Kommentar
13:32 Uhr, 04.12.2015

Ist Mario Draghi vom Nikolaus zum Knecht Ruprecht mutiert?

Die Finanzmärkte sind von den letzten Entscheidungen der EZB offensichtlich enttäuscht. Der Einlagenzins wurde nicht so deutlich gesenkt wie erwartet und ebenso wurde das bisherige monatliche Aufkaufvolumen von Anleihen von 60 Mrd. Euro nicht weiter erhöht. Die Marktenttäuschung hat EZB-Präsident Draghi sich selbst zuzuschreiben. Er und sein Chef-Volkswirt wurden in den letzten Wochen nicht müde, eine noch großzügigere Geldpolitik in Aussicht zu stellen. Wer mehr verspricht als er hält, darf sich über Enttäuschungen nicht wundern. Draghi dürfte im letzten Moment kalte Füße bekommen haben und wollte sich vom Markt nicht vorführen lassen, auch wenn er diesem die Wurst wie einem Hund vor die Nase gehalten hat.

Sehr fatal zeigt sich aber auch, dass die Geldpolitik zum alles beherrschenden Einflussfaktor für die Finanzmärkte geworden ist. Sie sind vom billigen und üppigen Geld abhängig wie der Drogenabhängige vom nächsten Schuss. Jede noch so kleine geldpolitische „Enttäuschung“ - auch wenn die Expansion weniger expansiv ausfällt als erwartet - wird bestraft. Ohne „happy central banking“ zeigen die Aktien- und Rentenmärkte unverhohlen Missstimmung und schwächen damit die fundamentalen Aufwärtskräfte noch mehr.

Nach der ersten Enttäuschung ist jedoch gemäß Statement von Draghi im Anschluss an die letzte Notenbanksitzung grundsätzlich keine Kehrtwende in der Geldpolitik der EZB zu erkennen. Sie zeigt sich von den Erfolgen ihres bisherigen Anleiheaufkaufprogramms offensichtlich wenig überzeugt. In puncto Wachstumsprojektionen für die Eurozone zeigt sie sich zwar leicht optimistischer (2015: 1,5 statt 1,4 und 2017: 1,9 statt 1,8 Prozent). Ein konjunktureller Durchbruch ist dies aber sicherlich nicht. Im Übrigen verläuft die Deflationsbekämpfung weiter enttäuschend, so dass die EZB ihre Inflationsprojektionen das zweite Mal in Folge senkte (2016: 1,0 statt 1,1 und 2017: 1,6 statt 1,7 Prozent). Aus heutiger Sicht müssen ihre Wachstums- und Inflationsprognosen ohnehin als zu optimistisch angesehen werden. Insofern setzt sie zukünftig auf eine Verstärkung ihrer geldpolitischen Dynamik. So verlängert sie ihre monatlichen Wertpapieraufkäufe von September bis März 2017 und kauft damit für etwa 360 Mrd. Euro mehr Anleihen auf als zunächst geplant. Gut 90 Mrd. Euro entfallen dabei auf deutsche Anleihen. Bedeutsam ist auch, dass die EZB sich in ihrem Bestand befindliche, fällig werdende Anleihen erneut in den Anleihemarkt investiert. Damit wird also das Liquiditätsvolumen im Zeitablauf nicht sinken, sondern zumindest auf Rekordniveau verbleiben.

Und überhaupt, hat Mario Draghi - auch mit Blick auf geopolitische und Terrorrisiken - erneut deutlich gemacht, dass die EZB allzeit bereit ist, eine weitere Ausweitung oder abermalige Verlängerung ihres Aufkaufprogramms vorzunehmen, wenn die Inflationsentwicklung weiter enttäuschen sollte.

Expansiv ist durchaus zu werten, dass die EZB den Einlagenzins - er stellt die Renditebegrenzung dar, bis zu der die EZB Staatstitel aufkaufen kann - von minus 0,2 auf minus 0,3 senkt. So kann sie auch wieder verstärkt deutsche Staatspapiere aufkaufen, deren Renditen unterhalb der bisherigen Kaufgrenze liegen. Hiermit verbindet die EZB auch die Absicht, dass Anleiheinvestoren von kürzeren auf längere, renditeattraktivere Laufzeiten ausweichen und so deren Renditen im Zeitablauf weiter unterdrückt bleiben.

