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16:55 Uhr, 01.11.2024

Lindner will Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat eine grundlegende Neuausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik gefordert und dafür auch Erleichterungen in mehreren Steuerbereichen angeregt. "Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik, die quantitativ bedeutsam und grundsätzlicher Art ist", schrieb Lindner in einem Grundsatzpapier, in das Dow Jones Newswires Einblick hatte. Damit könnte das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten gestärkt werden, sodass ein sich selbst verstärkender Prozess wirtschaftlicher Dynamik in Gang komme.

Die Phase niedriger Zinsen, eine demografische "Atempause" und vorteilhafte externe Faktoren sowie anschließend die akute Bewältigung außergewöhnlicher Krisen mittels expansiver Fiskalpolitik hätten Schwächen zeitweise überdeckt. "Die bekannten Herausforderungen wurden in den vergangenen Jahren von der Politik aber nicht nur nicht adressiert, sondern zum Teil vorsätzlich herbeigeführt", monierte der FDP-Vorsitzende. "Deshalb ist eine Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen erforderlich, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden."

Unter anderem forderte Lindner einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen für die nächsten drei Jahre. Auch müssten die Nachweis- und Berichtspflichten des "Green Deal" in der Umweltpolitik "auf ein notwendiges Minimum reduziert werden". Der Finanzminister verlangte auch einen "signifikanten Einstieg" in die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Senkung der Körperschaftsteuer. Die Unternehmenssteuerbelastung solle mittelfristig zumindest auf 25 Prozent sinken. "Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen", heißt es in dem 18-seitigen Konzept.

Er solle in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent gesenkt werden und könnte in einem zweiten Schritt im Jahr 2027 dann vollständig entfallen. "Um die Glaubwürdigkeit dieser Politik zu stärken, sollte zudem die Körperschaftsteuer in einem ersten Schritt unmittelbar im Jahr 2025 signifikant um 2 Prozentpunkte reduziert werden", schrieb Lindner. Die weiteren Schritte sollten spätestens 2027 und 2029 folgen. Weitere Steuern und Abgaben, die eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung in Deutschland verhinderten, sollten zusätzlich auf den Prüfstand gestellt werden.

So solle beispielsweise der Wettbewerbsnachteil für Fluggesellschaften in Europa, der durch die deutsche Luftverkehrssteuer entstehe, "durch eine Absenkung der Luftsicherungsabgaben ausgeglichen werden". Die Schuldenbremse verteidigte Lindner als "Garant von Generationengerechtigkeit". Konsolidierung sei unabhängig von der Schuldenbremse notwendig und Ergebnis der neuen europäischen Fiskalregeln. Dabei sei "die Einrichtung zusätzlicher großer Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung nicht mit den europäischen Regeln vereinbar", selbst wenn dafür ansonsten verfassungsgebende Mehrheiten in Deutschland erreichbar wären, erklärte der Finanzminister.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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