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11:00 Uhr, 19.07.2004

K: 10 Thesen zum deutschen Arbeitsmarkt

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Externe Quelle: Bankgesellschaft Berlin

10 Thesen zum deutschen Arbeitsmarkt

These 1: Die Erholung auf dem Arbeitsmarkt ist die entscheidende Voraussetzung für einen nachhaltigen Aufschwung in Deutschland.

Die konjunkturelle Lage in Deutschland hat sich seit Jahresbeginn etwas aufgehellt. Wachstumsimpulse gingen bisher aber fast ausschließlich von den Exporten aus. Dagegen lässt die Erholung des privaten Verbrauchs - mit einem Anteil von rd. 56% mit Abstand die größte Komponente des Bruttosozialproduktes - noch auf sich warten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die deutsche Konjunktur über eine Belebung des privaten Konsums an Breite gewinnt, sehen wir in der Erholung auf dem Arbeitsmarkt.

These 2: Die bisher ausbleibende Besserung auf dem Arbeitsmarkt ist nichts außergewöhnliches, sondern üblich für einen nachlaufenden Indikator.

Die konjunkturelle Besserung in Deutschland ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch nicht angekommen. Allenfalls die Verlangsamung des Anstiegs der saisonbereinigten Arbeitslosenzahl deutet auf eine allmähliche Stabilisierung hin. Im Juni war zumindest ein marginaler Rückgang zu beobachten (-1,000 Arbeitslose gg. Vormonat). Enttäuschend fielen dagegen wieder die Erwerbstätigenzahlen aus. Sie weisen für April (letzter verfügbarer Stand) erneut einen deutlichen Stellenabbau aus. Die Erwerbstätigenzahl ging im Vergleich zum Vormonat um 28,000 zurück (März: -34,000).

Auch in den USA hat es - trotz erheblich höherer Flexibilität des Arbeitsmarktes - lange gedauert, bis sich die anziehende Konjunktur positiv in den Beschäftigungszahlen niederschlug. Die letzte Rezession war hier bereits im vierten Quartal 2001 überwunden. Die Zahl der Erwerbstätigen sank aber noch über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren. Trotz des kräftigen BIP-Wachstums seit Mitte 2003 konnte erst seit März 2004 ein merklicher Stellenzuwachs verzeichnet werden. Auch die deutsche Wirtschaft wächst seit Mitte 2003 wieder, aber im Vergleich zu den USA mit niedriger Rate. Selbst bei leichter Wachstumsbeschleunigung müssen wir uns wegen der Eigenschaft des Arbeitsmarktes als Spätindikator der wirtschaftlichen Entwicklung vermutlich bis 2005 gedulden, bis eine echte Entspannung auf dem deutschen Arbeitsmarkt eintritt.

These 3: Die jüngsten Aufwärtsrevisionen beim BIP lassen erwarten, dass die Beschäftigungsschwelle 2004 überschritten wird.

Erstmals seit dem Jahr 2000 deutet sich in Deutschland wieder ein spürbares gesamtwirtschaftliches Wachstum an. Die guten Daten zur Produktion und zu den Auftragseingängen haben in der jüngsten Zeit zu einer Reihe von Aufwärtskorrekturen beim BIP geführt. Die Mehrzahl der Forschungsinstitute rechnet nun für das laufende Jahr mit einem realen Wachstum um 1.8%.

Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hat die Beschäftigungsschwelle in Deutschland für die 90er Jahre mit 1.9% BIP-Wachstum berechnet. Dabei beobachteten die Wirtschaftsforscher einen Rückgang der Beschäftigungsschwelle seit den 60er Jahren. Die jüngsten Strukturreformen am deutschen Arbeitsmarkt (vgl. These 4 und 5) und der langjährige Trend sprechen dafür, dass die Beschäftigungsschwelle in Deutschland derzeit nicht mehr bei 1.9%, sondern eher bei 1.5% liegt. Ein BIP-Wachstum von 1.8% sollte deshalb ausreichen, um einen allmählichen Beschäftigungsaufbau einzuleiten.

These 4: Die Reformen am Arbeitsmarkt erhöhen die Anreize der Arbeitslosen zur Arbeitssuche kräftig.

