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15:54 Uhr, 27.06.2003

Kommentar zu den Steuerreformplänen

Externe Quelle :

Originalkommentar der DEKA Bank

DEKA zu den Steuerreformplänen

Seit nunmehr drei Jahren tritt die Konjunktur in Deutschland auf der Stelle. Dies ist zwar zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die schwache weltwirtschaftliche Entwicklung in diesem Zeitraum zurückzuführen, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch in dieser schlechten Phase wuchsen andere Volkswirtschaften spürbar kräftiger als die deutsche. Diese erfolgreicheren Volkswirtschaften haben eines gemeinsam: eine robustere Binnennachfrage. Die Bundesregierung erwägt nun, zur Ankurbelung der Inlandsdynamik die für das Jahr 2005 geplante dritte Stufe der Steuerreform in das Jahr 2004 vorzuziehen. Im folgenden beleuchten wir kurz, was im Einzelnen geplant ist, wie diese Maßnahmen auf die konjunkturelle Entwicklung wirken und wie sie zu finanzieren sind. Steuerentlastungen im Jahre 2004

Nimmt man die zweite und dritte Stufe der Steuerreform zusammen, dann ergeben sich folgende steuerlichen Erleichterungen:

- Der Eingangssteuersatz wird von derzeit 19,9 % auf 15,0 % abgesenkt,
- der Grundfreibetrag steigt von 7206 auf 7664 ,
- der Spitzensteuersatz sinkt von 48,5 % auf 42,0 % und
- der Betrag, ab dem der Spitzensteuersatz greift, sinkt von 55007 auf 52152.

Das Entlastungsvolumen der ohnehin schon für das Jahr 2004 geplanten zweiten Stufe der Steuerreform beläuft sich nach Angaben aus Regierungskreisen auf 6,3 Mrd Euro. Hinzu kommen die Entlastungen aus dem Vorziehen der dritten Stufe mit einem Volumen von rund 15,6 Mrd Euro.

Auswirkungen der Steuersenkungen

Die steuerlichen Entlastungen haben langfristige und kurzfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung. Langfristig führen die geringere Steuerlast und die abgeschwächte Progression im Einkommensteuertarif zu Leistungsanreizen und stärken damit die Wachstumskräfte. In der derzeitigen (Haushalts-)Lage stellen sich aber möglicherweise auch negative Langfristfolgen ein, nämlich dann, wenn die Finanzierung der Steuererleichterungen zu einem Verfehlen des Maastricht- Defizitkriteriums durch Deutschland führen sollte. Nach einem dreimaligen Verfehlen dieses Kriteriums durch die größte Volkswirtschaft Eurolands, nach einem im kommenden Jahr möglicherweise zweiten Verfehlen durch Frankreich und einem nicht auszuschließenden Verfehlen durch Italien stünde der Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form vor dem Aus. Selbst wenn ein neuer Stabilitätspakt beschlossen würde, ist es fraglich, ob dieser für mehr Haushaltsdisziplin sorgen würde und ob er glaubwürdig wäre. Eine fehlende Garantie für eine solide Haushaltspolitik könnte aber unangenehme Folgen nach sich ziehen, wie etwa eine steigende Risikoprämie an den Kapitalmärkten für Bundesschuldtitel. Kurzfristig führen die steuerlichen Entlastungen zu einer Stimulierung der schwachen Binnennachfrage:

- Die steuerlichen Entlastungen gerade auch im unteren Bereich des Steuertarifs könnten die Konsumnachfrage anregen. Allerdings wird der Nachfrageeffekt deutlich hinter dem Entlastungseffekt zurückbleiben, denn die Haushalte werden einen guten Teil ihres zusätzlichen verfügbaren Einkommen sparen. Das temporäre Ansteigen des Sparens ist ein bei Steuerentlastungen öfters zu beobachtendes Phänomen und dient der zeitlichen Streckung des Zusatzkonsums. Derzeit kommt aber ein weiteres gewichtiges Sparmotiv hinzu, das aus dem temporären Phänomen ein lang anhaltendes gemacht hat: die Arbeitsplatzunsicherheit. Dies zeigte sich auch schon im Jahre 2001, also nach der ersten Entlastungsstufe mit einem Volumen von rund 22 Mrd Euro, als die Deutschen ihre Ersparnis um rund 8 ½ Mrd EUR ausdehnten; ein großer Teil dieser Mehrersparnis kam aus der Steuerentlastung. Das Jahr 2001 markierte aber auch den Beginn des bislang ungebrochenen Anstiegs der Arbeitslosigkeit, und entsprechend nahm das Vorsichtssparen weiter zu. Der verbleibende Teil des zusätzlichen verfügbaren Einkommens wird zwar nachfragewirksam, doch ein guter Teil der zusätzlichen Nachfrage wird nicht im Inland produziert, sondern vom Ausland importiert. Nach der kräftigen Aufwertung des Euro wird wegen der daraus resultierenden billigeren Importe der Teil, der im Ausland versickert, sogar größer sein als im Jahre 2001.

- Die steuerlichen Entlastungen insbesondere im oberen Tarifbereich führen dazu, dass nach der Einkommensteuer veranlagte Unternehmen / Unternehmer leichter Investitionen selbst finanzie-ren können. Da in Deutschland rund 83 % aller Unternehmen Personengesellschaften sind, ist dies ein Effekt, der nicht zu vernachlässigen ist. Allerdings sind auch diesem Stimulus Grenzen gesetzt, denn solange in Deutschland noch genügend freie Produktionskapazitäten vorhanden sind und solange die Ertragsperspektiven nur schwach sind, besteht für die Unternehmen nur wenig Anlass zu investieren. Viel wird von den Erwartungen hinsichtlich des Nachfrageeffekts der Steuerentlastungen und von dem Anziehen der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängen.

Die Finanzierung der Steuersenkungen und ihre Folgen

Die oben beschriebenen Auswirkungen der Steuererleichterungen basieren auf der Annahme, dass von deren Finanzierung keine gegenläufigen Effekte kommen. Darauf kann man aber nicht bauen. Prinzipiell sind vier Finanzierungsmöglichkeiten denkbar. Wir beschränken uns auf Überlegungen zur Finanzierung des Vorziehens der dritten Stufe, da wir unterstellen, dass die Entlastungen aus der zweiten Stufe in den Haushaltsplanungen schon berücksichtigt wurden. Es besteht dann ein Finanzierungsbedarf in Höhe von 15,6 Mrd Euro.

a) Die Finanzierung könnte über eine Erhöhung der Umsatzsteuer erfolgen. Gemäß einer Faustregel bringt eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes um einen Prozentpunkt rund sieben Mrd Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen. Entsprechend müsste der Umsatzsteuersatz um gut 2 Prozentpunkte ansteigen. Damit würde der derzeit im europäischen Vergleich zweitniedrigste Steuersatz in das untere Mittelfeld vorstoßen. Prinzipiell ist eine Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern dazu geeignet, das Wachstum zu stimulieren. Diesem mittelfristigen Effekt steht aber kurzfristig ein großes Hemmnis entgegen: die deutsche Konsumschwäche. Diese verbietet es geradezu in der gegenwärtigen Lage die Umsatzsteuer zu erhöhen. Denn zu den möglichen negativen Effekten einer Umsatzsteuersatzerhöhung auf die Konsumneigung der Haushalte kommen im Jahr 2004 weitere Bremswirkungen aus dem Vorzieheffekt, zumindest wenn die Umsatzsteuer zum 1. Januar erhöht werden sollte: Die Haushalte werden die ohnehin geplanten Anschaffungen so weit es geht in das laufende Jahr vorziehen, um eine höhere Steuerbelastung zu vermeiden. Das würde zwar möglicherweise in 2003 zu einer leichten Stimulierung führen, hätte aber für das Jahr 2004 eine kräftige Bremswirkung. In diesem Fall würde das Wachstum kaum spürbar angeregt werden.

