Kommentar
21:00 Uhr, 28.04.2008

Moderne Lösungen statt Streik

Die Deutsche Post und die Gewerkschaft Verdi haben bei ihren jüngsten Verhandlungen offenkundig noch keine Basis für einen Abschluss erreicht. Wir haben es bei der Bahn und den Lokomotivführern gesehen, dass Verhandlungen zäh sein können. Dass die Auseinandersetzung aber ähnliche Ausmaße annimmt bezweifle ich.

Wir haben Piloten-, Lokomotivführer-, und Ingenieurmangel. Mit Lohnzurückhaltung bei diesen Gruppen bleibt es beim Mangel an Fachkräften und sind diese nicht zu Mehrleistungen bereit. Dagegen hat ein hoher Einheitsabschluss bei der Post nichts mit Markt zu tun. Da die deutsche Debatte aber von gefühlter Gerechtigkeit und durch die starken Energie- und Nahrungsmittelpreise geprägt wird und ein fast naturgesetzlicher Anspruch auf Kaufkraftausgleich formuliert wird, spricht viel für einen weiterhin lang anhaltenden Konflikt. Und es dürfte ein zu hoher Abschluss heraus kommen, wohl sogar noch mit Sockelelementen. Was daraus resultieren könnte, wird verdrängt. Kaum jemand ist da, der sich an die Kluncker-Runde während der ersten Ölkrise erinnert. Die damalige Lohnrunde war der Sargnagel für den deutschen Arbeitsmarkt. Sie trug dazu bei, dass aus dem Land der Vollbeschäftigung das Land mit scheinbar unaufhaltsam steigender Arbeitslosigkeit wurde. Da wir in Zukunft einen Postmindestlohn haben werden, dürfte die Zukunft der Konkurrenten der Deutschen Post nicht rosig sein. Die Deutsche Post behält damit in wichtigen Bereichen eine Ampelstellung. Durch den Streik und durch die höheren Lohnforderungen wird es zu Störungen kommen. Freilich, das technische System der Deutschen Post ist durchaus vorzeigbar und effizient. Damit bleiben die Ausfälle begrenzt. Sicherlich wird es hier und da zu Engpässen kommen, aber diese werden wohl eher temporärer Natur sein und die deutsche Volkswirtschaft nicht nachhaltig schädigen. Der Abschluss selbst wird die Kostenbelastung in Deutschland erhöhen, die Gebühren herauftreiben und damit die Spannung für Wirtschafts- und Geldpolitik vergrößern.

Die prägende Kraft der Branchentarifverträge hat offenkundig abgenommen. Formale Tarifbindungen und die inhaltliche Verbindlichkeit der Tarifstandards sind zurückgegangen. Dezentralisierung und Differenzierung bestimmen die tarifpolitische Entwicklung. Die Gefahr, dass immer mehr individuelle Tarifabschlüsse gemacht werden, besteht durchaus. Einerseits erlaubt dies – sachgerecht – bessere Anpassungen an knappheitsbedingte Problemlagen. Anderseits besteht die Gefahr sich – mit Geiselnahme der Kunden – aufschaukelnder Lohnsteigerungen und das Einschleichen britischer Verhältnisse. Dennoch: Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren als das Land mit der stärksten Lohnmoderation profilieren können. Kaum ein anderes Land der OECD weist einen so geringen Anstieg der Lohnstückkosten auf. Freilich die Gefahr, das Gewonnene zu verspielen besteht. Moderates Verhalten ist daher für die Tarifabschlüsse die Maxime. Denn wir haben hohe Arbeitslosigkeit in bestimmten Regionen Ostdeutschlands und für bestimmte, oft geringere Qualifikationen. Dort sind Tarifsteigerungen gemäß der allgemeinen Formel Inflation plus Produktivitätszuwachs entsprechend nicht angezeigt, weil sonst das Problem der hohen Arbeitslosigkeit fortbesteht. Differenzierung ist die wichtigste Planke der Lohnrunde, aber gleichzeitig – siehe Gerechtigkeitsdebatte – die am wenigsten verstandene und die überhaupt nicht akzeptierte.

Autor: Prof. Dr. Norbert Walter - Deutsche Bank Research

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