Kommentar
13:36 Uhr, 14.11.2012

Interview mit Max Otte

Unser Rohstoffspezialist Jochen Stanzl traf Prof. Max Otte auf der Edelmetallmesse in München

Wie weit ist der Punkt einer neuen Weltwirtschaftskrise oder einer neuen Krise entfernt?

Hier auf der Edelmetallmesse ist einiges an Krisenangst zu spüren und diese Angst ist auch wirklich berechtigt. Als ich das Buch „Der Crash kommt“ schrieb, hatte ich 16 Jahre darauf gewartet, bis mir der Zeitpunkt dafür reif schien und das Timing war ja auch nicht schlecht. Aber nach dem Herbst 2008 habe ich relativ schnell ‚Entwarnung‘ gesagt und dazu geraten, Aktien zu kaufen. Im Moment wird mit aller Macht die Schuldenspirale weitergedreht. Die Situation hat sich jetzt nach fünf Jahren Finanzkrise zugespitzt. Es wird bedenklicher. Aber ich glaube, dass die wohlhabenden Staaten noch genug Kreditwürdigkeit haben, um das Spielchen zwei oder drei Jahre weiter zu treiben. Also ich rechne nicht mit einem Totalkollaps in den nächsten zwei Jahren.

Im nächsten Jahr ist die Bundestagswahl in Deutschland, in den USA fand gerade die Präsidentschaftswahl statt. Jede Regierung die antritt, will im Interesse der künftigen Generationen keine neuen Schulden machen und sparen. Warum wird dieses Versprechen nie eingehalten?

Wir sparen auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Griechenland wird ja kaputtsaniert auf dem Rücken der griechischen Mittelschicht. Aber wir stellen die großen Vermögen, die Investmentbanken, weitestgehend frei von der Haftung. Da ist quasi eine leistungsfreie Clique, eine parasitäre Kaste entstanden, die die Schalthebel der Macht auch relativ stark dominiert. Das hat gar nichts mit Verschwörungstheorien zu tun. So etwas gab es in der Geschichte immer wieder, dass sich bestimmte Kasten, bestimmte Gruppen, in die Gesellschaft hineingedrängt haben und Teile usurpiert haben. Die großen Vermögen profitieren ja von der Volatilität, von der weiteren Kreditausdehnung. Es ist die Mittelschicht, die wirklich da zerrieben wird. Den Armen macht es auch nichts.

Die ganzen geldpolitischen Interventionen, die Quantitative-Easing-Programme der Federal Reserve, die Outright-Geschäfte der EZB, wozu führen die? Da hat doch der normale Mann auf der Straße nicht viel davon, oder?

Richtig. Man sagt, dass man niedrige Zinsen braucht, um das Wachstum aufrechtzuerhalten. Das mag in einem kleinen Bereich auch stimmen, aber diese niedrigen Zinsen nutzen vor allem den großen Finanzmarktakteuren, die sich zu einem halben Prozent oder einem Prozent unbegrenzt verschulden, das Geld auch liegen lassen, um damit irgendwann zu spekulieren, während diejenigen, die Geld gespart haben, die Mittelschicht, natürlich bestraft wird durch die Niedrigzinsen. Die Sparkassen werden bestraft, die Volksbanken, die Versicherer, die Sparer. Also es ist auch ein ganz klarer Verteilungskampf der da stattfindet, nur das sagt kaum jemand.

EZB-Präsident Mario Draghi hat angekündigt, alles zu tun, um den Euro zu retten. Durch die EZB-Interventionen stellt sich eine gewisse Selbstzufriedenheit bei den Politikern in den südeuropäischen Ländern ein. Ist es überhaupt denkbar, dass alle 17 Eurozone-Staaten irgendwann alle an einem Strang ziehen und zwar in die gleiche Richtung?

Nein. Die Europäische Union hat, und ich bin glühender Europäer, ich muss das immer wieder sagen, nur vereint eine Chance. Aber nicht auf diesem Weg, es darf kein Europa der Konzerne, vor allem der Finanzkonzerne geben. So wie es jetzt läuft, mit dem Europa der Lobbyisten, mit dem Europa der Hinterzimmer, auch mit dem Europa eines extrem schwachen Deutschland, kann es nicht weitergehen. Wenn Deutschland immer passiv ist, dann setzt sich natürlich Club Med durch, dann setzen sich eher die Vorstellungen der südeuropäischen Länder durch. Frau Merkel hat jetzt gelernt, das Spiel zu spielen, allerdings spät. Entscheidende Weichen sind falsch gestellt worden. Merkel spielt das Spiel jetzt gar nicht so schlecht, aber der Handlungsspielraum ist jetzt schon fast weg.

Der Troika-Bericht zu Griechenland hätte schon längst veröffentlicht werden müssen. Warum ist er noch nicht da, warum wird der Bericht verzögert?

