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15:40 Uhr, 23.11.2004

Interview mit Open-Text-CEO Tom Jenkins

Quelle: Betafaktor.info

Enterprise-Content-Management (ECM) wird so wichtig wie Enterprise-Resource-Planning (ERP). Mit dieser Kernaussage will der Open-Text-CEO Tom Jenkins im Interview mit »boerse-go.de« deutlich machen, dass das Thema ECM in den nächsten Jahren zu den »heissen« IT-Themen gehört. Wesentliche Ursache dafür sind derzeit die wachsenden Compliance-Anforderungen an die Wirtschaft.

Wenn es um ECM geht, wird viel von E-Mail-Archivierung gesprochen. Das kann aber doch noch nicht alles sein?
Jenkins: In der Tat, E-Mail-Management ist nur ein Teil von ECM. Allerdings beeinflussen E-Mails das Geschäftsleben immer mehr. Ein Geschäftsmann braucht heute zwei bis drei Stunden täglich, um seine E-Mails zu managen. Das ist eine enorme Zeitblockade. E-Mail-Archivierung wiederum wird derzeit stark nachgefragt, weil es Teil der Lösung ist, die Compliance-Anforderungen der Regierungen zu erfüllen.

Wie beeinflussen die neuen Compliance-Regularien die IT-Welt?
Jenkins: Der Einfluss ist enorm, und wird weiterhin stark wachsen. Alleine die Einführung der Regelungen, um die Sarbanes-Oxley-Act-Anforderungen erfüllen zu können, kostet beispielsweise unser Haus rund 2 bis 3 Millionen US-Dollar alleine in diesem Jahr. Jetzt sind wir aber nur ein kleines Unternehmen im Vergleich zu Großkonzernen. Auf jeden Fall werden es die Compliance-Anforderungen mit sich bringen, dass sich der IT-Fokus von ERP zu ECM verschiebt. ECM wird in einigen Jahren so wichtig sein wie heute ERP.

Warum werden ausgerechnet diese beiden IT-Bereiche so stark davon betroffen sein?
Jenkins: Die Softwareindustrie konzentrierte sich viel zu lange auf strukturierte Informationen wie Rechnungszahlen und Adressdaten, also die Daten eines ERP-Systems; das sind aber nur rund 10 Prozent aller Unternehmensdaten. Rund 90 Prozent der Unternehmensinformationen liegen indes als E-Mails, Fließtext oder Grafiken vor. Viele Firmen ersticken heute unter einem Berg von Unternehmensinformationen, dem sie nicht gewachsen sind und von dem sie so nicht profitieren können. ECM geht neue Wege in der Informationstechnologie. Bei ECM geht es weniger um Zahlen - sondern mehr um Texte, Grafiken und andere unstrukturierte Daten, wie wir sie alle von unseren täglichen E-Mails her kennen. In der Tat zielen die Compliance-Anforderungen genau auf diese 90 Prozent der Unternehmensdaten - und das ist es, was den Unternehmen so Kopfzerbrechen bereitet.

Aber es gibt doch ECM-Lösungen. Was ist dann das Problem?
Jenkins: Das Problem vor allem für Großunternehmen ist: Die unstrukturierten Daten verdoppeln sich derzeit alle zwei Monate, das haben kürzlich Marktforscher herausgefunden. Die Explosion der digitalen Daten und Informationen ist außer Kontrolle geraten. Wir haben ein paar Kunden, die generieren 1 TByte - pro Tag! Heute gibt es z.B. das Mobile-Phone/PDA »Blackberry« zum E-Mail-Lesen und -Verschicken. Aber warten Sie mal, bis die Nokias und Siemens' dieser Welt ähnliche Geräte in richtigen Stückzahlen auf den Markt bringen - dann gibt es mehr mobile Geräte zum E-Mail-Erzeugen als es heute PCs gibt. Dann beginnt die E-Mail-Explosion erst noch richtig.

Wenn man sich den Markt anschaut - richtig große ECM-Firmen gibt es noch nicht im Vergleich zur ERP-Industrie…
Jenkins: Das stimmt. Im Prinzip sind wir eine relativ junge Industrie. Die vier größten ECM-Unternehmen - dazu zähle ich Open Text/Ixos, Filenet, die ECM-Abteilung von IBM und Documentum - machen zusammen weniger Umsatz als die Nummer 3 auf dem ERP-Markt, Peoplesoft. Aber es wird auch in der ECM-Industrie eine Konsolidierung geben, so wie Peoplesoft gerade von Oracle übernommen wird. Die Konsolidierung wird uns beflügeln, denn unsere Branche ist zersplittert. Documentum wurde ja schon von dem Storage-Anbieter EMC übernommen. Wir haben mehrere Akquisitionen getätigt, u.a. hier in Deutschland Ixos Software, Gauss und SER Government.

Könnten Sie sich vorstellen, dass ERP-Firmen wie SAP oder Oracle demnächst mal ECM-Firmen übernehmen, um ihr Angebot abzurunden?
Jenkins: Ich denke, dass es hier noch ein paar Jahre ruhig bleiben wird. Die sind momentan mehr mit den Supply-Chain-Management- (SCM) und Customer-Relationship-Management-Anbietern (CRM) beschäftigt. Das könnten deren nächsten Angriffsziele sein. Aber in drei bis vier Jahren könnte sich das ändern.

