Kommentar
11:00 Uhr, 27.02.2008

Interview mit Curtis Faith - Turtle Trader

Curtis M. Faith war mit 19 Jahren nicht nur der jüngste, sondern am Ende des Experiments auch der finanziell erfolgreichste »Turtle«. Er verdiente mehr als 30 Millionen Dollar während des Experimentes für Richard Dennis.
Warum er der erfolgreichste aller Schildkröten war, führt Curtis Faith in erster Linie auf die Handelspsychologie zurück. Seiner Theorie nach geht es nicht um das Handelssystem, sondern es kommt auf die Fähigkeit des Traders an, das Handelssystem auszuführen. Wesentlich zu seinem Erfolg beigetragen hat vor allem auch der Denkansatz der Spieltheorie.
Heute ist Curtis Faith einer der führenden Pioniere für mechanische Handelssysteme und Software. Gegenwärtig ist Faith Leiter für Forschung und Entwicklung für Trading Blox, LLC, einem Unternehmen dass sich auf Software für Tradingsystem Analyse und Entwicklung spezialisiert hat.

Muss man als erfolgreicher Börsianer geboren werden? Oder kann man sich seinen Börsenerfolg selbst erarbeiten? An dieser Frage scheiden sich die Geister.

Anbei ein Interview, das der Finanzbuchverlag mit Curtis Faith führte.

Curtis, was ist ein Turtle Trader?

Ein Turtle Trader ist ein Mitglied jener Gruppe, die Richard Dennis in den Jahren 1983 und 1984 unterrichtet hat. Wir wurden ein paar Wochen lang trainiert, danach hat er uns mit Konten ausgestattet und gesagt: „Los, fangt an zu traden.“ Anfangs jedoch noch mit kleinen Positionsgrößen. Nach den ersten Monaten zog er dann ein Resümee und machte sich ein Bild davon, wie sich jeder Einzelne von uns geschlagen hat.

Und warum hat er gerade Dich genommen?

Als ich mit dem Turtle-Programm begonnen habe, hatte ich bereits 2 Jahre Erfahrung in der Programmierung von Tradingsystemen. Ich denke, dass dies den Ausschlag gab, weil die mathematische Eignung ein wichtiges Kriterium war, und das war immer eine meiner Stärken.

Gibt es eine todsichere Methode, um an den Märkten Geld zu verdienen?

Todsicher? (Überlegt kurz) Nein. Konsistent? Ja!

Und wie macht man das?

Man darf nicht versuchen, eine Marktprognose zu erstellen. Wenn man einen Trade eingeht und sich beispielsweise dafür entscheidet, den DAX zu kaufen, dann sagt man als Trader ganz einfach nicht, dass dieser Wert definitiv nach oben gehen wird. Stattdessen sagt man sich: „Wenn ich diesen Trade eingehe, dann werde ich mit dieser Methode langfristig Geld verdienen.“ Dies wiederum führt dazu, dass man absolut damit leben kann, sollte sich ein Trade als Verlierer erweisen, weil man weiß, dass dies ein Teil des Spiels ist, also nichts Unerwartetes. Es verhält sich genauso wie beim Dealer im Casino, der auch weiß, dass es von Zeit zu Zeit ganz einfach zu großen Auszahlungen an den Tischen kommt.

Was ist die größte Hürde für die meisten Trader?

