K: Schuldenabbau - kommt der Appetit beim Essen?
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Externe Quelle: Deutsche Bank Reseach
Autor:Jörn Quitzau
Schuldenabbau - kommt der Appetit beim Essen?
Der deutsche Finanzminister hat seit 2002 ein Problem (mehr): den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Seither hat Deutschland Jahr für Jahr das 3%-Defizitkriterium verletzt und sich mit einem Schuldenstand von inzwischen fast 68% des BIP deutlich von der Maastrichter 60%-Obergrenze entfernt. Doch plötzlich geschieht das Unerwartete: Deutschland wird in diesem Jahr den Stabilitätspakt mit einem Budgetdefizit von 2,5% sicher einhalten und 2007 mit voraussichtlich 1,5% den besten Wert seit dem Boomjahr 2000 erzielen. In 2006 ist der Hauptgrund dafür die erstaunlich starke Konjunktur mit entsprechend hohen Einnahmen aus den Gewinn- und Einkommensteuern, in 2007 spielt die Mehrwertsteuererhöhung die Hauptrolle beim Defizitrückgang.
Wer nun geglaubt hat, die Politik würde sich angesichts der positiven Entwicklung zufrieden zurücklehnen, dürfte sich in diesen Tagen wundern. Die Nachrichten über „Schuldenbremsen“ oder gar Schuldenverbote legen die Vermutung nahe, den Politikern käme – jetzt, da der Anfang bei der Schuldenrückführung gemacht ist – der Appetit beim Essen. Worum geht es also bei den Vorschlägen zur Begrenzung der Staatsverschuldung?
Ein Vorschlag in der Diskussion ist das strikte Neuverschuldungsverbot, das in das Grundgesetz und in die Länderverfassungen aufgenommen werden soll. So wichtig die Rückführung der Staatsverschuldung auch ist, dieser Vorschlag dürfte über das Ziel hinausschießen, denn er schnürt den Staat fiskalisch zu stark ein. Es macht ökonomisch Sinn, dass der öffentliche Haushalt mit der Konjunktur „atmet“ und die automatischen Stabilisatoren in wachstumsschwachen Phasen genutzt werden. Politisch dürfte ein striktes Verbot zudem kaum mehrheitsfähig sein.
Ein zweiter Vorschlag – die so genannte Schuldenbremse – verfolgt das gleiche Ziel, nämlich die Vermeidung neuer Schulden. Im Gegensatz zum strikten Neuverschuldungsverbot wird mit der Schuldenbremse, so wie sie etwa die Schweiz kennt, lediglich beabsichtigt, über einen Konjunkturzyklus hinweg per saldo keine (strukturelle) Neuverschuldung entstehen zu lassen. Im Verlaufe des Konjunkturzyklus darf das Budget jedoch konjunkturgerecht „atmen“. Dieses Prinzip ist soweit vom europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt bekannt. Ebenso bekannt ist, dass sich das Prinzip in der Praxis nicht gerade bewährt hat und die Defizite nicht im gewünschten Maße begrenzt werden konnten. Deshalb bedarf es zusätzlicher Regelungen, um die Verschuldung effektiv zu bremsen.
Die Schweizer Schuldenbremse sei hier deshalb kurz skizziert: Sie besteht aus drei Elementen – einer Ausgabenregel, einem Ausgleichskonto und Sonderregelungen. Die Ausgabenregel soll dafür Sorge tragen, dass lediglich temporäre, konjunkturelle Budgetdefizite auftreten, die im Verlauf eines Zyklus durch entsprechende konjunkturelle Budgetüberschüsse wieder ausgeglichen werden. Anders ausgedrückt: Über einen vollständigen Konjunkturzyklus hinweg entsprechen die staatlichen Einnahmen den staatlichen Ausgaben. Es liegt auf der Hand, dass der korrekten Einschätzung des Produktionspotentials und den daraus resultierenden Einnahmen des Staates eine entscheidende Bedeutung zufällt. Fehleinschätzungen können – neben anderen Gründen – zu ungeplanten Defiziten führen. Um die Schätzungen zu optimieren bietet es sich an, unabhängige Institutionen in die Prognosearbeit einzubeziehen. Kanada z.B. hat damit sehr gute Erfolge erzielt. Ein wichtiges Element bei der überaus erfolgreichen kanadischen Entschuldungspolitik war die Verbesserung der makroökonomischen Prognosen durch die Einbeziehung privater Unternehmen und Institutionen in die Prognosearbeit.
