Lohnt es sich noch, in Russland zu investieren?
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Von Michael Ganske, Commerzbank Corporates & Markets
Investoren in Russland durchleben gegenwärtig eine schwere Zeit. Der Streit um die Kontrolle der Ölfirma TNK-BP, die Abmahnung des russischen Stahlgiganten Mechel durch Putin und zuletzt der Krieg gegen Georgien haben den russischen Aktienmarkt und den Rubel in den freien Fall geschickt und die Risikoprämien explodieren lassen.
In einer Risikoanlageklasse wie den Emerging Markets reflektieren die Preisbewegungen in Phasen von Euphorie und Panik jedoch häufig nicht den fundamentalen Wert. So haben auch im Falle Russlands die Ereignisse der letzten Wochen dazu geführt, dass russische Aktien und Anleihen inzwischen sehr günstig sind. Unserer Ansicht nach lohnt es sich daher nach wie vor, in Russland zu investieren.
Wie bei jedem anderen Emerging Markets benötigt man für die Bewertung der Attraktivität von Investitionen in Russland neben der wirtschaftlichen Einschätzung vor allem ein politisches und historisches Verständnis des Landes. Der ökonomische und politische Zerfall unter Präsident Boris Jelzin mündete 1998 im Staatsbankrott. Unter Präsident Vladimir Putin war Russland seit Anfang 2000 aus Investorensicht hingegen eine Erfolgsgeschichte. Die Kreditqualitätsindikatoren des Landes haben sich stetig verbessert, bereits 2003 erreichte Russland Investmentgrade. Das Land ist seit längerem ein Nettokreditgeber und verfügt mit 581 Mrd. USD über die drittgrößten Hartwährungsreserven der Welt (Grafik 1). Hohe Wachstumsraten und eine nachhaltig solide Fiskalpolitik haben die Staatsverschuldung abschmelzen lassen (Grafik 2).
Hohe Energiepreise und Putins eiserne Hand
Historisch hohe Energiepreise, die den größten Gas- und zweitgrößten Erdölexporteur der Welt naturgemäß begünstigen, stellen für die (wirtschaftliche) Erfolgsgeschichte Russlands eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung dar. Entscheidend war auch, dass Vladimir Putin in seiner Präsidentschaft von 2000 bis zu diesem Frühjahr das Land politisch stabilisiert hat. Der Preis hierfür: Russland ist heute (weiterhin) ein autokratisch regiertes Land. Die Partei Vereinigtes Russland, deren Vorsitzender Putin ist, hat die absolute Mehrheit in der Duma. Nach dem Amtswechsel von Putin in die Rolle des Premierministers und der Benennung Dmitry Medvedevs zum Präsidenten hat sich das politische Machtzentrum vom Kreml in Richtung Weißes Haus verschoben, dem Sitz des Premierministers.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Präsident Jelzin versucht, in kürzester Zeit eine funktionierende Marktwirtschaft einzuführen. Fehlende institutionelle Rahmenbedingungen führten allerdings – zusammen mit den Einnahmeausfällen infolge der historisch niedrigen Energiepreise – zum sozioökonomischen Verfall des Landes. Insbesondere das Kredite-für-Anteilscheine-Programm resultierte in einer massiven Umverteilung von Volksvermögen in die Hände von Oligarchen. Als Konsequenz kontrollierten die Oligarchen in den 90er Jahren die Politik und die Medien. Hinzu kam der regionale Verfall des Landes.
Unter Putin hat sich das Machtgefüge weg von den Oligarchen hin zu den Siloviki (ehemalige Funktionäre des Geheimdienstes FSB) verschoben. Eine von Oligarchen kontrollierte Medienlandschaft wurde in einen staatskontrollierten Medienapparat verwandelt. Zudem wurde Russland zentralistischer, die Regionen haben an Handlungsspielraum verloren. Diese Entwicklung hat zu einer Erhöhung der Verwaltungseffizienz geführt – mit gegenwärtig 3,8 Millionen Beamten besteht jedoch weiterhin immenser Spielraum für Effizienzgewinne. Schließlich wurde der Staatseinfluss auf strategisch als wichtig erachtete Sektoren schrittweise erhöht. Das beste Beispiel hierfür ist die Etablierung von Gazprom als nationalem Energiegiganten. Mit dem staatlich kontrollierten Energiesektor verfügt Russland über ein strategisch wichtiges Instrument – 38% der Gas- und 33% der Ölimporte der EU kommen von hier (Grafik 3).
Zwar gibt es mehrere westlich kontrollierte Pipeline-Projekte, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern, wie die Baku-Tbilisi-Ceyhen-Ölpipeline, die Baku-Erzurum- oder die Nabucco-Gaspipeline. Diese werden das Bild einer großen Abhängigkeit Westeuropas von den Energielieferungen Russlands aber nicht wesentlich verändern.
Als Folge des wirtschaftlichen Aufstiegs und der politischen Stabilisierung sind die Auslandsdirektinvestitionen stark angestiegen (Grafik 4). Dass die jüngsten Ereignisse diesen Trend umkehren könnten, stellt wohl das größte Risiko für die russische Wirtschaft dar.