Egal wie der Troika-Bericht ausfällt, es wird weiteres Geld nach Griechenland fließen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Stellen Sie sich vor, Griechenland geht Pleite, die müssen reorganisieren und keiner im Resteuropa merkt es. Das wäre doch ein riesiger Gesichtsverlust für die gesamte europäische Politik-Elite. Natürlich wird weiter Geld fließen. Jetzt überlegt man noch, wie man den Bericht noch halbwegs so drehen kann, dass da doch noch Hoffnungsschimmer sind. Genauso wie die ersten Gutachten für Griechenland Gefälligkeitsgutachten waren vor drei Jahren, als man eben die Gutachten so schrieb, dass nach zwei Jahren wieder Wachstum in dem Land prognostiziert wurde. Ein völliger Wahnsinn. Und diese Prognose haben offizielle Institutionen aufgestellt.“

Ist die Ruhe, die wir derzeit an den Märkten erleben, keine dauerhafte Ruhe?

Die Ruhe an den Märkten ist nicht dauerhaft. Wir haben eine hochvolatile Situation, die in jede Richtung kippen kann, aber wir können es eben nicht voraussagen. Also ich warne davor, alles auf eine Karte zu setzen. Edelmetalle sind eine wichtige Basis. Das sage ich auch schon seit Jahren, aber genauso wichtig sind Aktien, billige Aktien, es kommt eben auf den Einkauf an. Die Immobilie halte ich nicht für ein Allheilmittel, die wird unter Umständen auch recht schnell besteuert, da steigen die Grundsteuern und so weiter.

Es gibt ganz viele Umfragen, die zeigen, dass die deutschen Anleger sehr risikoscheu sind, also sichere Anlagen bevorzugen. Bei diesen Anlagen besteht aber derzeit das Problem, dass die Nominalzinsen sehr niedrig sind und unter der Inflationsrate liegen. Die Realzinsen sind also negativ. Wie lange machen die Menschen das noch mit?

Es gibt keine sicheren Anlagen. Die Deutschen glauben das zwar teilweise noch, aber ich versuche das immer wieder zu sagen. Beim Festgeld, bei Anlagen mit negativen Realzinsen, haben Sie die Sicherheit, dass Sie Geld verlieren. Das ist ja die finanzielle Repression, also die schleichende Enteignung der Bürger, der Sparer, der Kapitalsammelstellen, die ja gewollt ist oder zumindest in Kauf genommen wird von der Politik. Die Menschen merken es – manchen fehlt noch der Mut, sich zu diversifizieren. Aber ich glaube schon, dass mehr und mehr Menschen in Deutschland merken, was passiert und anfangen, sich breiter aufzustellen.

Was würden sie heute einem 25-Jährigen raten, der sich die ersten Gedanken über seine Altersvorsorge und seine Geldanlage macht? Wie kann man heute noch sinnvoll investieren, wenn der nächste Crash hinter der nächsten Ecke lauert?

Kaufe italienische Aktien! (lacht) Das ist halb scherzhaft gemeint. Aber italienische Aktien sind natürlich saubillig. Aktien kauft man dann, wenn sie billig sind, wenn sie im Ausverkauf sind. Italien hat im Norden eine funktionierende Wirtschaft. Trotzdem würde ich einem Einsteiger nie raten, italienische Aktien zu kaufen. Aber ich würde ihm raten, einen EuroStoxx-Fonds zu kaufen. Aktien sind langfristig wachsendes Realvermögen. Gold ist Geldersatz, ist Sicherheit. Aber wenn jemand viel Zeit hat, soll er sich lieber einen Aktiensparplan einrichten lassen, auf europäische Standardtitel.

Jemand der noch kein Gold hat bei 1.300 Euro pro Unze, soll der jetzt noch große physische Bestände aufbauen, ist das eine gute Idee?

Der Goldpreis ist keinesfalls überteuert. Er hat sich versechsfacht, aber wenn die Förderkosten schon bei 1.100 Euro pro Unze liegen, ist das sozusagen die natürliche Preisuntergrenze. Davon sind wir nicht allzu weit entfernt. Gold gehört zumindest bei diversifizierten und älteren Anlegern ins Depot."

Der DAX, das Lieblingsanlageprodukt der Deutschen, wird der eher auf 5.000 Punkte fallen oder auf 10.000 Punkte steigen? Was ist wahrscheinlicher?

Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass der DAX auf 10.000 Punkte steigt, als dass er auf 5.000 Punkte sinkt. Der DAX ist zwar nur ungefähr 8.000 bis 8.500 Punkte wert, gemessen an den langfristigen Kennzahlen, aber wenn die Anleger den DAX entdecken, dann gehen sie verstärkt in den DAX und nicht in andere Länder in Europa. Dann kommt es beim DAX auch zu einer leichten Übertreibung."

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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