Ich würde sagen, der Glaube an ihre eigene Entscheidungsfindung. Ich glaube, dass die Menschen zu oft ihre Entscheidungen hinterfragen. Sie folgen ihrer Strategie vielleicht in
95 % aller Fälle. Aber es sind fast immer genau diese 5 %, in denen sie das nicht tun, in denen diese Trader gewaltige Gewinne eingestrichen hätten. Erfolgreiche Trader schaffen es, jenes Phänomen zu vermeiden, dass als „Outcome bias“ bekannt ist. Das ist jenes Problem, das auftritt, wenn man einen Blick auf die eigenen Entscheidungen wirft. Man sagt sich dann: Wenn ich mit diesem Trade Erfolg gehabt hätte, dann wäre ich zufrieden gewesen. Wenn ich jedoch Geld mit diesem Trade verloren hätte, dann habe ich irgendetwas falsch gemacht. Speziell bei der Trendfolge, also jener Methode, der die Turtles gefolgt sind, war dies eine sehr schmerzvolle Erfahrung. Denn manchmal dauerte es länger als ein Jahr, bis genau jener Trade eintraf, der zu dem Gewinn geführt hat, auf den ich gewartet hatte. In meinem persönlichen Fall würde ich sagen, dass ich weniger als eine Stunde pro Woche getradet habe.

Das hört sich nach einem tollen Beruf an.

Es war ein ganz netter Job (Curtis lacht). Wir haben damals viel Zeit mit Ping-Pong-Spielen verbracht. Uns war am Anfang ziemlich langweilig. Ich habe sieben oder acht Steven-King- Romane während des ersten Tradingjahres gelesen.

Sie haben eine ganze Menge Geld verdient, dann jedoch mit dem Traden aufgehört. Sie haben alles verloren.

Ja, das passiert mir immer wieder. Manche sehen mich an und sagen: „Wie konntest du nur so viel Geld verlieren?“ Doch woran diese Leute nicht denken, ist, dass ich dieses Geld niemals verdient hätte, wenn ich nicht die richtige Einstellung gehabt hätte.

Einstiegs- oder Ausstiegsstrategien, welche sind langfristig wichtiger?

Sie können zwar Geld verdienen, wenn Sie sich nur auf eine der beiden konzentrieren und die andere ignorieren. Aber Sie können definitiv mehr Geld verdienen, wenn Sie auf beide Strategien achten. Wenn Sie das Geld anderer Leute verwalten, dann sind Exit-Regeln sehr wichtig. Denn diese Regeln definieren das Risiko, dem sich der Investor aussetzt, noch viel intensiver, als dies Einstiegsregeln tun.

Ist Trading für Trendtrader in der heutigen Zeit einfacher oder schwieriger geworden?

Es wird dann schwieriger, als dies früher der Fall war, wenn man weiß, wie es wirklich funktioniert. Aber es ist viel einfacher geworden zu lernen, wie es wirklich funktioniert. Die Märkte zeigen heute wesentlich mehr Störgeräusche. Früher hat man zu Beginn eines Trends auf die Indikatoren geschaut und seine Positionen nach der Signalgenerierung eröffnet. Heute sind die Märkte viel volatiler.

Warum ist es heute einfacher, Trading zu lernen?

Ganz einfach, weil die Werkzeuge viel besser sind. Heutzutage kann man über das Internet alle Daten runterladen, die wichtig sind. Und man kann Märkte analysieren und Dinge tun, die uns früher Monate oder Jahre gekostet hätten, und das innerhalb eines halben Tags.

Wie findest du die Turtle-Soup-Strategie? Also die Strategie, bei der man auf das Fehlsignal der klassischen Turtle-Strategie hofft? Kann ein Trader mit der richtigen psychologischen Einstellung auch mit dieser Herangehensweise Geld verdienen?

Ja, sofern es sich um Wendepunkte im Markt handelt. Vieles bei der Trendfolge basiert darauf, die wichtigen psychologischen Marken im Markt aufzuspüren. Wenn Gold beispielsweise lange an der $500-Marke kratzt und dann nach oben ausbricht, dann setzt sicherlich Kaufdruck ein. Und früher oder später schlägt jede Strategie bei so einem wichtigen Punkt Alarm.

Wäre es in der aktuellen Marktlage also eine gute Strategie, die Retracements zu kaufen? Der Markt befindet sich doch in einem übergeordneten Aufwärtstrend, ist das nicht ein guter Zeitpunkt, um einzusteigen?

