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10:08 Uhr, 11.05.2012

Mein Fünfjahresplan für Silber

Kommentar anbei

Mario Draghi sagte auf der Pressekonferenz in Barcelona in dieser Woche, dass die unternommenen außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen einem doppelten Ziel dienten. Einerseits sollen sie das Umfeld am Geldmarkt stabilisieren, andererseits sollen sie die Transmission der gewöhnlichen Geldpolitik verbessern. Die EZB, führte Herr Draghi fort, habe aber trotzdem jederzeit die Möglichkeit, die unternommenen außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen jederzeit rückgängig zu machen, um die Preisstabilität zu sichern.

Ich möchte dieser Aussage in aller Höflichkeit widersprechen. Schauen wir uns hierzu das Große Bild an. Die Zentralbanken der Welt haben ihre Bilanzen in den drei Jahren seit dem Tief der Rezession im Jahr 2009 in nie da gewesenem Ausmaß vergrößert. Das Fed injizierte seither 1,8 Billionen USD in den Markt, die EZB 1,4 Billionen USD. Die Schweizer Nationalbank vergrößerte ihre Bilanz auf 68% des BIPs. Dennoch ist die Erholung der OECD-Wirtschaftsleistung seither bestenfalls als blutarm und schwächlich zu bezeichnen. Wie die Privatbankiers Lombard Odier berechnet haben, erholte sich die US-Wirtschaft in den drei Jahren seit Ende der Großen Rezession lediglich um annualisiert 2,2%. Das sei der niedrigste Wert seit 60 Jahren. Die Spanne vergangener Erholungen drei Jahre nach dem Tiefpunkt einer Rezession betrug 2,6% - 5,4%, wobei der Mittelwert bei 4,1% liege. Das zeigt, wie abhängig die US-Wirtschaft - und ähnliches ließe sich für die europäische Konjunktur sagen - von den Liquiditätsspritzen der Notenbanken geworden ist.

Sollte die Inflation tatsächlich anziehen (danach sieht es derzeit nicht aus), so haben die Zentralbanken in einem solchen Umfeld eben NICHT die Möglichkeit, die außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen rückgängig zu machen und die Leitzinsen zu erhöhen, ohne die schwache Konjunktur wieder abzuwürgen. Die Zentralbanken im Westen werden sich aber früher oder später für einen Pfad entscheiden müssen: Entweder sorgen sie für künstliches Wachstum und riskieren eine höhere Inflation, oder sie kontrollieren die Inflation und riskieren niedrigeres Wachstum.

Die People‘s Bank of China, die Zentralbank der Volksrepublik, und die indische Zentralbank haben sich im Jahr 2011 - überraschend für alle westlichen Beobachter - für letzteren Kurs entschieden. Sie kontrollieren seither die Inflation, und nehmen in Kauf, dass das Wachstum ständig weiter fällt. Die chinesische und indische Zentralbank war also bereits an dem Zeitpunkt angelangt, an dem diese große Entscheidung zu treffen war. Die westlichen Zentralbanken haben mit ihrer lockeren Geldpolitik bislang nicht die Inflationsraten angeheizt. Der Zeitpunkt wird aber kommen. Angesichts des schwachen Wachstums der Konjunktur haben die westlichen Zentralbanken aber kaum den Luxus, frei zwischen Wachstum und Inflation zu entscheiden. Sie werden sich vermutlich für die Inflationierung entscheiden, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. Die Inflation ist der Weg des geringsten Widerstandes für die westlichen Zentralbanken.

Silber befindet sich in einer Situation, in der das weltweite Angebot höher ist, als die Nachfrage. Das zeigt die neue Siberumfrage des britischen Marktforschungsinstituts GFMS. Obwohl sich das Angebot im vergangenen Jahr schneller verringerte als die industrielle Nachfrage blieb am Ende des Jahres immer noch ein Angebotsüberschuss am Weltmarkt für Silber von 5000 Tonnen bestehen, nach 5700 Tonnen im Jahr 2010. Die Analysten von GFMS vermuten, dass das höhere Angebot verursacht wurde durch eine wachsende Minenproduktion sowie auch durch einen Anstieg des sekundären Angebots, das durch die Wiederaufbereitung von Altsilber erzeugt wird. Die Minenproduktion wuchs im Jahr 2011 um 1,4% auf 23.700 Tonnen. Der Anstieg sei vor allem dadurch ausgelöst worden, dass die Gold- und Zink/Blei-Produktion wuchs. Dabei sei als Beiprodukt auch mehr Silber gewonnen worden, was schließlich zu einem Überangebot führte. Die Motivation für die Produzenten von Silber sind groß: Bei einem Preis von 31 USD haben sie eine auskömmliche Marge, denn ihre Produktionskosten liegen bei lediglich durchschnittlich 7,25 USD, schätzt GFMS. Diese seien zwar im Jahr 2011 – auch dank steigender Lohnforderungen und Energiekosten – um ein Drittel gestiegen. Sie verharren aber immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau relativ zu den Weltmarktpreisen. Die Nachfrageseite des Silbermarktes entwickelte sich den weiteren Angaben von GFMS zufolge schwächer. Zwar konnte die Silbermünzennachfrage auf ein neues historisches Hoch klettern, jedoch entwickelten sich alle anderen Nachfragesegmente schwächer. Das gilt vor allem für die industrielle Nachfrage, heißt es in der Silberumfrage der Briten. Sie entwickelte sich gerade in den letzten Monaten des Jahres 2011 sehr schwach und das führte zu einem Rückgang im Gesamtjahr.

Diese fundamentalen Gründe sorgen dafür, dass die Preise fallen, während Rallyversuche immer wieder in sich zusammenfallen. Anleger sollten bei dem eng mit dem Goldpreis korrelierten Silber aber das große Bild nicht außer Acht lassen: Wer sich also heute darüber sorgt, ob Silber bei 30 USD/Unze oder 21,50 USD/Unze fair bewertet ist, sollte wissen, dass es wahrscheinlich zu starken Anstiegen kommen wird, sobald die Märkte beginnen zu antizipieren, dass die westlichen Zentralbanken sich für den einen oder anderen Kurs entscheiden werden. Wann dieser Zeitpunkt kommt, ist schwer zu sagen. Sind es Monate? Jahre? Die Märkte werden aber frühzeitig antizipieren und reagieren. Am Silbermarkt ist ein Angebotsüberschuss von 5000 Tonnen (erwarteter Wert 2012) schnell durch eine steigende Investmentnachfrage aufgebraucht und wenn das Silberangebot sich verknappt springen die Preise schnell zu den Widerständen bei 50 USD/Unze. Wenn der technische Widerstand dort durchstoßen wird, landen wir schnell bei 84 USD/Unze oder sogar im dreistelligen Bereich. Gewiss ist: Wer dann nicht investiert ist, wird vermutlich dann auch keinen Einstieg mehr finden. Wer sich der in diesem Artikel geschilderten These anschließt und erwartet, dass sich die westlichen Zentralbanken irgendwann entscheiden müssen, anstatt - wie bisher - durch LTRO oder QE einfach nur Zeit zu gewinnen, wird Silber (und andere Sachwerte und Rohstoffe) unter anderen Gesichtspunkten betrachten.

Photo von 58782395@N03 / Flickr

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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