Die Schweizer Schuldenbremse hat für unvorhergesehene Abweichungen von der Haushaltsplanung ein so genanntes Ausgleichskonto angelegt. Langfristig muss auch dieses Ausgleichskonto im Durchschnitt ausgeglichen sein, weil sonst lediglich Defizite aus dem regulären Haushalt auf ein Nebenkonto umgebucht würden. Entstehen auf dem Ausgleichskonto also kurzfristig Defizite, müssen diese durch eine entsprechend restriktivere Haushaltspolitik in der Zukunft ausgeglichen werden.
Schließlich gelten bei der Schweizer Schuldenbremse ähnlich wie beim europäischen Stabilitätspakt Sonderregelungen für außergewöhnliche Umstände wie Naturkatastrophen oder schwere Rezessionen. Damit ist der Schweizer Staat finanzpolitisch ausreichend flexibel. Der deutsche Sachverständigenrat (SVR) hat sich in seinem jüngsten Jahresgutachten für eine Schuldenbremse ausgesprochen, favorisiert jedoch eine Variante, bei der zusätzlich zu den konjunkturellen Defiziten ein investitionsorientiertes strukturelles Defizit zulässig ist.
Könnte die Einführung einer Schuldenbremse zum Schuldenabbau in Deutschland beitragen? Theoretisch ist die Schuldenbremse ein sinnvolles Konzept. Zwar würden die Schulden absolut nicht sinken, aufgrund fehlender Neuverschuldung würde in einer wachsenden Wirtschaft der Schuldenstand gemessen am BIP jedoch zurückgehen. Gleichwohl bleibt zu klären, wie die effektive Umsetzung der Regeln vor politischer Einflussnahme geschützt werden kann. Die Erfahrung mit dem europäischen Stabilitätspakt zeigt, dass es Politiker verstehen, unter dem Druck leerer öffentlichen Kassen das Regelwerk übermäßig zu dehnen oder sogar zu reformieren, um so den Schuldenspielraum zu erweitern. Der Sachverständigenrat schlägt deshalb vor, zusätzlich zur Einführung einer Schuldenbremse die vereinfachte Einleitung eines Normenkontrollverfahrens zu ermöglichen – zwecks Überprüfung der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenzen. Der SVR hält es für erwägenswert, unabhängigen Institutionen wie der Bundesbank oder dem Bundesrechnungshof ein Antragsrecht bei den Verfassungsgerichten zuzugestehen. Die Schweizer Schuldenbremse ist seit 2003 in Kraft, für eine abschließende Beurteilung ihrer Wirksamkeit ist es insofern noch zu früh.
Nach Einführung einer Schuldenbremse müsste den Bundesländern ein gewisses Maß an Steuerautonomie eingeräumt werden, denn wenn die Verschuldungsmöglichkeit deutlich eingeschränkt wird, haben die Länder kaum noch Einnahmespielraum und müssten sich bei der Ausgabenpolitik an den weitgehend exogen vorgegebenen Einnahmen orientieren.
Schließlich würde die Einführung einer Schuldenbremse nur das quantitative Problem der öffentlichen Finanzen in Deutschland lösen. Die stärker investive und dafür weniger konsumtive Verwendung der Staatsausgaben müsste gesondert umgesetzt werden. Diese Umorientierung hätte deutlichen Einfluss auf das Wachstumspotential und die Chance, aus der Staatsverschuldung „herauszuwachsen“. Insofern ist die Schuldenbremse weit davon entfernt, ein Allheilmittel zu sein.
Die momentane Diskussion über den verschärften Kampf gegen die Staatsverschuldung ist erfreulich. Worte ersetzen jedoch keine Taten. Der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel ist mit seinen alljährlichen – und nicht gehaltenen – Versprechen der Schuldenrückführung noch in bester Erinnerung.
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