Kommentar
00:00 Uhr, 24.02.2009

Interview zum Zertifikatemarkt - "Verantwortlich für die Finanzkrise sind sicherlich nicht die Zertifikate"

Das Portfolio-Journal sprach mit Herrn Jürgen Koch, Zertifikatespezialist bei der RBS, über die die Märkte im allgemeinen und den Zertifikatemarkt im speziellen.

1. Herr Koch, ein Jahr, das den Anlegern ganz besonders verheerende Kursverluste bescherte, liegt hinter uns. Wie beurteilen Sie die Lage an den Märkten vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise?

Die Börsen haben in diesen Börsenmonaten eine deflationäre Wirtschaftskrise vorweg genommen. Von Volkswirten wird derzeit eine Entwicklung wie in den 30er Jahren als möglich eingestuft. Die US-Kerninflationsrate – also der Preisanstieg ohne Energie und Lebensmittel – liegt bei 0,1 Prozent, das ist der geringste Wert seit 1982. Angst macht nicht nur das Niveau sondern auch die Schnelligkeit des Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit. Zudem befinden sich nicht nur die USA sondern auch der Euroraum und Japan auf Rezessionskurs. Der synchrone Abschwung verschärft die Risiken für die Weltwirtschaft. Und das belastet wiederum die Immobilien- und Aktienmärkte rund um den Globus.

2. Die Boulevardmedien haben nach der Lehman-Pleite in den vergangen Wochen einen Schuldigen gesucht und gefunden – Zertifikate. Wie hoch beziffern Sie den dabei entstandenen Schaden für die Branche? Wie lässt sich das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen?

Verantwortlich für die Finanzkrise sind sicherlich nicht die Zertifikate. Die Schuld liegt nach Ansicht von Experten bei einigen Notenbanken, die mit niedrigen Zinsen den Aufbau einer Kreditblase begünstigten. Dieses Geld sorgte an zahlreichen Immobilienmärkten für massive Übertreibungen. Zinssteigerungen dieser Notenbanken führten 2008 dazu, dass im Vorjahr das Kartenhaus zusammenbrach. Bankanleihen, zu denen auch Zertifikate zählen, wurden nach der Pleite der Investmentbank Lehman-Pleite zwar kritisch unter die Lupe genommen. Staatliche Garantien für Geschäftsbanken mit Einlagengeschäft sorgten jedoch schnell wieder für einen Vertrauensaufbau. Die Zertifikate-Branche leidet genau wie die Fonds-Branche unter der Baisse an den Märkten.

3. Die Produkte der ABN Amro firmieren jetzt neuerdings unter dem blauen Label der Royal Bank of Scotland. Was hat es damit auf sich?

Im Oktober 2007 hat ein Bankenkonsortium unter Führung von der Royal Bank of Scotland Group plc, also der RBS, eine Mehrheitsbeteiligung an der ABN AMRO Holding N.V. erworben. Die Royal Bank of Scotland wird die Investmentbanking-Aktivitäten der ABN AMRO Bank übernehmen, zu denen auch das Zertifikate-Geschäft gehört. Der Bereich Zertifikate wird also auch nach der Übernahme bestehen bleiben. Schließlich zählen wir zu den drei großen Anbietern neben der Deutschen Bank und der Commerzbank.

4. Welche Änderungen ergeben sich daraus für den Anleger?

Ein Beispiel dafür, dass es im Falle einer Übernahme zu keiner Änderung kommt, bietet der Kauf der HVB durch die UniCredit. Die Inhaber von Zertifikaten wurden durch diese Übernahme nicht benachteiligt. An der Börse oder auch außerbörslich konnten Investoren die Zertifikate ohne Beeinträchtigung weiter handeln. Das wird auch bei unseren Zertifikaten der Fall sein. Das normale Emissionsgeschäft wird weiter betrieben und der Anlegerservice weiter bei uns groß geschrieben. Wir haben über die Jahre hinweg viel in den Aufbau unserer Internet- und Handelsplattformen für Zertifikate investiert.