Trendfolger kaufen nie die Pullbacks. Es wäre derzeit aber sicherlich eine legitime Strategie, den Ausbruch aus solchen Pullbacks nach oben hin zu handeln. Wobei es nach den Konzepten der klassischen Trendfolge erst wieder zu einem Signal kommen würde, wenn ein neues High bei den Aktienindizes auftritt. Dann baut ein Trendfolger wieder Positionen auf.

Wahrscheinlich tritt dann ein Alltime-High nach dem anderen auf, wenn sich der Aufwärtstrend tatsächlich fortsetzen sollte. Vergrößerst du nach jedem Signal deine Position? Pyramidisierst du? Und wenn ja, wie?

Ja, pyramidisieren ist wichtig. Bei den Turtles bestand eine Pyramide immer aus Units – und jede Pyramide aus maximal vier Units –, größer durfte die Position dann nicht werden. Kam es dann zu einem Signal, um die Position glatt zu stellen, dann taten wir das immer mit allen vier Units gleichzeitig. Das heißt, man muss eine Pyramide langsam aufbauen, und man reißt sie eines Tages in einem Stück nieder.

Würdest du Leuten mit kleinen Accounts auch zum Pyramidisieren raten?

Nein, absolut nicht. Bei einem kleinen Account wird zu viel Kapital in eine einzelne Position gebunden, wenn man versucht, Pyramiden zu bauen. Abgesehen von den psychologischen Fallen, die mit zu großen Positionen einhergehen, beraubt man sich auch seiner Diversifikationsmöglichkeiten. Man kann sein Risiko nicht mehr breiter streuen und erhöht dadurch das Gesamtrisiko. Und außerdem verpasst man vielleicht diese eine wichtige Trading-Gelegenheit, die für große trendfolgende Gewinne gesorgt hätte. Und all das nur, weil zu viel Kapital in einer schlechten Pyramide gebunden war.

Aber ist ein Marktumfeld wie das jetzige nicht extrem unvorteilhaft? Natürlich, die Richtung ist klar: nach oben. Alles steigt. Doch genau das ist doch das Problem: Die gestiegenen Korrelationen müssen doch den Diversifikationseffekt auch für Trendfolger verschwindend gering werden lassen? Ist ein Umfeld, in dem alles steigt, jetzt gut oder schlecht für Trendfolger?

Es ist beides zugleich. Als langfristig orientierter Trendfolger handelt man natürlich auch all seine Signale. Und die letzten Monate waren für trendfolgeorientierte Investoren einfach fabelhaft. Doch langfristige Trendfolge wirft nicht immer Gewinne ab. Es sind die Phasen, in denen sich die Marktbedingungen ändern, in denen man dann auch kein Geld verdient. Man muss als langfristig agierender Trendfolger auch 2 oder 3 Jahre mit Verlusten wegstecken können. In dieser Zeit darf man niemals den Glauben an sein System verlieren. Denn gerade dann, wenn man glaubt, es geht wirklich nicht mehr, kommt das Signal für den nächsten gut laufenden Trade.

Und ist die gestiegene Korrelation jetzt gut oder schlecht?

Eigentlich ist sie gut, wenn die Korrelationen eindeutig sind. In Marktphasen, in denen sich die Assetts unkorrelierend zueinander verhalten haben, waren – historisch gesprochen – die Returns meist moderat. Das war 25 Jahre lang so und das wird wahrscheinlich in Zukunft auch so sein. Also sind hohe Korrelationen eigentlich gut.

Zwei bis drei Jahre Verlustphase klingt auch nach einer langen Zeit. Es bedarf wahrscheinlich ungeheurer mentaler Stärke, nach 24 Monaten Trockenphase nicht die Flinte ins Korn zu werfen und weiterzumachen. Doch wann weiß man, dass man sein System ändern muss bzw. es nicht mehr diszipliniert umsetzt?

