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12:00 Uhr, 07.03.2024

IWH sieht Deutschland in der Stagnation festgefahren

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat wie zuvor andere Institute seine Prognose für das deutsche Wachstum in diesem Jahr gesenkt, die für 2025 aber angehoben. Demnach dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 um 0,2 Prozent expandieren und 2025 um 1,5 Prozent, wie das IWH mitteilte. Im vergangenen Dezember waren die IWH-Konjunkturforscher nach eigenen Angaben noch von einem Plus von 0,5 Prozent im Jahr 2024 und von 1,2 Prozent im Jahr 2025 ausgegangen.

Das Land sei "in der Stagnation festgefahren", erklärte das Institut aber. Die Konsum- und Investitionszurückhaltung in Deutschland lasse sich zum Teil durch Realeinkommensverluste aufgrund der hohen Inflation und Produktionsrückgänge in den energieintensiven Wirtschaftszweigen erklären. Die Inflationsrate sah das IWH 2024 bei 2,6 Prozent und 2025 bei 1,8 Prozent. Darüber hinaus lasteten aber auch Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland auf der Ausgabenbereitschaft von privaten Haushalten und Unternehmen, betonten die Wirtschaftsforscher aus Halle.

"Deutschland befindet sich in einer lang anhaltenden Stagnation", betonte auch IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller. Ende 2023 seien privater Konsum und Investitionen niedriger als vor dem Pandemieausbruch vor vier Jahren gewesen. Für die schlechte Wirtschaftslage gebe es mehrere Ursachen. Hohe Inflation habe die Realeinkommen gedrückt, und die Haushalte hielten sich mit Konsumausgaben zurück. Die Industrieproduktion der energieintensiven Wirtschaftszweige sei deutlich rückläufig. Aber auch allgemeine Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland drückten die Ausgabenneigung von Haushalten und Unternehmen.

Stützend wirke der recht robuste Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte nach der Prognose 2024 auf 2,682 Millionen steigen, aber 2025 wieder auf 2,569 Millionen sinken, die Arbeitslosenquote liegt demnach 2024 bei 5,8 Prozent und 2025 bei 5,6 Prozent. Der jüngste Anstieg der realen Arbeitnehmereinkommen dürfte sich im Jahr 2024 fortsetzen und ein deshalb wieder höherer privater Konsum die Unternehmensinvestitionen stabilisieren. Allerdings würden die Bauinvestitionen weiter durch die gestiegenen Finanzierungskosten belastet. "Erst in der zweiten Jahreshälfte ist mit einem leichten Anziehen der Konjunktur zu rechnen", sagte Holtemöller voraus.

"Ein Risiko für die deutsche Konjunktur besteht in der Frage, wie gut der derzeitige erhebliche Strukturwandel bewältigt werden kann", so der Ökonom. Teile des verarbeitenden Gewerbes, etwa energieintensive Produzenten oder Zulieferer der Automobilindustrie, bauten Arbeitsplätze ab. Weil gesamtwirtschaftlich Arbeitskräftemangel herrsche, sollte es im Prinzip möglich sein, die zum Teil hoch qualifizierten Fachkräfte rasch wieder in Beschäftigung zu bringen. Es gebe aber auch erschwerende Faktoren, denn sowohl der regionalen als auch der beruflichen Mobilität ständen in Deutschland oft hohe Hürden entgegen. Gegenwärtig komme dazu eine verbreitete Unsicherheit, die Unternehmen davon abhalten könnte, jetzt mit neuen Mitarbeitern zu expandieren.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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