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Einer weiteren Lockerung der Geldpolitik entspricht es - das Volumen der zum Ankauf verfügbaren Staatsanleihen sinkt - dass die EZB zukünftig auch Aufkäufe von Regionalanleihen der Euro-Staaten tätigt. Durch ihre Liquiditätshausse garantiert die EZB damit neben den Euro-Staaten, auch weniger bonitätsstarken Regionen und Kommunen noch für lange Zeit eine Neuverschuldung zu historisch günstigsten Zinsen.

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Die Asymmetrie der europäischen Bankenpolitik behindert die Privatwirtschaft
Kreditinstitute über den nun noch höheren Strafzins für Einlagen von minus 0,3 Prozent zu einer Steigerung der bislang enttäuschenden Kreditvergabe zu animieren, wird von wenig Erfolg gekrönt sein. Zwar zeigt die Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte im Vorjahresvergleich eine relative Trendwende nach oben. Absolut betrachtet ist das nur leicht positive Kreditwachstum jedoch bestenfalls ein Basiseffekt auf die verheerende Kreditvergabesituation der letzten Jahre. Durchgreifende Impulse für die Privatwirtschaft sind auch zukünftig kaum zu erwarten. Billiges und viel Zentralbankgeld ist nämlich nur das Eine. Das Andere sind die schwache Kreditnachfrage von Unternehmen, die angesichts der verhaltenen Konjunkturaussichten auf Sicht fahren und vor allem ihre Eigenkapital schonende Risikozurückhaltung. Denn Kreditinstitute zeigen sich verhalten bei neuen Kreditengagements, da ihre aufsichtsrechtliche Regulierung in puncto Eigenkapitalerhalt bzw. -aufbau deutlich zugenommen hat. Insgesamt neutralisieren sich freizügige Geldpolitik und Marktregulierung gegenseitig. Vor diesem Hintergrund ist die EZB gefordert, als Alternative weiter die schuldenfinanzierte Staatswirtschaft zu stützen.

GRAFIK DER WOCHE
EZB-Einlagenzins und Kreditvolumen an Unternehmen und private Haushalte in der Eurozone, in Prozent zum Vorjahr

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Die EZB betreibt langfristig weiter Währungs-Dumping

Auch wenn die Reaktion an den Währungsmärkten kurzfristig gegenläufig ist, geht es der EZB hinter vorgehaltener Hand nicht zuletzt um eine grundsätzliche Euro-Schwächung zur Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone. Der Zeitpunkt hierzu ist günstig. Denn während sich die US-Notenbank liquiditätspolitisch zurückhält und sogar die - wenn auch sanfte - Zinswende anstrebt, weitet die EZB ihre Ausstattung mit Zentralbankgeld bei sinkenden Einlagenzinsen noch aus. Im Endeffekt wird der Euroraum zinsseitig uninteressanter und lässt den Euro gegenüber US-Dollar im Trend abwerten. Je großzügiger die Liquiditätsversorgung einer Anlageregion, desto relativ schwächer ist ihre Währung. Insofern ist der Weg des Euros Richtung Parität weiter bereitet.

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Mit der Euro-Schwächung setzt die EZB nicht zuletzt auf währungsseitige Deflationsbekämpfung, die jedoch Zeit braucht, bis sie wirkt. Auch importierte Inflation bekämpft die „Geiz ist geil-Mentalität“ vieler Wirtschaftsteilnehmer, die mit Blick auf immer günstigere Preise ihre Investitions- und Konsumentscheidungen in die Zukunft verlagern. Da heutzutage viele Wirtschaftsbranchen kaum mehr Preisüberwälzungsspielräume haben, ist die EZB noch sehr lange an einer Reflationierungspolitik - auch währungsseitig - interessiert.