5. Derzeit ist viel davon zu hören, dass die Produkte in Zukunft einfacher werden und nicht mehr in der großen Anzahl wie bisher angeboten werden sollen. Wie stehen Sie zu diesem Pauschalvorwurf?

Den Siegeszug trat die Zertifikatebranche mit einfachen Strukturen an. Investoren erkannten, dass sie mit Index Zertifikaten einfach an dem DAX oder anderen Indizes partizipieren können. Auch Discounter als Papiere, die einen Einstieg zu einem Rabattpreis ermöglichen, der durch eine Gewinnbegrenzung bezahlt werden muss, wurden von Investoren schnell verstanden. Schnell konnten sich auch die Bonus Zertifikate und Kapitalschutz Zertifikate, die einen Teil- oder Vollschutz gegen Kursverluste bieten, etablieren. Einige Emittenten wollten dann zwanghaft neue Strukturen kreieren. Viele dieser Innovationen, die in den Vorjahren entstanden sind, sind so komplex, dass keine Marktmeinung mehr darin erkennbar ist. Viele dieser komplexen Strukturen bescherten den Investoren Verluste. Ich vermute, dass die Krise an den Kapitalmärkten zu einer Rückbesinnung führt und dass einfache Strukturen wieder an Bedeutung gewinnen.

6. Ihr Produktangebot erstreckt sich über ein sehr umfangreiches Spektrum an verschiedenen Basiswerten. Welche Märkte und Strukturen sind bei ihren Kunden derzeit besonders gefragt? Wo könnten sich jetzt geeignete Einstiegsgelegenheiten ergeben?

Auch hier wird es eine Rückbesinnung geben. Enge Themen wie Next-11 oder Holz verlieren an Bedeutung. Die Investoren setzen stärker auf bekannte Indizes und wichtige Basiswerte – beispielsweise im Rohstoffsektor auf Öl. Und auch das Anlageverhalten ändert sich. Viele Investoren schauten früher nach Zertifikaten mit einer hohen Maximalrendite plus einem attraktiven Sicherheitspuffer. Heute wird wieder mehr auf Bewertungskennzahlen und die Entwicklung des Basiswerts, also der unterliegenden Indizes oder Aktien, geschaut. Erst danach folgt der Blick auf die Kennzahlen der Zertifikate. Das finde ich positiv.

7. Wie wird in Zeiten von Finanzmarktkrise und Abgeltungsteuer Ihrer Meinung nach der Zertifikatemarkt 2009 aussehen?

Wie sie wissen, werden ab Anfang 2009 Zertifikate und Fonds steuerlich gleich behandelt. Das ist positiv. Für Zertifikate spricht, dass Anleger damit ihr Risiko steuern und ihren Ertrag optimieren können. Eine solche Flexibilität ist mit Fonds nicht darstellbar. Zudem können wir schnell agieren, wenn sich die Marktsituation verändert. Ein Zertifikat kann innerhalb von 24 Stunden auf den Markt gebracht werden, wenn alle Vorarbeiten erledigt sind. Ein Fonds mit Derivatestruktur benötigt eine Genehmigungszeit von mindestens 90 Tagen. Da die Baisse zu einer Schrumpfung des Fondsvolumens führte, werden derzeit viele Fonds gekündigt. Ein Portfoliomanager hat schließlich mit einem Fondsvolumen von zehn Millionen Euro kaum eine Chance, wirtschaftlich zu arbeiten. Für ein Zertifikat reicht bereits ein Bruchteil davon. Ich vermute, einen Teil der frei werdenden Mittel kann die Zertifikatebranche für sich gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview wurde in der letzten Ausgabe des Portfolio-Journals veröffentlicht. Melden Sie sich am besten gleich unter dem folgenden Link für diesen monatlich erscheinenden kostenfreien Newsletter an, falls Sie noch kein Abonnent sind.
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