Kommentar
12:03 Uhr, 15.07.2013

Japan: Quo vadis? Teil II

Mit dem Erfolg der QE Programme der amerikanischen Notenbank sind die Japaner auf den Geschmack radikaler Politik gekommen. Die Voraussetzungen in den USA waren allerdings ganz andere als heute in Japan. Daher kann nicht automatisch von einem positiven, langfristigen Effekt ausgegangen werden. Im Gegenteil: die QE Programme der japanischen Notenbank werden mittelfristig neue Probleme schaffen, die die Situation noch verschlimmern könnten.

QQE

In Japan wurde dem Quantitative Easing noch ein Q hinzugefügt. Dieses steht für qualitativ. Gemeint sind damit die das QE-Programm begleitenden Strukturreformen. Diese sind dringend notwendig, denn QE allein dürfte der Wirtschaft langfristig nicht genügen. Der japanische Premier begann seine Rede zu den angestrebten Reformen vor einigen Wochen ungewöhnlich dynamisch, ja fast schon pathetisch. Innerhalb eines Jahrzehnts soll das Pro-Kopf-Einkommen um 16.000 Dollar steigen. Das entspricht einem Wachstum von gut 40% in 10 Jahren oder 3,5% jährlich. Selbst in den kurzen „Boomphasen“ der vergangenen 20 Jahre betrug das Wachstum gerade einmal 2%. Shinzo Abes Vorhaben ist da schon sehr ambitioniert. Um das zu erreichen, soll die Wirtschaft flexibler werden und mehr investieren. Steuervergünstigungen sollen die Investitionen um 70 Milliarden Dollar in drei Jahren steigen lassen. Das entspricht immerhin 1,46% des heutigen BIPs.

Der Arbeitsmarkt soll flexibler werden. Das ist für Japan eine große Neuerung. Nicht zuletzt deshalb gibt es auch eine Einschränkung. Die Flexibilisierung soll vor allem in Sonderwirtschaftszonen gelten, die erst noch eingeführt werden müssen. Über Subventionen sollen mehr Japaner einen Job finden. Bei nahezu Vollbeschäftigung fragt man sich als Europäer natürlich schon, ob es die Milliardensubventionen hier wirklich braucht. Darüber hinaus soll der Agrarsektor reformiert werden, vor allem, um ihn für den Export interessanter zu machen. Das klingt soweit ganz gut. Im Detail zeigt sich aber, dass die großen Reformen ausbleiben und selbst das, was vorgeschlagen wurde, kaum nennenswerte Veränderungen bringt. Dafür kostet das Ganze 120 Milliarden Dollar. Die Reaktion der Aktienmärkte ist bekannt. Der Nikkei verlor innerhalb weniger Wochen über 20%. Aus Investorensicht machen diese Kursverluste Sinn, denn ein ganz großes Problem ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen. Aufgrund des starren Arbeitsmarktes können Angestellte de facto nicht entlassen werden. Das führt dazu, dass Unternehmen überhöhte Kosten haben. Um Mitarbeiter zum Gehen zu veranlassen, werden diese in Extremfällen unbeschäftigt in dunkle Räume verfrachtet. Das über Wochen durchzuhalten, würde vielen schwerfallen. Japaner scheinen diesbezüglich allerdings eine große Leidensfähigkeit zu haben. Mit anderen Worten: es braucht wirklich sehr dringend Strukturreformen. Andernfalls kann Japan noch so viel Geld drucken, es wird die Probleme nicht lösen.

Kurzfristig hat das QE einen hohen Wirkungsgrad. Die Mehrjahreshochs des Nikkei haben das gezeigt. Das Programm der BoJ ist auch in der Größenordnung einmalig. Die Bilanz der BoJ ist ziemlich explosiv. Gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes, ist sie bereits jetzt aufgeblähter als jene der US Notenbank. Über die kommenden zwei Jahre sollen noch einmal mehr als eine Billion Dollar hinzukommen. Damit erhöht sich die Bilanzsumme auf 60% des BIPs. Zum Vergleich: in den USA sind es nur gut 20%.

Dieses Extrem war notwendig, um den Markt wirklich in Schwung zu bringen. Die Bilanz zeigt, dass der Bestand an Staatsanleihen bis Ende 2005 bereits stark anstieg (Chart 1, JGB, linke y-Achse). Tatsächlich hatte die BoJ bereits in den Jahren 2001 bis 2005 ein QE Programm laufen. Nachdem sich dadurch kaum etwas bewegte, wurden solche Programme für unwirksam befunden. Interessant ist, dass die BoJ innerhalb eines kurzen Zeitraums von anderthalb Jahres das Programm komplett beendete, ohne die fragile Wirtschaft in ein noch tieferes Loch zu stoßen. Diese Beobachtung gibt Hoffnung, dass auch der Ausstieg der Fed gelingen kann – zumal die US Wirtschaft robuster ist als die japanische 2005.