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Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Keine Angst vor geldpolitischer Enthaltsamkeit

Nach der ersten enttäuschenden Reaktion auf die letzten Beschlüsse der EZB werden die Finanzmärkte die gegenüber den USA absolut expansive Geldpolitik Mario Draghis auf den zweiten Blick wieder höher gewichten. Selbst wenn im EZB-Rat der Rückhalt für eine unbegrenzt lockere Geldpolitik nicht mehr unbegrenzt ist, bleiben „Expansion“ und „Unkonventionalität“ dennoch treffende Charakteristika für die zukünftige EZB-Politik. Eine insofern abwertende Gemeinschaftswährung kommt deutschen, exportorientierten Aktien typischerweise zugute.

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Angesichts einer Laufzeitverlängerung von Anleihekäufen bei gleichzeitig sinkenden Einlagenzinsen ist die Anlageklasse „Zinsvermögen“ fortgesetzt unattraktiv. Die intakte Liquiditätshausse bleibt auch zukünftig Triebfeder der Aktienmärkte, mindestens jedoch eine Versicherung gegen deutliche Kursverluste. Eine Rückkehr der Geldpolitik zur Normalität ist in der aktuellen Gemengelage nicht möglich. Sie würde über erschwerte Refinanzierungen von Staatsverschuldung den ohnehin politisch bröckelnden Zusammenhalt der Eurozone weiter befeuern und im Extremfall den Zusammenbruch des Europäischen Finanzsystems begünstigen.

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Die US-Leitzinswende am 16. Dezember scheint nach Verlautbarungen der Fed ausgemachte Sache zu sein. Nachhaltige zinspolitische Restriktion ist aber nicht zu befürchten. Denn die Stimmung in der US-Industrie befindet sich nach mittlerweile monatelanger dramatischer Eintrübung gemäß ISM Index mit aktuell 48,6 auf dem niedrigsten Stand seit der US-Rezession Mitte 2009. Zwar sorgt der robuste - zuletzt aber auch nachgebende - US-Dienstleitungssektor für Stabilisierung. Durchgreifend ist die Konjunkturerholung aber nicht. Insofern geht es bei der Leitzinswende primär um Wahrung der zinspolitischen Glaubwürdigkeit. Denn nach Amtsantritt von Janet Yellen im Februar 2014 ist Zinserhöhungsrhetorik ein fester Bestandteil der Fed-Außendarstellung. Irgendwann muss man liefern. Um größeren Schaden von der US- und Welt-Konjunktur fernzuhalten, hat Yellen jedoch ebenfalls immer wieder deutlich gemacht, dass sie die US-Zinswende nur vorsichtig vollzieht.

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Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Die Großwetterlage bleibt positiv

Charttechnisch stößt der DAX im Falle einer Fortsetzung der technischen Reaktion bei 10.585 Punkten auf Unterstützung. Auf dem Weg nach oben warten erste Widerstände bei 10.864 und darüber bei 10.980 sowie 11.084 Punkten. Werden diese zurückerobert, liegen die nächsten Hürden bei 11.153 und letztlich bei 11.350 Punkten.

Wird im Euro Stoxx 50 die Unterstützung bei 3.385 unterschritten, liegt die nächste Haltelinie bei 3.325 Punkten. Auf der Oberseite verläuft der erste Widerstand am kurzfristigen Aufwärtstrend bei aktuell 3.477 Punkten. Wird darüber der seit April bestehende mittelfristige Abwärtstrend bei derzeit 3.553 überwunden, dürfte die nächste Kurslücke zwischen 3.580 und 3.602 Punkten angesteuert werden. Darüber warten weitere Barrieren im Bereich um 3.700 und 3.782 Punkte.

Der Wochenausblick für die KW 50
In den USA deuten stabile Einzelhandelsumsätze und ein wieder freundlicheres Konsumentenvertrauen auf die Widerstandsfähigkeit des für die US-Wirtschaft wichtigen Konsums hin.

In der Eurozone dürfte sich das Investorenvertrauen in die Eurozone laut Finanzdatenanbieter Sentix etwas aufhellen. In Deutschland bleibt mit Spannung abzuwarten, ob die Zahlen zur Industrieproduktion und den Exporten im Oktober der sich verbessernden Stimmung im deutschen Verarbeitenden Gewerbe folgen können.

Nach zwischenzeitlicher Unterbrechung bestehen gute Chancen, dass die Jahresend-Rallye bei Aktien anschließend weitergeht.

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