Kreditversicherer: Kein Ende der Krise in der Baubranche
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Der Kreditversicherer Atradius sieht die deutsche Baubranche inmitten einer tiefgreifenden Krise und erwartet noch kein Ende dieser Entwicklung. Der deutliche Rückgang der Bauaktivitäten, steigende Materialkosten, Lieferengpässe, Fachkräftemangel und bürokratische Hürden stellten zahlreiche Unternehmen vor existenzbedrohende Herausforderungen. "Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Anstieg der Insolvenzen in der Baubranche zwischen 10 und 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr", erklärte Regionaldirektor Michael Karrenberg in einer Mitteilung.
Getrieben werde die negative Stimmung in der Baubranche vor allem durch die aktuelle Lage im Wohnungsbau, aber auch im gewerblichen Hochbau - insbesondere aufgrund des Mangels an neuen Aufträgen, fehlenden Arbeitskräften, höheren Preisen und Finanzierungskosten sowie einem erhöhten Ausfallrisiko der Bauträger und Projektentwickler. "Bestehende Auftragsüberhänge wurden 2023 abgearbeitet, und es mangelt an neuen Aufträgen", sagte Karrenberg. Aktuell am stärksten betroffen seien Firmen im kleinen und mittleren Segment, da diese mit geringeren finanziellen Mitteln ausgestattet seien.
Erschwerend komme hinzu, dass das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, den Wohnungsmangel durch den Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen zu bekämpfen, bei weitem nicht erreicht werde. So seien im vergangenen Jahr nach bisherigen Angaben nur etwa rund 245.000 Wohnungen fertiggestellt worden. "Auch für dieses und nächstes Jahr dürften sich daran wenig ändern. Ich fürchte, dass sich die Pleitewelle in der Folge erst in diesem Jahr richtig zeigen wird", prognostizierte Karrenberg. Unter der sinkenden Nachfrage würden zeitverzögert auch nachgelagerte Branchen wie Baustoffhändler, Küchenbauer, Handwerker oder Sanitäranlagenhersteller leiden.
Neben dem Wohnungsbau sei der Wirtschaftsbau, also die Herstellung von Gebäuden für Industrie und Gewerbe, derzeit problematisch. "Angesichts der steigenden Kosten können Projekte vielfach nicht mehr profitabel abgewickelt werden", so Karrenberg. Die Krise treffe dabei besonders Projektentwickler, die während der niedrigen Zinspolitik Grundstücke gekauft, vermarktet und ein Projekt nach dem anderen entwickelt hätten, ohne auf die Rentabilität zu achten. Die Bereinigung der Branche finde vor diesem Hintergrund insbesondere bei den Projektentwicklern statt, die nicht ausreichend finanzielle Substanz aufgebaut hätten.
Angesichts des anhaltenden und sogar steigenden Bedarfs an Wohnraum, dem Ausbau der Energieinfrastruktur und der Mobilitätswende blieben die Perspektiven der Baubranche trotz der aktuellen negativen Delle positiv. "Wir brauchen für die Zukunft eine funktionierende und gut aufgestellt Baubranche", betonte Karrenberg und fügte hinzu: "Die aktuelle Marktbereinigung ist nicht gesund." Schließlich verliere die Branche aufgrund der bestehenden Herausforderungen zahlreiche Unternehmen, die mittel- und langfristig eigentlich benötigt würden. Um die Branche zukunftsfähig aufzustellen, bedürfe es daher neben der Eigenverantwortung der Unternehmen auch der Unterstützung durch die Politik. Notwendig seien Maßnahmen wie etwa ein umfassendes Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau, schnellere Genehmigungen oder die Förderung von seriellem Bauen.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
DJG/ank/apo
Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.