Hat sich Ihnen schon mal eine Storage-Firma mit Akquisitionsabsichten genähert?
Jenkins: Nein, da gab es noch keine Gespräche. Eine Sache wie EMC/Documentum würde für die anderen großen Storage-Anbieter auch keinen Sinn machen, da wir mit allen anderen - StorageTek, Hitachi, HP, IBM und Sun Microsystems - extrem enge Partnerschaften bis hin zu OEM-Abkommen haben. Insofern würde ich in solch einer Akquisition keinen strategischen Sinn sehen.

Warum hat sich aus Ihrer Sicht EMC entschlossen, Documentum zu übernehmen?
Jenkins: Nun, dieser Schritt treibt bei EMC auf jeden Fall mal die Margins in die Höhe, und es unterstützt die Hardware-Verkäufe von EMC. Ob es langfristig Sinn macht, muss sich erst noch zeigen. Es gibt in unserer Branche jedoch kaum Beispiele für eine erfolgreiche Akquisition einer Software-Firma durch einen Hardware-Anbieter.

Wie sieht es bei Ihnen aus? Noch weitere Akquisitionsgelüste?
Jenkins: Ich denke, wir haben jetzt alle Technologien im Haus. Es wird deshalb keine Technologie-Akquisition mehr geben. Woran ich aber jetzt denke, sind vertikale Akquisitionen. Also Unternehmen mit Branchen-Know-how, die uns in einem bestimmten Segment weiterbringen und unsere Märkte vergrößern.

An was denken Sie hier?
Jenkins: Ich glaube, dass Unternehmen beispielsweise aus dem Energie- oder Finanzdienstleistungssektor den größten Bedarf für ECM-Technologien haben. Hier halten wir die Augen offen. Wobei ein Übernahmekandidat durchaus auch eigene Technologien haben kann. Aber die Akquisitionsentscheidung wird definitiv nicht technologie-, sondern marktgetrieben sein.

Wen sehen Sie als Ihre größten Konkurrenten an?
Jenkins: Zuallererst IBM - obwohl wir mir denen auch sehr eng kooperieren -, und dann natürlich auch Filenet. IBM ist aber für uns bedeutender, weil sie mit Lotus-Notes auch Datenbanken-Know-how und damit das umfassendste Angebot haben.

Und was halten Sie von den jüngsten Schachzügen von Microsoft und deren »Sharepoint«?
Jenkins: Mit Microsoft haben wir fast keine Berührungspunkte. Zum einen adressieren sie nur kleine Teilaspekte des Marktes, zum anderen konzentrieren sie sich hauptsächlich auf klein- und mittelständische Unternehmen. Wir offerieren aber eine Komplettlösung, die sich hauptsächlich an Großkunden richtet. Im Bereich eGovernment kooperieren wir sogar mit Microsoft sehr eng (http://www.ecmguide.de/magazin/aktuelles.asp?theID=2859).

Sie haben jetzt ein Buch veröffentlicht: »Enterprise Content Management - What you need to know« (http://www.ecmguide.de/magazin/aktuelles.asp?theID=2841). Was wollen Sie damit bezwecken?
Jenkins: Wie ich schon sagte: Im Prinzip sind wir eine relativ junge Industrie. Ich bekomme bei Kunden und Analysten immer und immer wieder die gleichen Fragen gestellt. Dabei habe ich festgestellt, dass es auch noch viel Begriffsverwirrung gibt. Deshalb habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Es wird das gesamte Spektrum erklärt: Von Business-Process-Management, Collaboration & Knowledge-Management und Commercial-Business-Solutions über Compliance und Corporate-Governance bis hin zu E-Mail-Archivierung, Enterprise-Application-Extensions, Government & Records-Management und Web-Content-Management. Außerdem will ich in meinem Buch den Unternehmen anhand von mehr als 60 Praxisbeispielen aufzeigen, wie sie die Informationsflut besser in den Griff bekommen und wie ECM zu mehr Sicherheit, Produktivität und Qualität beiträgt.

Für Sie ist also klar: ECM wir der Megatrend der nächste Jahre…
Jenkins: Es ist doch so: Richtig genutzt verschaffen die im Unternehmen vorhandenen Informationen Wettbewerbsvorteile. Entscheidungen können schneller und fundierter getroffen werden, wenn den Entscheidungsträgern die richtigen Informationen zur richtigen Zeit vorliegen. Heute beschäftigen sich zwar schon viele Unternehmen mit dem Thema ECM, die meisten aber leider nur aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen. Aber das wir sich ändern. Die E-Mail-Flut macht die Notwendigkeit des Content-Management überdeutlich - und dies nicht allein, aber auch aufgrund gesetzlicher Regelungen. Ein wichtiges Hilfsmittel ist ECM überdies bei der Organisation der Zusammenarbeit verschiedener Teams, vor allem, wenn sich diese Teams nicht an demselben Standort befinden. In der heutigen Zeit, in der viel stärker global gedacht werden muss, ist dies immer häufiger der Fall. Diese Veränderung schlägt sich vor allem in den Anforderungen an die IT nieder. Während sie in der Vergangenheit den Umgang mit strukturierten Daten beherrschen musste, sind es heute Ideen, die durch flexible Formen der Zusammenarbeit auf der Basis unstrukturierter Information gemanagt werden müssen. Geschäftsleute sind damit immer stärker auf das Wissen eines Unternehmens angewiesen. ECM ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für das Wissensmanagement. Und ein intelligentes Wissensmanagement verschafft nicht nur einem Unternehmen einen Vorsprung auf den nationalen und internationalen Märkten, sondern fördert auch den einzelnen Mitarbeiter. Zusammengefaßt: ECM ist sowohl umfassendes Management-Konzept als auch die dahinter stehende Technik, so dass Daten zu »Content« werden können und dieser »Content« schließlich zu Wettbewerbsvorteilen führt.

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