Kommentar
12:00 Uhr, 06.10.2008

Kutzers Kommentar: Volle Kontrolle!

Sie sind schier unerträglich geworden, die fragmentierten Forderungen nach einer besseren Überwachung der nationalen und internationalen Finanzmärkte. Es macht mich geradezu wütend, was ich von den Politikern höre (EU-Gipfel) und von anderen Börsenbeobachtern lese (Wochenendpresse). Wo ist ein ganzheitlicher Ansatz? Hat denn keiner ein umfassendes Konzept, das sich auch relativ rasch umsetzen ließe? Deshalb möchte ich ein „Dreiecks-Modell“ kurz skizzieren, das endlich eine volle Kontrolle der Märkte ermöglicht, um Finanzkrisen in Zukunft zu verhindern.

Es wird „Dreiecks-Modell“ genannt, weil es Anlageprodukte (z.B. Wertpapiere), Anlageberater (Verkäufer) und die verantwortlichen Top-Manager von Finanzdienstleistern (Vorstände) fokussiert. Voraussetzung für die Funktionalität sind diverse Gesetzesänderungen auf deutscher wie europäischer Ebene, eine Stärkung bestehender Behörden sowie die Schaffung neuer Überwachungsorgane. Dabei ist der Datenschutz im volkswirtschaftlichen Interesse zu vernachlässigen.

Angesichts der katastrophalen Erfahrungen, die wir seit den 90er Jahren mit Aktien, Anleihen, Derivaten und zuletzt mit Lehman-Zertifikaten gesammelt haben, sollte ein bundesweiter „Asset-TÜV“ mit Filialen an den Regionalbörsen eingerichtet werden, der zum Vorbild für ganz Europa werden und international (z.B. bei amerikanischen Anlageinstrumenten) mit den erfahrenen Rating-Agenturen kooperieren könnte.

Dieser hat jedes neue Produkt und alle Varianten vor der Emission auf Sicherheit und Performance hin zu prüfen. Im Genehmigungsfall zeigt die Farbe der Prüfplakette, an welche Kategorie von Anlegern dieses Produkt verkauft werden darf.

Zweiter Eckpunkt ist die Dokumentation von Beratungsgesprächen. Bei jedem Kontakt zwischen Beratern (Vermittlern, Verkäufern) und Kunden muss ein Kapitalmarkt geprüfter Fachanwalt anwesend sein. Gleichzeitig wird das Beratungsgespräch mitgeschnitten. Zu erwägen wäre in diesem Zusammenhang auch, ob die Frage an den Kunden „Haben Sie alles verstanden?“ drei Mal gestellt und unverzüglich auch schriftlich bestätigt werden sollte.

Schließlich ist der Einfluss der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) erheblich zu erweitern. Die Führungskräfte von Banken und anderen Finanzdienstleistern sollten durch eine neue Form von ad-hoc-Mitteilungen laufend bestätigen, dass sie verstanden und gebilligt haben, was in ihrem Unternehmen vorgeht. Das bedeutet beispielsweise, dass jede neue Produktidee, die dem Asset-TÜV vorgelegt wird, zugleich von einer solchen ad-hoc-Veröffentlichung begleitet werden muss. Die BaFin sollte überdies mit polizeilichen Rechten ausgestattet werden und enger als bisher mit dem BKA sowie diversen Ministerien zusammen arbeiten. Die Rechtsgrundlage kann bei konsequenter Reform so verbessert werden, dass im Fall von Börsen-Baissen oder Trend-Überraschungen die Verluste der Anleger durch Zahlungen der Banken (oder des Staates) ausgeglichen werden. Derartige Fehleinschätzungen von Marktentwicklungen durch die verantwortlichen Führungskräfte sollten strafrechtlich geahndet werden.

PS.: Volle Kontrolle – ohne die Anleger? Man könnte darüber nachdenken, von im Wiederholungsfall erfolglosen Privatanlegern den Besuch des Volkshochschulkurses „Zwischen Gier und Angst“ zu fordern, um dann die Rückkehr an die Kapitalmärkte von einem „Idiotentest“ abhängig zu machen, wie man ihn im Straßenverkehr kennt.

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