Kommentar
20:00 Uhr, 25.05.2009

Märkte reagieren vorschnell - Konjunktur: Ernsthafte Zweifel an dauerhafter Erholung

Die seit März freundlichere Stimmung an den Finanzmärkten hält bislang an, wenn sich auch in den letzten Wochen Risse zeigten. Bei Investoren wächst der Optimismus, dass die Weltkonjunktur noch mal mit einem blauen Auge davonkommt.

Die Hinweise auf eine Stabilisierung häufen sich. So sind die Konjunkturzahlen seit März besser als erwartet. Positiv wurde die Nachricht aufgenommen, dass in den USA im April „nur“ 539.000 Stellen weggefallen sind. Dabei handelt es sich um die niedrigsten Arbeitsplatzverluste der letzten sechs Monate (im März verloren noch 699.000 Amerikaner ihren Job). Seit Anstieg der Arbeitslosenquote ab Januar 2008 wurden in den USA 5,7 Millionen Arbeitsplätze abgebaut. Entsprechend stieg die Arbeitslosenrate im April auf 8,9 %, den höchsten Stand seit 25 Jahren.

Wie diese Beispiele zeigen, stabilisieren sich die Wirtschaftszahlen zwar, aber nur auf einem sehr niedrigen Niveau. Und wenn es auch Hinweise auf eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit gibt, so ist dies weniger auf einen Anstieg der Nachfrage bei Verbrauchern und Unternehmen zurückzuführen, sondern eher darauf, dass Unternehmen ihre Lager auffüllen müssen. Ein ähnliches Phänomen war im ersten Quartal dieses Jahres bei den Unternehmensergebnissen zu beobachten. Die Ertragszahlen fielen oftmals überraschend positiv aus, aber nicht etwa infolge höherer Einnahmen, sondern weil man die Kosten – u. a. durch Stellenabbau – drastisch gesenkt hatte. Zudem kommt bei steigenden Arbeitslosenzahlen und sinkenden Häuserpreisen wenig Konsumfreude auf.

Positivere Einschätzung der Kreditmärkte

Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass die kräftige Rally der letzten zwei Monate keinesfalls Vorbote eines langfristigen Aufwärtstrends der Aktienkurse war. Zwar haben wir Anfang März wohl den tiefsten Punkt der Baisse erlebt, aber das bedeutet nicht, dass alles ausgestanden ist.

Wir schätzen Investment-Grade-Anleihen jetzt allerdings positiver ein. Auch die verschiedenen staatlichen Maßnahmenpakete haben maßgeblich zu einer Reduzierung des Systemrisikos beigetragen. Mit der erneuten Belebung des Interbankengeschäfts sowie der anhaltenden Emissionstätigkeit im Unternehmensanleihesektor hat sich auch die Liquiditätssituation deutlich verbessert.

Konjunktur: Ernsthafte Zweifel an dauerhafter Erholung

Zuversicht spielt entscheidende Rolle

Das Vertrauen der Anleger in eine weltweite Konjunkturerholung ist in den letzten Wochen gestiegen. Damit hat sich die Angst vor einer Wiederholung der Großen Depression ver­flüchtigt. Die freundlichere Stimmung ist über­wiegend auf die Stabilisierung der Wirtschafts­indikatoren zurückzuführen, die in den ver­gangenen Monaten vielfach die – wenn auch niedrigen – Erwartungen übertroffen haben.

Auch ist es der US-Regierung gelungen, das Marktvertrauen im Finanzsektor erheblich zu steigern, wie sich vor allem am enormen Kursanstieg bei US-Bankenaktien zeigt. Die Stresstests bei 19 amerikanischen Großbanken sind ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Die Ergebnisse wurden bereits vor der offiziellen Veröffentlichung bewusst an die Öffentlichkeit getragen, so dass die endgültigen Resultate (zehn Banken müssen ihr Eigenkapital in den kommenden Monaten um $ 74,6 Mrd. aufstocken) kaum mehr für Überraschung am Markt sorgten.

In dieser Phase des Konjunkturzykluses spielt das Vertrauen in die Wirtschaft eine wichtige Rolle. Im letzten Jahr war dieses Vertrauen bei Verbrauchern und Unternehmen angesichts der realen Aussicht auf eine tiefe und von Deflation geprägte Rezession stark angeschlagen. Diese negative Stimmung machte sich an den Aktien- und Kreditmärkten durch dramatische Kursstürze bemerkbar. In den vergangenen Monaten ist es hier zu einer erfreulichen Wende gekommen und vor diesem Hintergrund kann sich die Zuversicht schnell wieder erholen. Das zeigt sich auch an der jüngsten Markt-Rally.

