Kommentar
15:00 Uhr, 11.08.2008

Kutzers Kommentar : Es gibt keine billigen Aktien!

'Aktien sind noch nicht billig genug', nur eine von vielen, ganz unterschiedlichen Thesen in der Wochenendpresse. Analysten und Beobachter sind sich alles andere als einig, wie die jüngsten Kurserholungen einzustufen sind. Kein Wunder, denn auch das Umfeld von Dax & Co. lässt eine breite Spanne von Interpretationen zu – das gilt für die Kreditkrise ebenso wie für die Konjunktur. An sich ist es ein gutes Zeichen für die Verfassung der Börse, wenn Meinungsvielfalt vorherrscht und die Kurse auf Nachrichten erkennbar reagieren, in beide Richtungen. Die Funktionstüchtigkeit eines Markts sagt aber noch nichts über den Preistrend aus.

Beim Blick auf einige große Dax-Unternehmen ist es gewiss verständlich, von relativ niedrigen Bewertungen zu reden oder von der Möglichkeit, ganze Konzerne billig zu kaufen. Anleger sollten spätestens jetzt aber begreifen, dass Aktien doch nicht wie Waschmittel ge- und verkauft werden. Ich behaupte: Nur wer akzeptiert, das Begriffe wie „billig“ (= kaufen) und „teuer“ (= verkaufen) an der Börse eigentlich nichts zu suchen haben, hat die Marktmechanismen verstanden. Natürlich sieht es optisch so aus, als sei eine Aktie, die von 100 auf 50 gefallen ist, jetzt billig. Aber ein noch so hoher Verlust ist oft nicht das Ende – es kann auch weiter bergab gehen, Richtung 40 oder 30 (Daimler-Aktionäre kennen dieses Phänomen).

Auch lässt ich oft folgendes beobachten: Eine Aktie dümpelt lange um 100 herum, ihr fehlt die Fantasie, keiner fasst sie an – sie gilt als zu teuer. Auf einmal wird sie wieder entdeckt (warum auch immer), ihr Preis setzt sich unter zunehmenden Umsätzen nach oben in Bewegung und erreicht nach kurzer Zeit 130 – auf diesem Niveau gilt sie plötzlich als billig und ist weiter gefragt. Bei 100 teuer, bei 130 billig, auch das ist Börse!

Mich erinnert das an ein eindrucksvolles Erlebnis in den USA, wo der brillante Hauptredner am letzten Tag des Jahreskongresses der amerikanischen Finanzanalysten und Vermögensverwalter mit einem großen braunen Umschlag vor die mehr als 1500 Zuhörer trat: „Hallo, meine Freunde, ich habe hier die Zettel mit 100 Namen von billigen Aktien drin – was bietet ihr mir für diesen Umschlag?“ Ruhe im Saal, denn es war jedermann klar, dass noch etwas folgen würde. Nach kurzer Pause holte der Referent einen zweiten Umschlag hervor, schwenkte ihn mit der anderen Hand durch die Luft: „Und hier sind die Namen von 100 Aktien drin, deren Kurse steigen werden. Für welchen Umschlag bietet Ihr?“ Allgemeines Lachen, Kopfnicken, tosender Applaus.

Was nutzen Ihnen, liebe Anleger, Listen mit „cheap stocks“, wenn sich deren Kurse nicht nach oben bewegen? Natürlich lohnt es sich, über Unter- und Überbewertungen von Aktien zu diskutieren. Ich warne aber nachdrücklich vor der simplen Suche nach vermeintlich preisgünstigen Titeln. Versuchen Sie stattdessen, Trends und Trendveränderungen zu erkennen, denn the trend is your friend!

Herzlichst,

Hermann Kutzer

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