Das neue QE Programm, welches etwas überdimensioniert erscheint, hat seine Wirkung kurzfristig nicht verfehlt. Ob es wirklich diese Größenordnung gebraucht hätte, sei dahingestellt. Nach dem Fehlversuch Anfang des Jahrtausend hatte die BoJ allerdings kaum eine andere Wahl, als neue Maßstäbe zu setzen, um überhaupt etwas zu bewegen. Ziel ist vor allem eine Inflationsrate von 2% zu erreichen. In der zweiten Grafik ist zu sehen, dass die Inflation (rechte Skala) in den vergangenen 20 Jahren immer nur sehr kurzzeitig über 2% lag. Selbst in der Übertreibungsphase Ende der 80er Jahre betrug die Inflation nur 4%. Während die Arbeitslosigkeit langsam steigt (rechte Skala), ist die Industrieproduktion (linke y-Achse) bei einem leichten Abwärtstrend immer volatiler geworden.

Höhere Inflation kann die Menschen dazu anregen, mehr zu konsumieren. Unternehmen haben einen Anreiz, Investitionen jetzt durchzuführen und nicht zu warten. Die schwächere Währung soll den Exporten helfen, was die Produktion beflügeln dürfte. Letztlich sollte dann auch wieder Vollbeschäftigung erreicht werden. Das sind eigentlich ganz gute Aussichten.

Das Dilemma

Neben den positiven Effekten, die das QE Programm bringt, gibt es auch einige Nebenwirkungen, die die Japaner überraschten. Seit das Inflationsziel von 2% herausgegeben wurde, hat sich am Anleihenmarkt eine ungewöhnliche Dynamik ergeben. Der nächste Chart zeigt die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen. Seit 15 Jahren ist die Spanne zwischen 0,5% und 2%. Seit 2006 sanken die Renditen kontinuierlich auf ein Tief bei 0,4%. In der Langzeitbetrachtung sind die Effekte des QE noch kaum zu erkennen. Die Detailansicht zeigt aber eine große Verschiebung.

Betrachtet man nicht die Renditeentwicklung der vergangenen 45 Jahre, sondern schaut auf den Chart des JGB Futures (Äquivalent zum Bund Future), dann zeigt sich eine beängstigende Entwicklung. Der JGB Future erreichte noch Anfang 2013 ein neues Hoch bei gut 146 Punkten. Das entsprach den rekordtiefen Zinsen von 0,4%. Seitdem ging der Kurs bis auf 141 Punkte zurück, was eine Rendite von 0,9% bedeutete. Damit verdoppelte sich die Rendite innerhalb von nur zwei Monaten. Das ist wirklich extrem. Entsprechend überrascht zeigten sich sowohl japanische Notenbanker als auch die Regierung, schließlich hatten QE Programme in Europa und den USA keinen solchen Effekt.

Die Gründe für den dramatischen Anstieg der Rendite sind vielfältig. Die exorbitante Staatsverschuldung ist dabei fast schon nebensächlich. Diese steigt zwar nach wie vor in einem erschreckenden Tempo an, aber das ist ja keine neue Entwicklung. Mit den neuen Konjunkturprogrammen sollte Ende 2014 bis Anfang 2015 eine Verschuldung von 250% des BIPs erreicht sein. Die Schätzungen des IWF sehen danach eine Stagnation. Wahrscheinlich ist das zu optimistisch. Insgesamt ist kaum mit einer Stagnation zu rechnen – selbst wenn die Vision einer stark wachsenden Wirtschaft Realität wird.

Das Ausmaß der Staatsschulden ist einmalig in der Welt. Anderseits ist auch die Sparquote in Japan ziemlich einmalig. Die Quote liegt noch immer deutlich über 20%. Unter anderem die Höhe der Vermögen wird als Grund angeführt, weshalb die Regierung sich weiterhin ungebremst verschulden kann. Ein Effekt der Regierungs- und Notenbankprogramme soll nun aber sein, den Konsum anzukurbeln. Indirekt heißt das, die Sparquote zu senken. Es fließt also weniger Geld von privaten Haushalten in den Anleihenmarkt. Neue Gesetze ermuntern zudem Pensionsfonds mehr Aktien zu kaufen und weniger Staatsanleihen zu halten. All das kann die Notenbank durch ihr QE Programm problemlos auffangen. Dennoch steigen die Renditen erheblich. Woran liegt das?