Ernsthafte Zweifel an dauerhafter Erholung

Wenn wir auch den Tiefpunkt dieses Konjunkturzyklus hinter uns haben dürften, bestehen dennoch ernsthafte Zweifel an der Nachhaltigkeit des aktuellen Aufschwungs. Allem Anschein nach liegt die jüngste Belebung weniger an einem Anstieg der Investitions- und Konsumausgaben, sondern vielmehr am Aufstocken der Warenlager.

In den USA hat sich nach zwei Quartalen, in denen die Wirtschaft um über 6 % geschrumpft ist, eine riesige Lücke aufgetan. Diese Lücke zu schließen wird schwierig und zeitaufwendig sein – vor allem, weil die Verbrauchernachfra­ge vor dem Einbruch lange Zeit durch einen dramatischen Anstieg der Schulden angekurbelt wurde.

US-Konjunktur hängt von anderen Ländern ab

Die USA können einen nachhaltigen Aufschwung nicht im Alleingang umsetzen. Voraussetzung ist eine Erholung der Nachfrage in den drei Sektoren Haushalte, Unternehmen und Außenhandel.

In der gegenwärtigen Situation wird die Auslandsnachfrage voraussichtlich eine entscheidende Rolle spielen. US-Haushalte (auf die über 70 % des amerikanischen BIP entfallen!) sehen sich massiven Problemen gegenüber. Ihre Finanzlage hat sich infolge fallender Hauspreise und Aktienkurse bereits deutlich verschlechtert und auch ihre Verschuldung ist nach wie vor zu hoch. Hinzu kommen die höchsten Arbeitslosenzahlen und die geringsten nominalen Einkommenszuwächse seit 25 Jahren. Die Amerikaner müssen mehr sparen (und tatsächlich ist die Sparquote in den letzten Monaten beträchtlich gestiegen), aber dadurch bleibt weniger Raum für Konsumausgaben, wenn die Wirkung von Steuersenkungen und niedrigerer Ölpreise erst einmal verflogen ist.

Vom Finanzsektor abgesehen ist der US-Unternehmenssektor nicht so stark verschuldet wie die Privathaushalte. Gleichwohl sieht man sich hier höheren Finanzierungskosten gegen­über, während die Möglichkeiten für eine Aus­weitung der Verkaufszahlen bzw. Preisan­passungen begrenzter sind.

Erholungsprozess in China hält an

Den jüngsten Zahlen zufolge steigt die Binnennachfrage in China wieder. Das Kredit- und Investitionswachstum hält an. So finden beispielsweise umfangreiche Infrastrukturin­vestitionen statt (allein im April stiegen die Investitionen in den Schienenverkehr um 85 % auf annualisierter Basis). Gleichwohl ist die chinesische Volkswirtschaft noch nicht groß genug, um als Wachstumsmotor der Weltkonjunktur zu fungieren. Aber schon allein wegen des wachsenden Bedarfs an Rohstoffen ist China einer der wichtigsten Treiber für die Emerging Markets.

Aktien: Annahme einer raschen Erholung voreilig

Grundlegende Sektoren-Umschichtung

Der Kursanstieg von über 30 % in nur zwei Monaten hat dazu geführt, dass die Aktien­märkte bereits einen raschen Aufschwung ein­preisen. Das ist unserer Ansicht nach aller­dings verfrüht. Wir befinden uns inmitten einer schweren Rezession und eine konjunkturelle Belebung könnte durchaus erlahmen, sobald die staatlichen Konjunkturförderprogramme an Schwung verlieren oder der notwendige Schul­denabbau Investitionen und Konsum bremst.

Die Kurserholung in den letzten beiden Mona­ten war zudem weitgehend auf diejenigen Aktienwerte beschränkt, die 2008 und Anfang 2009 am tiefsten abgestürzt waren: Finanz­werte und Zykliker. In den defensiven Sektoren kam es dagegen kaum zu Kurszuwächsen. Dieser Exodus von defensiven Aktien hin zu risikoreicheren Werten war im Hinblick auf Ausmaß und Geschwindigkeit eine der extremsten Trendwenden seit dem Zweiten Weltkrieg. Ursache war u. a. die Umschichtung von Portfolios Anfang März.

