkt. Dem hat die Notenbank aktuell nichts entgegenzusetzen. Sie kann die geldpolitische Lockerung wohl kaum zurücknehmen. Sie muss nun erst einmal warten.

Würde die BoE ihre Politik, bevor sie komplett umgesetzt wurde, beenden, kann dies zu einer heftigen Marktreaktion und zu dem befürchteten, aber bisher ausgebliebenen Schock führen. Wartet sie ab und lockert wie angekündigt, wird sie am Ende des Programms Probleme haben, den angerichteten Schaden zu korrigieren. Der Schaden dürfte vor allem aus zu hohem Schuldenwachstum und hoher Inflation bestehen. Ich bin gespannt wie die Notenbank da wieder herauskommt.

Clemens Schmale

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4 Kommentare

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  • Credo
    Credo

    Ist ja schon lustig und irgendwie tragisch: wenn man da so rumliest in den letzten Jahren gibt es eigentlich nur ein Fazit: Heerscharen von Leuten verpulvern ihre Zeit für Analysen, Prognosen, Begründungen dieser etc., mit meistens demselben Effekt: man hätte genausogut nix analysieren und schreiben können. Brexit = Schock, Frankenstärke = CH-Pleite, dann die Zahlen. Oha alles doch viel schöner als befürchtet. Korrigierendes Handeln? Nicht möglich, gäbe ja einen Schock. Ui,Ui, das ist aber seeehhhhr gefährlich! Falls doch nix passiert warens mal wieder die Zahlen, die halt schöngeredet waren, oder ein Detail, welches halt unterschlagen wurde, weil, man hätte es ja wissen können. Irgendwie schon lächerlich das Ganze.....

    00:18 Uhr, 07.09.2016
  • Chronos
    Chronos

    Aktuell ist es doch "nur" eine Scheidung, die noch gar nicht vollzogen, denn bestellt wurde.

    Erst danach kommt für GB/UK etwas Neues, etwas ganz Neues bis auf die alte Verbindung zu den Staaten. Bis dahin ist das Schwebe.

    19:13 Uhr, 06.09.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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