Kommentar
13:24 Uhr, 02.12.2015

Lehren aus der chinesischen Geschichte

  • In den letzten 35 Jahren gab es in China drei größere Krisen.
  • Ihr Verlauf liefert weitere Gründe, dass es diesmal kein "Hard Landing" geben wird.
  • Die Öffnung der chinesischen Börsen erschließt Anlegern zusätzliche Investitions­möglichkeiten.

Dass die derzeitige Krise in China gefährlich ist, wissen alle. Die Frage ist: Wie gefährlich ist sie? Führt sie zu einer Re­zession (die die restliche Welt mit nach unten ziehen wür­de)? Oder ist sie eher Ausdruck eines Strukturwandels, der am Ende zu nachhaltigerem Wachstum führt, wie man es heute etwas euphemistisch in offiziellen Dokumenten lesen kann?

Niemand hat darauf eine verlässliche Antwort. Das liegt da­ran, dass wir sehr wenig über das Land wissen. China ist zwar die größte Volkswirtschaft der Welt. Es gehört aber auch zu den Staaten, über die es am wenigsten gesicherte Informationen gibt. Offizielle Dokumente können nur die we­nigsten im Original lesen. Makrozahlen wie das Sozialpro­dukt sind nicht vertrauenswürdig. Mikrozahlen wie Strom­verbrauch sind zwar unverdächtig. Ihre Bedeutung ist an­gesichts des massiven Strukturwandels aber schwer einzu­schätzen.

Wir sind also auf Vermutungen und auf die Aussagen von Experten angewiesen. Die meisten sagen derzeit, dass sich die Wirtschaft in China bald stabilisieren wird. Das ist tröst­lich. Um aber etwas mehr Sicherheit zu bekommen, habe ich mir einmal die Geschichte angeschaut. Wie haben sich die Krisen in China in früheren Jahren entwickelt? In der Tat kann man daraus etwas über die jetzige Situation ableiten.

Schauen Sie sich die Grafik an. Sie zeigt die Entwicklung des BIP in China in den letzten 35 Jahren. Es sind klar drei Krisen zu erkennen.

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Die erste fand in der zweiten Hälfte der 80er Jahre statt. Das war die Zeit, in der die Preise in China sukzessive freigegeben wurden. Damit sollte das ungute Nebeneinan­der von staatlich festgelegten und vom Markt bestimmten Preisen beseitigt werden. Das war an sich eine sinnvolle Maßnahme. Die Entwicklung geriet damals jedoch außer Kontrolle und führte zu einer starken Geldentwertung. Die Inflation erreichte zeitweise knapp 30 %. Das löste Unruhen in der Bevölkerung aus. Am Ende kam es zu dem schreck­lichen Massaker auf dem Tian'anmen Platz (1989). Das
war politisch eine Katastrophe. Ökonomisch gelang jedoch schon kurz danach eine Stabilisierung. Die Wachstumsrate stieg wieder auf 9 %.

»Die Führung in Peking kann und will sich politisch keinen größeren Einbruch der Wirtschaft leisten. Sie würde ihre eigene Existenz in Frage stellen.«

Die zweite Krise ereignete sich nur wenige Jahre später. Sie hing zusammen mit der Privatisierung der staatlichen Unter­nehmen. Als Folge der hohen Verluste dieser Firmen be­schloss die Führung in Peking, Unternehmen mit nicht stra­tegischer Bedeutung zu schließen oder sie an Private zu verkaufen. Die Folge war, dass eine große Zahl vor allem kleinerer und mittlerer Firmen aufgeben musste. Viele Ar­beiter verloren ihren Arbeitsplatz; man spricht von 20 Millio­nen. Die Regierung musste Sozialprogramme auflegen, um die Not zu lindern. Am Ende hat sie die Situation aber schnell wieder in den Griff bekommen.

Jetzt sind wir mitten in der dritten Krise. Auch sie ist mit ei­nem radikalen Umbau der Wirtschaft verbunden. Die Inves­titionen sollen zurückgeführt werden. Die Sparquote soll re­duziert und der private Konsum ausgeweitet werden. Ar­beitsintensive Lowtech-Produktion soll ersetzt werden durch Hightech. Der Dienstleistungssektor soll ausgeweitet wer­den. Die Finanzmärkte werden gegenüber der Welt geöff­net. Das sind Reformen, die in Ausmaß und Bedeutung kaum hinter den damaligen zurückstehen. Dass die gesamt­wirtschaftliche Wachstumsrate dabei zurückfällt, ist nicht überraschend.

Welche Lehren kann man nun für die weitere Entwicklung aus der Geschichte ziehen? Die Wichtigste: Die Führung
in Peking kann und will sich politisch keinen größeren Ein­bruch der Wirtschaft leisten. Sie würde ihre eigene Existenz in Frage stellen. Wenn es hart auf hart kommt, ist sie – sie­he 1989 – auch zu drastischen Maßnahmen bereit. Die Sta­bilisierung der Wirtschaft ist ihr wichtiger als Menschenrech­te oder marktwirtschaftliche Prinzipien. Das war früher so und wird auch heute so sein.

Die Historie zeigt aber auch, dass die Führung in Peking nicht nur handeln kann. Es gelingt ihr auch, die Entwicklung am Ende zu stabilisieren. In den letzten 35 Jahren ist die Wachstumsrate nie unter 4 % gefallen. Das Land lässt sich dabei auch durch internationale Entwicklungen nicht beir­ren. Selbst in der großen Finanzkrise von 2008/2009, als die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzte, wuchs die reale Wirtschaftsleistung in China um 8 %.

Hinzu kommt noch etwas. China verfügt heute über sehr viel mehr Ressourcen, um in die Wirtschaft einzugreifen. Gemessen an den Währungsreserven (USD 3.500 Mrd.) ist es die reichste Volkswirtschaft der Welt. Zum Vergleich: Deutschland hat "nur" USD 180 Mrd. Währungsreserven. Mit so viel Geld kann China viel im Inland intervenieren und im Ausland investieren. Der leichte Rückgang der Wäh­rungsreserven in den letzten Monaten ist kein Zeichen von Schwäche. Es zeigt vielmehr, dass China sein Geld nicht nutzlos in US-Treasuries herumliegen lässt, sondern es aktiv zur Verfolgung seiner Ziele einsetzt.

Für den Anleger

Die historische Entwicklung ist ein Grund mehr, weshalb Investoren keine Angst vor einem Hard Landing in China haben müssen. Für Anleger ist die Krise aber noch in an­derer Hinsicht wichtig. Die chinesischen Börsen waren bisher nicht wirklich ernst zu nehmen. Sie glichen eher Ka­sinos als fundamental getriebenen Kapitalmärkten. Das wird sich jetzt ändern. Je mehr sie mit internationalen Plätzen wie Hongkong, London oder anderen Städten verlinkt wer­den, umso mehr werden sie auch für Investoren interessant. Schauen Sie sich das mal an.

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