Kommentar
15:14 Uhr, 18.03.2009

Last in, first out?

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten sind jedoch nach wie vor solider als in den meisten anderen Ländern der Eurozone. Befindet sich Deutschland bereits in den Startlöchern für eine schnelle Erholung?

Nach einem totalen Exporteinbruch schrumpfte die Wirtschaftsleistung des Landes im Schlussquartal 2008 um 2,1% zum vorhergegangenen Quartal – der stärkste Rückgang seit 1987. Während Deutschland der Finanzkrise länger trotzen konnte als jede andere Industrienation, befindet sich das Land nun im Sog der untrennbar verflochtenen Finanz- und Wirtschaftskrise. Auf kurze Sicht lässt sich kaum ein Hoffnungsschimmer für eine schnelle Erholung ausmachen. Zwar verlangsamte sich unlängst das Tempo der Konjunkturabschwächung, doch weisen sämtliche Wirtschaftsindikatoren nach wie vor nur in eine Richtung: nach unten. Bedeutet dies nun, dass Deutschland erneut eine Flaute durchmacht wie zu Beginn des neuen Jahrhunderts?

Seit Mitte der 1990er Jahre wird das Wachstum in Deutschland von den Exporten angetrieben. Die Produktspezialisierung deutscher Exporteure und mehrere Jahre, in denen die Betriebe in Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Kostensenkung steigerten, machten das Land zu einem der größten Nutznießer der Globalisierung. Deutschland mag zwar seit 1990 keine Weltmeisterschaft mehr im Fußball gewonnen haben, im Export ist es aber seit Jahren Weltspitze. Nun ist das Land jedoch mit der Kehrseite dieses Erfolgs konfrontiert. Der deutsche Exportsektor leidet arg unter der globalen Krise und treibt die gesamte Wirtschaft des Landes in eine Rezession. Bereits im 4. Quartal des Vorjahres waren die Exporte der Hauptgrund für die deutlich schrumpfende Wirtschaftsleistung, und auch in diesem Jahr dürften die Ausfuhren das Wachstum erheblich belasten. Angesichts der drastischen Konjunkturabkühlung und Finanzturbulenzen in Osteuropa, eine Region, in die rund 10% sämtlicher deutscher Exporte gehen, schwächelt nun auch der letzte Exportmarkt des Landes. Dem Wachstumsmotor der deutschen Volkswirtschaft geht der Sprit aus. Eine Stabilisierung der Wirtschaft in 2009 hängt daher von der Binnennachfrage ab.

Im Gegensatz zu früheren Erholungsphasen konnte der deutsche Verbraucher während des letzten Aufschwungs im 21. Jahrhundert nicht als Wachstumsquelle "angezapft" werden. Selbst eine beeindruckende Erholung am Arbeitsmarkt sowie steigende Löhne und Gehälter rief keine Kauffreude hervor. Zunächst sorgte die Inflation für geringere Konsumbereitschaft und dann kam die Finanzkrise. Darüber hinaus leidet der Privatkonsum in Deutschland unter einem chronischen Sparwunsch der Bevölkerung. Die Sparquote deutscher Privathaushalte ist eine der höchsten weltweit. Umso mehr überrascht es daher, dass die deutschen Verbraucher nun der Rezession die Stirn bieten. Während die deutsche Industrie zweistellige Rückgänge bei den Neuaufträgen zu verzeichnen hat, überrascht der Verbraucher mit gesteigerter Konsumfreude. Die Kaufbereitschaft ist in den letzten Monaten gestiegen. Obgleich ein allmählicher Anstieg der Arbeitslosigkeit den Privatkonsum dämpfen könnte, beschert die aktuell niedrige Inflationsrate den Verbrauchern zusätzliche Mittel, vergleichbar mit der Wirkung einer MwSt-Senkung um 3%. Der Privatkonsum könnte also die Überraschung des Jahres werden.

Allerdings hängt nicht alles nur vom privaten Verbrauch ab. Andere, eher strukturelle Faktoren, haben dafür gesorgt, dass sich die deutsche Wirtschaft bereits in den Startlöchern befindet, um erneut zum Wachstumsmotor der Eurozone zu werden. Während die meisten anderen Länder der Eurozone nach dem Zerplatzen der IT-Blase nur unter einer kurzen wirtschaftlichen "Durststrecke" zu leiden hatten, musste sich die deutsche Wirtschaft schmerzhaften, länger währenden strukturellen Reformen unterziehen. Dieses Mal dürfte sie aber verschont bleiben. Der Unternehmenssektor in vielen anderen Ländern der Eurozone wird Maßnahmen zum Schuldenabbau ergreifen und seine Bilanzen erst mal sanieren müssen. Der deutsche Industriesektor dürfte jedoch einer der ersten Nutznießer einer Erholung des Welthandels sein; dies dank der Spezialisierung auf den Export und der relativ soliden Bilanzen der Unternehmen und ohne größere Reformen.

Für eine schnellere Erholung sprechen noch weitere Gründe: Der relativ niedrige Verschuldungsgrad von Unternehmen und Privathaushalten im Vergleich zu anderen Ländern in der Eurozone und die bedeutende Rolle von Retaileinlangen für die Kapitalausstattung von Banken dürften die Auswirkungen der Finanzkrise in Deutschland abfedern. Darüber hinaus traten die Unternehmen in Deutschland mit einer besseren Kapital- und Liquiditätsposition in die Rezession als in der Vergangenheit. Auch wurde im deutschen Bausektor in den letzten Jahren gelinde gesagt nicht übermäßigen investiert und so dürfte er sich folglich erholen. Von besonderer Bedeutung ist jedoch das Konjunkturpaket der Regierung: Mit rund 80 Mrd. EUR ist es das größte aller Länder der Eurozone. Die Einführung der Abwrackprämie für Autos hat sich in den ersten Monaten des Jahres bereits als riesiger Erfolg erwiesen und im Februar für Rekordabsätze im Autohandel gesorgt. Zudem dürften Infrastrukturausgaben für eine weitere Stabilisierung des Bausektors sorgen. Die meisten anderen Maßnahmen wie Steuersenkungen, Kinderfreibeträge und geringere Sozialversicherungsbeiträge treten im Sommer in Kraft und dürften ebenfalls helfen, die Wirtschaft zu stabilisieren.

Ohne Zweifel: Die deutsche Wirtschaft befindet sich nach wie vor inmitten der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg und es wird lange Zeit dauern, bis der Zusammenbruch des Wachstums im 4. Quartal 2008 korrigiert werden kann. Wir gehen derzeit bis 2011 von einem unter seinem Potenzial liegenden Wachstum aus. Deutschland wird aber nicht erneut in der Flaute gefangen bleiben. Das Land ist wesentlich besser auf die derzeitige Krise vorbereitet als die meisten anderen Länder der Eurozone. Vieles spricht in der Tat dafür, dass Deutschland so wie es als letztes Land in die Rezession schlitterte, sie als erstes überwinden wird.

Quelle: ING Belgium

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