b) In der Diskussion ist auch die Finanzierung durch eine Erhöhung der Verschuldung. Diese könnte zwar zu einem Anstieg der Zinsen führen, doch angesichts des geringen Zinsniveaus sind von dieser Seite nur geringe Bremswirkungen zu erwarten. Der konjunkturelle Stimulus wäre bei dieser Finanzierungsart sicher der größte - wir beziffern ihn auf rund ½ Prozentpunkt. Eine Finanzierung über zusätzliche Verschuldung verbietet sich jedoch, weil Deutschland in diesem Fall erneut das Defizitkriterium des Stabilitätspaktes verfehlen würde. Schon ohne das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ist ein Überschreiten der Defizitgrenze wahrscheinlich. Würde die steuerliche Entlastung komplett schuldenfinanziert, stiege das Defizit um 0,8 Prozentpunkte an und würde sich wieder der 4%-Linie nähern.

c) Denkbar und vom kleinen Koalitionspartner auch befürwortet ist eine zumindest teilweise Finanzierung durch den Verkauf von Aktiva. In Frage kämen Anteile an der Deutschen Telekom sowie Immobilienbesitz. Hiergegen sprechen aber die Marktlage und vermutlich auch, dass der zeitliche Vorlauf einer Privatisierung zu lang ist. Allerdings wäre es möglich die Vermögensgegenstände an die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu einem höheren Preis zu veräußern, den diese dann zu einem späteren Zeitpunkt in einer günstigeren Marktlage auch tatsächlich erzielen kann. Im Normalfall sind gegen das Stopfen von Haushaltslöchern durch den Verkauf von Aktiva große Bedenken anzumelden. Dies führt leicht zu Gewöhnungseffekten und verschleiert den eigentlichen Konsolidierungsbedarf. In diesem Fall liegen die Dinge allerdings anders: Unter der Annahme einer vernünftigen mittelfristigen Haushaltsplanung müssten die Entlastungen der dritten Stufe schon für das Jahr 2005 eingeplant sein. Es besteht dann nur die Notwendigkeit ein Jahr zu überbrücken, und hierfür sind Einmaleinnahmen aus Veräußerungserlösen durchaus geeignet. Da wie bei der Schuldenfinanzierung mit keinen Gegeneffekten zu rechnen ist, dürfte sich ein Wachstumsimpuls von rund ½ Prozentpunkt ergeben.

d) Die von uns am stärksten befürwortete Finanzierungsmethode besteht in Ausgabenkürzungen beziehungsweise in der Generierung zusätzlicher Einnahmen durch Streichung steuerlicher Subventionen. Von dieser Finanzierungsmethode gehen zwar gegenläufige Bremswirkungen aus - wir beziffern den zusätzlichen Wachstumsimpuls in diesem Fall auf rund 0,3 Prozentpunkte, doch bedeutet ein solcher Schritt auch den Einstieg in die längst überfällige konsequente Konsolidierung. Dabei sollten die Ausgaben beziehungsweise Subventionen, auch wenn es politisch leichter durchzusetzen ist, nicht nach der Rasenmähermethode gekürzt werden, sondern vielmehr durch eine politische Prioritätensetzung Einsparpotentiale eröffnet werden. Im Endeffekt wird es zu keiner Entscheidung für eine einzelne Finanzierungsart kommen. Wir erachten einen Mix der Finanzierungsarten für wahrscheinlich. Implementierungsprobleme

In Abhängigkeit von der gewählten Finanzierungsart ergeben sich Umsetzungsprobleme im politischen Prozess. Eine reine Schuldenfinanzierung würde - realistisch kalkuliert - das Defizit über den Grenzwert des Stabilitätspaktes katapultieren. In diesem Fall müsste die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission einen Ausnahmetatbestand geltend machen, um deren Zustimmung zu erwirken. Doch es ist weder mit einer Naturkatastrophe noch mit einem starken Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität zu rechnen. Entsprechend hat auch jüngst ein Sprecher der EU-Kommission signalisiert, dass Deutschland nicht auf deren Unterstützung bauen sollte. Es muss sich allerdings noch zeigen, ob die EU-Kommission stark genug ist auf die Einhaltung des Stabilitätspaktes zu pochen und gegebenenfalls das Sanktionsverfahren in die Wege zu leiten. Und selbst dann ist es fraglich, ob es nicht im Europäischen Rat zu einer Koalition der Paktbrecher kommt, die sich gegenseitig freisprechen. Ob sich die Bundesregierung auf eine derart gefährliche Machtprobe einlässt, ist fraglich.