Durch die Deflation konnte die Rendite vergleichsweise minimal sein. Was nominell mickrig aussieht, ist real eine hohe Rendite. Der Realzins lag in den vergangenen Jahren zwischen 2 und 3,5%. Das ist deutlich mehr als etwa in den USA, wo der Realzins zeitweise negativ war. Unterstellt man den Investoren, dass der Realzins die geforderte Rendite widerspiegelt, dann müssen Anleihen inklusive der Inflation ein Niveau von 2-3% halten. Steigt nun die Inflation auf 2%, dann fehlt der Rendite dazu ein erhebliches Stück. Genau genommen müsste die Rendite langläufiger Anleihen auf 4-5% steigen, um die Forderungen der Investoren zu erfüllen.

Sollt es soweit kommen, ergeben sich daraus unangenehme Konsequenzen. Die Zinszahlungen der Regierung würden dramatisch steigen. Derzeit werden 16% der Einnahmen für die Zahlungen benötigt. Dieser Wert könnte innerhalb von 10 Jahren um 10 Prozentpunkte steigen und damit dann ein Viertel des Budgets beanspruchen. Selbst wenn also die japanische Wirtschaft wächst wie gewünscht ist zu befürchten, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen die steigende Zinslast nicht kompensieren. Und genau das ist das Dilemma: funktioniert das jetzt aufgelegte Programm, steigt die Inflation, fließt weniger Geld in Staatsanleihen, steigen die Renditen, wird der Haushalt noch mehr belastet usw. Das ist ein Teufelskreis, den die Japaner angestoßen haben, in der Hoffnung, die Wirtschaft endlich zu beleben. Nichts zu tun ist jetzt auch nicht wirklich eine gute Alternative. Dennoch wurde hier etwas in Gang gebracht, was mit der Situation in den USA nicht vergleichbar ist. Wie sich die Japaner aus diesem Teufelskreis befreien werden, bleibt abzuwarten. Ein mehrjähriges, hohes Sparprogramm würgt die Wirtschaft wieder ab und hinterlässt Japan in einem noch schlechteren Zustand. Ein Schuldenschnitt hat nicht weniger dramatische Konsequenzen. Es bleibt die Inflation. Diese müsste allerdings ein Ausmaß annehmen, welches dann mit Preisstabilität nichts mehr zu tun hat. Ob Inflationsraten über 5% zudem zur Entschuldung beitragen können, ist äußerst fraglich. Wenn Investoren schon bei der Aussicht auf Inflation in zwei Jahren einen hohen Renditeaufschlag verlangen, kann man sich ausmalen, was passiert, wenn die Inflation über das Ziel hinausschießt.

Zusammengefasst bin ich langfristig sehr skeptisch, ob sich die Japaner wirklich ihrer Probleme durch QE entledigen können. Was in den USA funktioniert hat, führt in Japan erst zu einer ganzen Reihe neuer Herausforderungen. Kurzfristig wird die Party wohl weitergehen, nicht zuletzt, weil ein Ausstieg aus QE in den USA dem japanischen Programm noch mehr Gewicht verleiht. Wie Japan aus dem beschriebenen Dilemma herauskommt, wird sehr spannend. Verfehlt das Programm langfristig seine Wirkung, hinterlässt es Japan in einer schlechteren Situation als vor dem Programm. Wirkt es, aber nicht ausreichend, dann gerät Japan in eine massive Schuldenkrise. Einen guten Ausgang gibt es nur, wenn die Notenbank eine Punktlandung erreicht, also moderate Inflation, hohes Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung. Dann sollte der Staat Einnahmen generieren, die die Kosten übersteigen. Eine Punktlandung mit vielen Variablen und kaum zu kontrollierbarem Auswirkungen wird schwierig. Bei einer solch aggressiven Politik ist es fast unmöglich, genau 2% Inflation zu erreichen. Wie die Notenbank gewährleisten will, dass es dann am Ende nicht doch 3% Inflation werden, bleibt derzeit noch offen, obwohl genau das der überlebenswichtige Punkt ist. Mir fehlt momentan die Fantasie einen guten Ausgang zu prognostizieren. Bis es soweit ist – und das wird Jahre dauern – gibt es keinen Grund der Party fernzubleiben.

Viel Erfolg

Clemens Schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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