Das ist die Gretchenfrage. Im Prinzip muss man darauf achten, dass man bei seinen Systemen die Regeln immer weich formuliert. Man ändert ständig sein System und passt es den aktuellen Marktbedingungen an. Denn während sich der Markt entwickelt, bekommen sie auch immer wieder neue Daten, die in das System mit einfließen müssen. Man ändert sich ständig. Hauptsache, man versteht die Prinzipien seines Handelsansatzes, dann kann man auch mit den weichen Grenzen bei der Systementwicklung spielen.

Man sagt immer, der wichtigste Teil eines Systems ist der Money-Management-Teil. In den Turtle-Regeln sind die Money-Management-Regeln ja klar definiert. Bleiben diese Regeln unangefochten? Und damit eigentlich auch der Großteil des ganzen Systems?

Es ist sehr einfach, die Grundregeln des Money-Managements zu beherrschen. Verliere nicht mehr als so und so viel Prozent deines Gesamtportfolios pro Trade und achte auf die Volatilität des Marktes, wenn du deine Positionsgröße bestimmst. Doch darüber spreche ich auch in meinem neuen Buch zur Genüge. Interessant wird es, wenn man aktiv die Messwege der Volatilität ändert, die auf das Portfolio ausgerichtete Volatilitätsmaß bestimmen.

Wie verkörpert sich das derzeit bei deinem Research?

Ich handle jetzt nur noch kurz- und mittelfristig trendfolgend. Langfristige Trendfolge, so wie wir sie bei den Turtles betrieben haben, mache ich eigentlich nicht mehr. Ich bin also eher kurzfristig agierend.

Auf welcher Chart-Zeitebene handelst du am liebsten bzw. auf welcher Zeitebene betreibst du das meiste Research?

Auf 5-Minuten- und auf 30-Minuten Basis. Das Problem bei der langfristigen Trendfolge ist eben die Unsicherheit. Bei kurzfristigeren Geschichten spielt sich das alles in einem viel engeren Zeitrahmen ab. Mann kann beispielsweise 2 Wochen lang handeln und dann
3 Wochen lang nicht – und es ist auch in Ordnung. Swing-Trading ist für mich derzeit die beste Alternative, weil ich viele Projekte habe und mich zeitweise gar nicht um die Märkte kümmern kann.

Sehr interessant, dass du dich für eine kurzfristige Zeitebene entscheidest, wenn du dich nicht voll und ganz dem Trading widmen kannst. Eine ungewöhnliche und neue Perspektive. Wie lange ist die durchschnittliche Haltedauer der Gewinntrades? Und wie lange die der Verlusttrades?

Das habe ich eigentlich noch nie genau gemessen. Aber ich würde sagen, dass ich Gewinner rund 3 bis 5 Tage halte. Verlierer fliegen nach 15 Minuten bis einer Stunde aus dem Depot.

Du kannst innerhalb einer Stunde erkennen, ob du einen Trade für ein paar Tage halten willst oder nicht?

Ja, und ohne Probleme. (Lacht.)

Du betreibst auch einen Trading-Blog. Bist du bei Aktienbloggern long?

Ich gehe bei Aktienbloggern long. Die Finanzbranche ist eine jener rar gesähten Branchen, in denen man online auf viele intelligente Menschen trifft.

Du lebst in Buenos Aires. Wie siehst du Argentiniens wirtschaftliche Erholung?

Long.

Über welchen Zeitraum?

Fünf bis 10 Jahre.

Globale Aktienindizes?

Long.

Gold?

Short.

Ich gehe short beim Global Warming.

Warum?

Ich denke nicht, dass es irgendetwas gibt, dass wir gegen Global Warming tun können. Ich denke, dass wir unser Hauptaugenmerk aktuell auf die falschen Dinge richten.

Anbei der Link mit Detailinformationen und Bestellmöglichkeit von Faiths Buch "Die Strategien der Turtle Trader" - [Link "Bitte hier klicken" auf www.finanzbuchverlag.de/... nicht mehr verfügbar]

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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