Nach Monaten dramatischer Kursstürze hielten Investoren relativ große Cash-Positionen so­wie vergleichsweise große Positionen in defen­siven Sektoren. Das entsprach 2008 und An­fang 2009 der üblichen Herangehensweise zur Schadensbegrenzung. Als sich die Stimmung im März allmählich hob, investierten Anleger nicht nur ihre Barmittel, sondern bauten auch ihre oftmals zu kleinen Positionen in Finanz­werten und Zyklikern aus. Dadurch kam es zu enormen Kursanstiegen, wobei eine Verdopp­lung eher die Regel als die Ausnahme war. Ei­nige Finanzaktien schnellten sogar vom Tiefst­kurs um mehrere hundert Prozent in die Höhe.

Noch zu früh für einen neuen Bullenmarkt

Wir sind daher der Ansicht, dass die jüngste Rally an den Aktienmärkten zu überstürzt war und der gegenwärtige Run auf zyklische Werte weniger auf der realen Aussicht auf eine nachhaltige Erholung beruht, sondern vielmehr auf einer markttechnischen Neupositionierung.

Gleichwohl könnte sich das Tief von Anfang März als Talsohle dieses Bärenmarktes er­weisen. Zugleich besteht aber auch das Risiko einer Korrektur in den kommenden Monaten. Denn schließlich können Unternehmensergeb­nisse, Wertberichtigungen im Finanzsektor und Konjunkturzahlen angesichts der höheren Erwartungen eigentlich nur noch enttäuschen.

Die kommenden Monate dürften für Investoren von Hoffnung und Furcht bestimmt sein: Hoff­nung, dass die jüngste konjunkturelle Entspan­nung sich zu einem V-förmigen Aufschwung mausern wird, und Furcht, dass wir noch lange auf eine Nachfrageerholung warten müssen. Noch ist es daher zu früh für einen neuen Bul­lenmarkt. Auch die Unternehmensgewinne ha­ben bei weitem noch nicht die Talsohle erreicht. Schließlich stehen wir außerhalb des Finanz­sektors erst am Anfang der Gewinnrückgänge. Die Erwartung, dass die Gewinnspannen in der schwersten Rezession seit Kriegsende steigen könnten, ist reines Wunschdenken. Während der letzten Rezession in 2002 erreichten die Nettogewinnspannen mit 2 % ihren tiefsten Stand. Bisher liegen sie noch bei ca. 4 %.

Positivere Einschätzung des Baustoff- und Energiesektors

Der Bärenmarkt befindet sich jetzt in der Reife­phase. In dieser Phase ist es schwierig, klare Positionen zu Sektorpräferenzen einzugehen, da eine ausschließliche Ausrichtung auf defensive Werte keinen Sinn mehr macht, während eine zyklische Orientierung noch nicht geboten ist. Wir bleiben allerdings bei unserem Schlüsselengagement im Gesundheitssektor, während wir Industriewerte meiden.

Neuerdings schätzen wir auch den Grundstoff­sektor positiver ein. Das liegt vor allem an den unerwartet positiven Wachstumszahlen aus China, wo immense Infrastrukturinvestitionen die Nachfrage nach Rohstoffen ankurbeln. Auch den Energiesektor sehen wir jetzt in ei­nem günstigeren Licht. Hier ist die Preisent­wicklung in jüngster Zeit ins Stocken geraten, während der Ölpreis deutlich gestiegen ist. Den Gebrauchsgütersektor betrachten wir indes als ausgereizt. Die dramatischen Kurs­anstiege in diesem Sektor sind nach unserer Einschätzung unhaltbar. Dies gilt umso mehr, als die Verbrauchernachfrage im weiteren Jahresverlauf sinken dürfte (höhere Arbeits­losigkeit und fallende Häuserpreise!)

Anleihen: Breite Unterstützung der Rentenmärkte

Renditen zehnjähriger Anleihen steigen

Im vergangenen Monat sind die Renditen von Staatsanleihen gestiegen. Bundesanleihen rentieren daher aktuell bei rund 3,55 % (Stand Zehnjährige Bundesanleihe, 25.05.09) Dieser Anstieg war vor allem dadurch bedingt, dass zahlreiche Investoren ihre Staatsanleihen zugunsten risikoreicherer Investments, wie Aktien und Credits, abstießen.

Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen dürfte damit die Obergrenze ihrer Trading Range erreicht haben. Ein geschärftes Bewusstsein dafür, dass die Konjunkturdaten bei rückläufiger Inflation weiter schwach sind, wird die Anleger wahrscheinlich dazu veranlassen, ihre Risikopositionen erneut zu reduzieren. Dies wird die Renditen zehnjähriger Anleihen wiederum drücken.

Risiken an den Kreditmärkten stark rückläufig

Dank der staatlichen Maßnahmen hat sich die Stimmung an den Rentenmärkten spürbar verbessert. Das Risiko eines Zusammenbruchs des Finanzsystems (Systemrisiko) geht damit praktisch gegen null. Auch die Liquiditätssituation hat sich merklich entspannt. Durch die erfolgreichen wirtschaftspolitischen Interventionen haben sich zudem die Spreads deutlich verengt.

Bisher war dieses Jahr für Anleger in den Segmenten Investment Grade, High Yield und Schwellenländeranleihen günstig. Bis in die zweite Maiwoche schnitten High-Yield-Unter­nehmensanleihen von allen Asset-Klassen am besten ab. Je nach Marktsegment konnten die Verluste von 2008 zum Teil wettgemacht werden.

Die von Zentralbanken und Regierungen umgesetzten Maßnahmen und Pläne haben für zusätzliche Liquidität im Markt gesorgt. Wurde zuvor noch eine globale Depression eingepreist, sind diese Ängste jetzt verflogen. Gerade vor dem Hintergrund einer schweren Rezession ist die freundliche Stimmung in Teilen des Kreditmarktes ein ausgesprochen gutes Zeichen, denn jetzt können Unter­neh­men hier wieder ihren Kapitalbedarf decken. Im letzten Quartal 2008 war das praktisch unmöglich. Im historischen Vergleich verharren die Renditen bei Credits auf hohem Niveau.

Wir setzen auf Investment-Grade

Investment-Grade-Anleihen sind an die Spitze unserer Rangliste aufgestiegen. Die Situation an diesen Märkten hat sich deutlich verbessert. Die Emissionstätigkeit hat sich belebt und es besteht erhebliches Kaufinteresse. Am europä­ischen Unternehmensanleihemarkt wurden in diesem Jahr bereits Emissionen in Höhe von € 130 Mrd. aufgelegt. Der Markt ist technisch gesund, wenn auch ein vorübergehender Ab­schwung nach der jüngsten Rally nicht auszu­schließen ist. Ferner ist es als positiv zu bewerten, dass die EZB zum Aufkauf von Covered Bonds bereit ist.

Auch der Hochzinsmarkt tendiert wieder freundlicher, obschon er weitaus mehr Insol­venzen einpreist, als wir für wahrscheinlich hal­ten. Auch wenn die Zahl der Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten steigt, geschieht dies nicht in einem Maße, das die aktuellen Markt­bewertungen rechtfertigen würde. Insgesamt bleiben wir bei unserer vorsichtigen Haltung gegenüber Hochverzinslichen, da die Wahr­scheinlichkeit eines direkten staatlichen Ein­griffs gering ist.

Auf den Schwellenländer-Anleihemärkten ha­ben die staatlichen Maßnahmen zu einem deutlichen Rückgang des Risikos beigetragen. Insbesondere bei Hartwährungsanleihen sind wir optimistisch. Was Anleihen in Landeswäh­rung betrifft, ist die Weltkonjunktur noch zu schwach, um eine dauerhafte Aufwertung der Schwellenländerwährungen zu stützen.

Immobilien & Liquidität

Immobilienaktien haben seit Erreichen der Talsohle um über 40 % zugelegt. Der April war ein besonders guter Monat. Allerdings handelte es sich dabei um eine so genannte „Crap“-Rally: Aktien von Unternehmen mit schwachen Finanzdaten waren besonders begehrt. Obwohl wir unser Engagement bei zyklischen Unternehmen etwas ausgebaut haben, bleiben wir hier vorsichtig und daher defensiv positioniert. In Anbetracht des anhaltenden Drucks auf die Finanzierungsmöglichkeiten von Banken wird die hohe Volatilität wohl anhalten. Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich der Markt wieder verstärkt auf die Bilanzqualität von Immobilienunternehmen konzentrieren. Bis auf weiteres bleiben wir bei unserer Präferenz von Liquidität gegenüber Immobilienaktien.

ING Investment Management

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