Die mangelnde Achtung von Eigentumsrechten ist bei Investitionen in Russland sicherlich ein immer größeres Risiko. Die Zerschlagung von Yukos und die Inhaftierung von Michail Chodorkowski 2003 ist in diesem Zusammenhang zu nennen, aber auch die Auseinandersetzung zwischen Shell und Gazprom um das Sachalin II Gasförderprojekt sowie der Streit der Anteilseigner von TNK-BP.
Russland positioniert sich neu,…
Den stärksten Einbruch im Investorenvertrauen gab es allerdings infolge des militärischen Konflikts zwischen Russland und Georgien um Süd-Ossetien und Abchasien. In der Woche vom 8. August haben sich die Hartwährungsreserven Russlands um 16,4 Milliarden USD verringert. Dies ist der stärkste Abfluss seit 10 Jahren (vernachlässigt man den Rückgang um 16,5 Milliarden USD im Juni 2006, als Russland den Großteil seiner Pariser Club-Schulden getilgt hat). Seit Ausbruch des Krieges ist der russische Aktienmarkt um 13% gefallen, und der Rubel hat gegenüber dem USD 4,2% an Wert verloren. Der 5-jährige CDS Spread ist im gleichen Zeitraum um 32 Basispunkte gestiegen (Grafiken 5 und 6, Seite 4).
Innerhalb von nur 3 Wochen scheint sich die Welt wie in einem Zeitraffer verändert zu haben. Nachrichten im Zusammenhang mit Russland erinnern an den Kalten Krieg. Nachdem Georgiens Präsident Saakashvili die nach Unhabhängigkeit strebenden Provinzen Süd Ossetien und Abchasien mit militärischen Mitteln unter Kontrolle bringen wollte, griff Russland auch georgisches Kernland an und entschied den Krieg für sich.
Geostrategische und regionale Interessen standen auf der politischen Agenda Russlands schon immer ganz oben. Das Land war in den 90er Jahren jedoch politisch und wirtschaftlich zu schwach, um diese durchzusetzen. Machtpolitik scheint gegenwärtig Priorität vor Wirtschaftspolitik zu haben. Die politische Führung des wirtschaftlich erstarkten und innenpolitisch stabilen Russland ordnet offensichtlich das Investitionsklima der Durchsetzung von regionalen Interessen unter.
Es wäre jedoch falsch, das Auftreten Russlands mit dem der Sowjetunion gleichzusetzen. In der bipolaren Welt des Kalten Krieges setzte die Sowjetunion ideologisch motivierte geopolitische Ziele ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Nachteile durch. Heute spielen dagegen auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Der politischen Elite ist bewusst, dass Russland ausländisches Kapital und Know-How benötigt, um die bisher vom Energiesektor dominierte Wirtschaft in ihrer Breite zu entwickeln.
… wird deswegen aber für Investoren nicht unattraktiv
Was soll der Investor aus den Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit machen? Unsere Antwort ist eindeutig: Wer in Emerging Markets investiert sein möchte, kommt an Russland nicht vorbei. Die fundamental weiterhin starke Struktur des Landes – vor allem der extreme Ressourcenreichtum – wird gegenwärtig am Finanzmarkt, bedingt durch die jüngsten politischen Ereignisse, nicht ausreichend gewürdigt, russische Vermögenstitel handeln unserer Ansicht nach mit einem übertriebenen politischen Risikoabschlag. Zwar tragen mehrere ambitiöse Projekte Russlands in internationale Organisationen wie WTO oder OECD das Risiko, vom Westen blockiert zu werden. Dieses Risiko wird vom Markt allerdings schon mehr als ausreichend berücksichtigt. Ungewöhnlich für Emerging Markets resultiert die politische Risikoprämie für Investitionen in Russland dabei nicht aus außenpolitischer Schwäche und innenpolitischer Instabilität, sondern genau aus dem Gegenteil.
Bei der Investitionsstrategie für russische Anlagen macht es nach wie vor Sinn, sich auf die strategischen Stärken Russlands zu fokussieren. Auch nach einer Diversifikation der Wirtschaftsstruktur wird der Energiesektor der strategisch wichtigste Sektor bleiben. Die geplanten Steueränderungen, die die Exploration neuer Energievorkommen begünstigen sollen, werden die Rentabilität russischer Energiekonzerne erhöhen. Zwar leiden staatlich kontrollierte Unternehmen unter Ineffizienzen, in Russland hat sich aber gezeigt, dass gerade sie durch die politischen Rahmenbedingungen Vorteile haben. Eine Sovereign nahe Investitionsstrategie ist insbesondere unter den gegenwärtigen geopolitischen Rahmenbedingungen zu bevorzugen, da bei staatsnahen Unternehmen und Banken das Refinanzierungsrisiko geringer ist. Unternehmen mit ohnehin schon geringer Rentabilität droht unter den schwierigeren Rahmenbedingungen hingegen schneller das wirtschaftliche Aus.
Quelle: Ostbörsen-Report
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