Die jüngsten Reformen am Arbeitsmarkt stellen in ihrer Gesamtheit die umfassendsten Eingriffe der letzten Jahrzehnte dar. Sie sind u.E. geeignet, den weiteren, strukturell bedingten Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland zu verhindern. So wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes deutlich auf 12 Monate gesenkt und die Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose soweit verschärft, dass künftig fast jede Arbeit anzunehmen ist, um nicht die Sozialleistung zu verlieren. Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II voraussichtlich Anfang 2005 bedeutet die größte Kürzung von Transferleistungen des Staates in der deutschen Sozialpolitik. Rd. 500,000 Langzeitarbeitslose erhalten wegen der verschärften Anrechnung der Einkommen des Partners und des Vermögens künftig gar keine Unterstützung mehr; für rd. 3 Mio. Arbeitslose gibt es deutlich weniger Geld. Dafür soll die Betreuung und Vermittlung der Arbeitslosen durch die Bundesagentur für Arbeit verbessert werden. Mit der Umsetzung dieser Reformen sollte die jahrelange Diskussion über zu geringe Anreize von Arbeitslosen zur Suche und Aufnahme einer neuen Arbeit endlich beendet sein.

These 5: Der deutsche Arbeitsmarkt ist flexibler als je zuvor.

Trotz der nach wie vor hohen Regulierungsdichte auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben die Unternehmen in Deutschland Wege gefunden, ihre Flexibilität zu erhöhen. Dazu zählen die zunehmende Verbreitung von Teilzeitarbeit und zeitlich befristeter Beschäftigung oder die Etablierung der Zeitarbeit. So ist die Teilzeitquote in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre von 14% auf 22.4% gestiegen. Die verstärkte Nutzung dieser besonderen Beschäftigungsverhältnisse hat es Unternehmen im jüngsten Abschwung ermöglicht, die Personalkapazitäten unter Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zu reduzieren. Beispielsweise können Verträge mit Zeitarbeitsfirmen kurzfristig gekündigt und befristete Arbeitsverhältnisse beendet werden. Auch in der Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen liegen Einsparpotenziale bei den Personalkosten. Mit zunehmender konjunktureller Erholung sollten diese flexiblen Arbeitsformen auch zu einem schnelleren Beschäftigungsaufbau beitragen. Eine besonders wichtige Komponente der zunehmenden Flexibilität ist die erkennbare Abkehr von starren Arbeitszeiten.

These 6: Die Abkehr von der 35-Stunden-Woche öffnet den Weg zu flexiblen Arbeitszeitmodellen.

Die Zeit der starren Arbeitszeitregelung in Deutschland scheint vorbei. Zwar haben die Gewerkschaften erheblichen Widerstand gegen die generelle Rückkehr zur 40-Stunden- Woche angekündigt. Es häufen sich aber die Fälle, in denen die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich ausgeweitet wird, um Arbeitsplätze zu sichern. Prominentes Beispiel ist die Regelung bei Siemens, wo die Wochenarbeitszeit für 4,500 Beschäftigte an zwei Standorten von 35 auf 40 Stunden erhöht wird. Grundlage hierfür ist der Tarifabschluss von Februar dieses Jahres, der den Tarifparteien größere betriebliche Spielräume lässt. Fast alle Bundesländer weiten die Arbeitszeit ihrer Beamten ohne finanziellen Ausgleich deutlich aus; die öffentlichen Angestellten sollen folgen. So müssen beispielsweise 100,000 Beamte in Hessen statt bisher 38 Stunden nun - je nach Alter - 40 bis 42 Stunden arbeiten. In Ostdeutschland ist die 40-Stunden-Woche ohnehin schon Realität, da höchstens ein Viertel der Industriebeschäftigten nach Flächentarif bezahlt wird und die 35-Stundenwoche hier nie eingeführt wurde. Auch der jüngste Tarifabschluss bei den Banken sieht eine Härtefallklausel vor, nach der einzelne Institute in wirtschaftlich schwierige Lage befristet vom Flächentarif abweichen können. Zuletzt hatte DaimlerChrysler Druck auf 6,000 Beschäftigte ausgeübt, um denen effektive Arbeitszeit durch das Streichen großzügiger Pausenregelungen zu erhöhen. Die Kosteneinsparungen in Höhe von rd. 500 Mio. Euro sollen notfalls durch eine Verlagerung nach Bremen oder Südafrika erzielt werden.

Wir gehen davon aus, dass diese Regelungen wie auch die jüngste Diskussion über die im internationalen Vergleich hohe Zahl von Urlaubs- und Feiertagen in Deutschland zu einer spürbaren Ausweitung der Jahresarbeitszeit führen. Dies kann einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen leisten, der sich spürbar positiv in den Lohnstückkosten niederschlagen wird.

