K: Rentenpolitik mit mehr Realitätssinn
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Externe Quelle: Deutsche Bank Research
Rentenpolitik mit mehr Realitätssinn
Die Bundesregierung hat beschlossen, das Renteneintrittsalter zügiger als bislang angedacht von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Statt über 24 Jahre soll sich der Anpassungszeitraum nur über 18 Jahre erstrecken, wobei der Startschuss unverändert 2012 fallen soll. Auf den Beschluss haben die Verfechter tradierter Sozialpolitik in gewohnter Manier reagiert. "Unbegründet", "ungerecht" und "nicht akzeptabel" lautet ihr Verdikt. Zudem verweisen die Kritiker auf beschäftigungspolitische Probleme, obwohl die Regierung den Turbo bei der Anpassung erst 2024 zuschalten will. Ab dann soll das Rentenalter pro Kalenderjahr um 2 statt nur um einen Monat nach hinten verlegt werden, so dass das volle Rentenalter 67 von 2029 an gilt.
Von heutiger Warte aus betrachtet scheint ein höheres Rentenalter in der Tat nicht zur Lage am Arbeitsmarkt zu passen. Nur 41 % der über 55-Jährigen sind in Deutschland erwerbstätig - im Gegensatz zu 51 % im Industrieländer-Durchschnitt. Das Ausstiegsalter aus dem Erwerbsleben liegt bei 61 Jahren. Über 55 % der älteren Arbeitslosen sind bereits seit über einem Jahr arbeitslos. Offenkundig leistet der deutsche Arbeitsmarkt bei der Integration der Älteren zu wenig.
Das spricht aber nicht gegen die Rente mit 67, sondern deutet auf notwendige Reformen am Arbeitsmarkt hin. So reflektiert die geringe Erwerbsquote der Älteren auch die lange Zeit relativ umfassende soziale Absicherung gerade dieser Altersgruppe. Hier hat der Gesetzgeber notwendige Veränderungen inzwischen eingeleitet. So können ältere Arbeitslose seit Anfang Februar nur noch maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I beziehen. Umso wichtiger ist es, die Beschäftigungsperspektiven der Älteren zu verbessern.
Dazu bedarf es sachgerechter Rahmenbedingungen, insbesondere mehr Flexibilität bei den Arbeitskonditionen. Auch eine veränderte Mentalität der Arbeitgeber, die erst langsam Platz greift, wäre hilfreich. Verschiedene Institutionen, darunter die Arbeitgeberverbände und die OECD, haben zu diesen Punkten nützliche Vorschläge unterbreitet. Zu den Empfehlungen gehört eine flexiblere, stärker produktivitäts-orientierte Entlohnung älterer Beschäftigter. Es ist bezeichnend, dass gerade die Protagonisten eines unveränderten Rentenalters solche lohnpolitische Maßnahmen vehement ablehnen. Im Übrigen heißt Rente mit 67 nicht, dass alle Beschäftigten bis zu diesem Alter den Beruf ausüben sollten, den sie in jüngeren Jahren gewählt haben. Das dürfte etwa bei Tätigkeiten, die hohe Anforderungen an die physische Leistungsfähigkeit stellen, weder möglich noch wünschenswert sein. Wir sollten uns auch auf dem beruflichen Lebensweg auf mehr Flexibilität einstellen.
Die Rentenversicherung darf nicht länger Abladeplatz arbeitsmarktpolitischer Versäumnisse sein. Vielmehr muss die in den letzten Jahren bereits eingeleitete Sanierung der Rentenkassen weitergeführt werden. Die rot-grüne Bundesregierung hat insbesondere mit dem in die Rentenformel eingefügten Nachhaltigkeitsfaktor bereits einen wichtigen Schritt vollzogen. Der Nachhaltigkeitsfaktor sorgt dafür, dass die finanzielle Belastung durch den fehlenden Nachwuchs an Beitragszahlern in angemessener Weise zwischen den Rentnern und den Aktiven verteilt wird. Bis 2030 sinkt das Rentenniveau und die Beiträge steigen moderat.
Offen war bisher hingegen noch die Anhebung des Renteneintrittsalters. Dieser Teil der Sanierungsaufgabe wird nun - mit Verspätung - ebenfalls angepackt. Es mangelt der Rentenversicherung nicht nur an Beitragszahlern. Sie hat wegen der steigenden Lebenserwartung auch ein gravierendes Kostenproblem. Als die Rentenversicherung 1957 eingeführt wurde, lag die Lebenserwartung eines Neugeborenen bei knapp 67; heute sind es 76 Jahre. Gleichwohl blieben das gesetzliche und weitgehend auch das faktische Renteneintrittsalter unverändert. Daraus resultiert eine immer längere Rentenbezugsdauer. Sie ist seit 1960 von knapp 10 auf 17 Jahre gestiegen. Ein Ende des Anstiegs ist nicht absehbar. Jedenfalls nimmt die Lebenserwartung in Deutschland derzeit in einem Jahrzehnt um zweieinhalb Jahre zu. Das ist eine erfreuliche Entwicklung - zumal die Menschen die gewonnenen Lebensjahre überwiegend gesund verbringen können. Es wäre aber absurd, wollte man künftigen Beitragszahlern abverlangen, eine durchschnittliche Rentenbezugsdauer von 20 Jahren und mehr zu finanzieren. Vielmehr ist den Bürgern durchaus zuzumuten, einen Teil ihrer gewonnenen Lebensjahre als Arbeitsjahre zu verbringen oder für einen vorzeitigen Ruhestand durch vermehrte Ersparnisbildung selbst vorzusorgen.
Eine zügige Anhebung des Rentenalters ist also keineswegs ungerecht. Im Gegenteil. Wenn der gerade von Sozialpolitikern oft angeführte Begriff der Generationengerechtigkeit mehr als ein bloßes Schlagwort sein soll, muss die überfällige Anpassung des Rentenalters zügig umgesetzt werden. Andernfalls wäre ungeachtet des Nachhaltigkeitsfaktors ein kräftiger Anstieg der Rentenbeiträge programmiert.
Diese Tatsache ist spätestens seit der Vorlage des Gutachtens der Rürup-Kommission im Sommer 2003 allgemein bekannt. Die Kommission hat dem Gesetzgeber damals neben der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors auch die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre angeraten, freilich über einen Zeitraum von 24 Jahren.
Die Bundesregierung hat sich nun zu Recht auf eine kürzere Frist geeinigt. Das heißt nicht, dass sich die Experten geirrt hätten. Fakt ist aber, dass die Lebenserwartung dynamischer wächst als die Kommission angenommen hat. Eine zusätzliche Entlastung bei den Rentenbeiträgen wird die Fristverkürzung also nicht bringen. Wenn der Beitragssatz nachhaltig unter der-20 Prozent-Marke bleiben soll, kann die jetzt beschlossene Rente mit 67 noch nicht das letzte Wort sein. Das gilt umso mehr, als die Politik den Nachhaltigkeitsfaktor teilweise außer Kraft gesetzt hat. Nach seinem Modus wären die Renten in den letzten beiden Jahren nominal gesunken und würden wohl auch im laufenden Jahr schmaler werden. Das freilich wollte die Politik nicht zulassen. Deswegen wurde die Rentenformel durch eine entsprechende Sicherungsklausel ergänzt. Erst kürzlich hat Arbeits- und Sozialminister Müntefering diese Klausel bekräftigt und auch für die Zukunft sinkende Renten ausgeschlossen. Einen Teil des erhöhten Anpassungsdrucks hat die Politik also selbst erzeugt.
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