Ein anderes Umsetzungsproblem resultiert aus dem Grundgesetz, nachdem ein Haushalt nur dann verfassungsgemäß ist, wenn die Neuverschuldung unter den geplanten Investitionen bleibt. Mit dem sich abzeichnenden Haushaltsentwurf für 2004, in dem das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform noch nicht vorgesehen ist, wird dieser Richtwert aber nur knapp unterschritten. Zusätzliche 16,5 Mrd Euro lassen sich nicht unterbringen. Der Bundesregierung bleibt, wenn sie dennoch auf diese Finanzierungsform setzen will, nur die Möglichkeit aufgrund der stimulierenden Effekte ein höheres - möglicherweise sogar ein zu hohes - Wachstum anzunehmen. Andernfalls müsste sie eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen, wofür ihr aber im Jahr 2004 angesichts einer sich stabilisierenden Konjunktur die Argumente fehlen.

Schlussendlich bedarf die Verschiebung der dritten Stufe der Steuerreform der Zustimmung des Bundesrates. Diese ist aber ungewiss - nicht nur weil die Opposition bestrebt sein könnte, dies aus strategischen Überlegungen heraus zu verhindern, sondern auch aus den finanziellen Interessen der Länder heraus. Die steuerlichen Erleichterungen bedeuten nämlich auch für die Länder massive Steuerausfälle. Es muss daher wohl über Kompensationszahlungen des Bundes an die Länder nachgedacht werden. Entsprechend skeptisch haben sich auch schon mehrere Landesregierungen - über alle Parteigrenzen hinweg - geäußert. Was zu tun ist 8. Die Bundesregierung sollte schnell und eindeutig ein Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform beschließen und die Art der Gegenfinanzierung so bestimmen, dass die Defizitquote nahe bei drei Prozent bleibt und die Staatsquote sinkt.

Die Wirkungen einer solchen Maßnahme sollten im Umfeld einer sich - angetrieben durch die weltwirtschaftliche Erholung - stabilisierenden Binnenwirtschaft positiv sein.

Notwendig ist es, die steuerpolitischen Maßnahmen mit einer glaubwürdigen Umsetzung der Agenda 2010 zu verbinden und zugleich weitergehende Maßnahmen, vor allem mit Blick auf das Tarifkartell und den Arbeitsmarkt, in Angriff zu nehmen. Dies bietet neben der günstigeren realwirtschaftlichen Entwicklung die Voraussetzung für einen positiven Effekt der Steuerreform.

Notwendig ist es ferner, durch ein Haushaltssicherungsgesetz die Konsolidierung des Bundeshaushaltes auf eine qualitativ andere Basis zu setzen. Nur mit dem umfassenden Eingriff in bestehende Leistungsgesetze kann der Haushaltsausgleich erreicht werden. Die bisherige Konsolidierungsstrategie im Rahmen der Haushaltsgesetze ist an ihr Ende gekommen und nicht mehr glaubwürdig.

Notwendig ist es schließlich, die wirtschaftspolitische Debatte aus der Vielstimmigkeit und Beliebigkeit in eine klare ordnungspolitische Perspektive einzubetten. Der Regierung kommt hierbei die kommunikative Führungsrolle zu. Es muss ein Ende haben, mit dem unberechenbaren Aufkeimen neuer Steuerbelastungsdiskussionen. Für eine Stärkung der Investitionen bedarf es elementar einer Stabilisierung der Erwartungen.

Prof. Dr. Michael Hüther, Tel.: 069/7147-2381, E-Mail: michael.huether@dekabank.de
Dr. Andreas Scheuerle, Tel.: 069/7147-2736, E-Mail: andreas.scheuerle@dekabank.de
Dr. Gabriele Widmann, Tel.: 069/7147-2851, E-Mail: gabriele.widmann@dekabank.de

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