These 7: Der massive Export von Arbeitsplätzen in das Ausland ist nicht bewiesen.

Im Zeitalter der Globalisierung kommt es auf der einen Seite durchaus zur Verlagerung nicht mehr wettbewerbsfähiger, meist gering qualifizierter Arbeitsplätze in das kostengünstigere Ausland. Auf der anderen Seite entstehen aber dadurch auch zusätzliche, in der Regel höher qualifizierte Stellen im Inland. Gerade die Exporterfolge der deutschen Automobilindustrie haben im vergangenen Jahr zum deutlichen Stellenaufbau in der Branche geführt. Auch einen tendenziell zunehmenden Anteil von Vorprodukten aus dem Ausland bei der Produktion deutscher Güter sehen wir nicht als hinreichenden Beweis für die Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland. Allein die fast tägliche und öffentlichkeitswirksame Drohung deutscher Unternehmen, einen Teil ihrer Arbeitsplätze in das kostengünstigere Ausland zu verlagern, darf nicht mit der tatsächlichen Umsetzung verwechselt werden. In den meisten Fällen ist dies Teil der Verhandlungsstrategie, um auf betrieblicher Ebene zu flexibleren und kostengünstigeren Vereinbarungen zu gelangen.

These 8: Die deutschen Gewerkschaften sind zu schwach, um die Reformen am Arbeitsmarkt zu gefährden.

Die deutschen Gewerkschaften sind so schwach wie selten zuvor. Die Zahl der im Deutschen Gewerkschaftsbund organisierten Arbeitnehmer ist seit 1994 um ein Viertel auf nur noch 7.4 Mio. gesunken. Der Abwärtstrend setzt sich bis zuletzt fort. Im vergangenen Jahr wurde erstmals ein Streik - in Ostdeutschland, wo die Mehrzahl der Unternehmen ohnehin nicht mehr nach Tarif zahlt - von der IG Metall ohne Ergebnis abgebrochen. Auch in den jüngsten Tarifverhandlungen traten die Gewerkschaften recht moderat auf, was zu gesamtwirtschaftlich vertretbaren Abschlüssen geführt hat. Im ersten Halbjahr 2004 wurden Tariferhöhungen von durchschnittlich nur 1.6% vereinbart.

Zwar haben die Gewerkschaften scharf gegen die jüngsten Sozialreformen der Bundesregierung protestiert. Eine Rücknahme der Maßnahmen schließen wir jedoch aus. Selbst wenn die Bundesregierung zu Zugeständnissen im Detail bereit sein sollte, wird dies nichts an der grundsätzlichen Neuorientierung ändern. Außerdem ist der Großteil der Maßnahmen im Bundesrat zustimmungspflichtig und ein "Umkippen" von Regierung und Opposition gleichermaßen sehr unwahrscheinlich.

These 9: Langfristig droht Deutschland wegen der demographischen Entwicklung sogar ein Arbeitskräftemangel.

Mit einer durchschnittlichen Rate von 1.3 Geburten je Frau schrumpft langfristig selbst bei kontinuierlicher Nettozuwanderung aus dem Ausland die Bevölkerung in Deutschland. Unter der Annahme einer mittleren Entwicklung der Lebenserwartung und einer jährlichen Nettozuwanderung von 200,000 Personen p.a. rechnet das Statistische Bundesamt ab dem Jahr 2012 mit einer rückläufigen Bevölkerungszahl. Der Arbeitsmarkt wird aber wegen der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung viel früher mit der demographischen Entwicklung konfrontiert. Die neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Jahrgänge dürften künftig viel geringer ausfallen als die Jahrgänge der über 60-jährigen, die aus dem Berufsleben ausscheiden. Dieser Effekt schlägt zunächst noch nicht voll durch wegen der kriegsbedingt schwachen Jahrgänge 1942 bis 1948. Spätestens die starken Jahrgänge der 50er Jahre können aber bei ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben nur noch unvollständig von den dann auf den Arbeitsmarkt drängenden Jahrgängen der 90er Jahre ersetzt werden. Die demographische Lücke in einer Größenordnung von 200,000 bis 300,000 Erwerbstätigen pro Jahr wird daher mittel- bis langfristig zu einem Arbeitskräftemangel in Deutschland führen.

These 10: Fazit: Die fortschreitende konjunkturelle Erholung und vor allem die umfassenden Strukturreformen lassen eine baldige Besserung auf dem deutschen Arbeitsmarkt erwarten.

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