Kommentar
09:00 Uhr, 07.07.2007

Interview: In der Ukraine wird auch oft nur eine politische Drohkulisse aufgebaut

Einen Aktienmarkt wie den ukrainischen von Außen aus der Vogelperspektive zu beobachten, kann zwar auch seine Vorteile haben. Aber die ganz tiefen Einblicke erhält man natürlich nur im Gespräch mit den Experten vor Ort. Während einer jüngst durchgeführten Reise nach Kiew hatten wir Kontakt zu einigen professionellen Marktteilnehmern.

Im nachfolgenden Interview können Sie die Antworten nachlesen, die Peter Keller und Vitaly Shuskovsky auf unsere Fragen gaben. Der Schweizer Keller ist Head of Research bei Millennnium Capital, der Nummer vier unter den Brokern in der Ukraine gemessen an den Umsätzen am PFTS und Shuskovsky ist Head of Research bei UFC Capital, einem auf Nebenwerte spezialisierten Broker.

Herr Shushkovsky, zuerst die wichtigste Frage: Wie wird es vermutlich politisch gesehen weiter gehen?

Aus meiner Sicht war die Regierungskoalition von vorneherein nicht auf eine Gewaltanwendung aus. Das erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die zwischen den führenden politischen Köpfen getroffenen Vereinbarungen auch eingehalten werden. Aber Vereinbarungen werden hier so oft gebrochen, dass ich lieber abwarte, bis alles in trockenen Tüchern ist, bevor ich meine endgültigen Schlüsse ziehe. Allgemein gehe ich aber davon aus, dass alle Beteiligten im Grunde genommen kompromissbereit sind. Nur der Weg dorthin wird holprig bleiben. Auch der Osten der Ukraine hat aus meiner Sicht kein Interesse an einer Abspaltung. Vielmehr wird man alles dafür tun, das Land zusammenzuhalten. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man sich doch nur überlegen, dass die Oligarchen, die jetzt mächtig und einflussreich sind, in Russland unbedeutend wären. Ansonsten wäre es allgemein sicherlich die Ausarbeitung einer neuen Verfassung wünschenswert, denn die jetzige ist nicht optimal. Das Ganze sollte dann mehr in Richtung parlamentarische Verfassung gehen und der Präsident vielleicht vom Parlament gewählt werden.

Herr Keller, wie beurteilen Sie die politische Lage?

Insgesamt hat sich die ganze Situation schlussendlich doch noch entspannt, was auch generell erwartet wurde. In der Ukraine hat es eine andere politische Kultur als in Russland. Es dauerte zwar alles etwas länger als erwartet, das Resultat ist aber mit Wahlen am 30. September zufrieden stellend. Ansonsten war wieder einmal zu beobachten, dass die Politik die Wirtschaft nicht dramatisch beeinflusst. Eine der wichtigen Fragen bleibt aber, wer die Wahlen gewinnt. Tymoschenko oder Janukowitsch? Laut Umfragen liegt Janukowitsch zusammen mit den Kommunisten derzeit knapp vorne. Janukowitsch wäre für die Wirtschaft besser, Tymoschenko hat aus den Fehlern ihrer ersten Amtszeit aber hoffentlich gelernt. Die Börsen können mit beiden Wahlausgängen leben. Es wird hier in der Ukraine auch oft nur eine politische Drohkulisse aufgebaut. Hinweise möchte ich auch auf die hohe Korrelation der ukrainischen mit der chinesischen Börse. Vielleicht hat das mit der großen Bedeutung des Stahls für den hiesigen Markt zu tun.

Und was bedeutet das für die Börse, Herr Keller?

Die Krise, welche den Markt von einem noch stärkeren Boom als ohnehin schon abgehalten hat, ist gelöst. Aber bedeuten die nachlassenden politischen Spannungen nun für Juni einen neuen Boom? Ein genauerer Blick auf das Marktgeschehen zeigt, dass die Bullen etwas ruhiger werden dürften. Wir sehen den PFTS-Index kurzfristig eher seitwärts tendieren. Die Standardwerte notieren auf historischen Höchstkursen und müssen verschnaufen. Trotz derzeit hoher äußerer Temperaturen dürfte sich das Klima am Aktienmarkt erst einmal etwas abkühlen. Später könnte der Markt ´dann wieder zulegen.

Wie beurteilen Sie die weiteren Aussichten am Aktienmarkt, Herr Shushkovsky?

Normalerweise sollten sich die Kurse im Gleichschritt mit den Unternehmensgewinnen entwickeln. Das ist nicht der Fall, denn die Kurse sind stärker gestiegen. Folglich müsste es eigentlich zu einer Korrektur kommen, zumal die Bewertungen relativ hoch sind. Selbst wenn man berücksichtigt, dass es noch immer versteckte Gewinne gibt, sind die Aktien längst nicht mehr so günstig wie noch im Jahr 2004. Doch es gibt sehr viel Liquidität im Markt. Das gilt insbesondere für Russland, von wo zuletzt immer mehr Anleger an der ukrainischen Börse gekommen sind. Was mich etwas irritiert hat, ist die fast völlig ausgebliebene Reaktion auf die eingetrübte politische Landschaft. Das scheint mir doch eine etwas übertriebene Gelassenheit zu sein. Bei der diesjährigen Performance muss man aber auch beachten, dass der PFTS-Index als Messlatte nach wie vor wenig geeignet ist. Hier wird das Bild durch die Kursexplosion bei den Versorgern verzerrt. Der Gesamtmarkt ist deutlich weniger gestiegen. Ansonsten ist unsere Börse derzeit stark vom Liquiditätsfluss abhängig und die Kurse basieren zum Teil auf sehr langfristige positive Erwartungen.

Herr Shushkovsky, wie lauten Ihre Favoriten auf Sektoren- und Einzelwerteebene?

Da ich den Markt derzeit für etwas überhitzt erachte, ist das eine schwierige Frage. Erwähnenswert, da oft noch günstig bewertet, finde ich generell etliche Nebenwerte. Nennen würde ich ansonsten vielleicht die gelisteten Zementunternehmen, aber die sind sehr illiquide und haben nur einen geringen Free Float. Hochinteressant, aber auch hochriskant ist der Kokshersteller Yasynivsky By-Product Coke Plant. Dieses Unternehmen ist eindeutig unterbewertet, steigert aber die Produktion und arbeitet mit ansehnlichen Margen. Die niedrige Bewertung hat mit der Sorge vor unlauterem Asset-Stripping und der Anwendung interner Verrechnungspreise zu tun. Aus unserer Sicht sind die damit verbundenen Ängste aber etwas übertrieben. Interessant finde ich auch Enakievo Steel. Das Unternehmen hat mehrer Jahre Verluste erwirtschaften, arbeitet jetzt aber wieder profitabel. Auch kam es in den Jahren zuvor zum Transfer von Assets auf eine Tochter. Der Bewertungsabschlag von 40 bis 50 Prozent gegenüber den Branchenkonkurrenten auf EV/Ebitda-Basis ist inzwischen aber zu hoch, nachdem sich zuletzt auch die Bilanzierungspraktiken verbessert haben. Die Bankaktien sind mir überwiegend zu teuer.

Herr Keller, welche Branchen und Einzelwerte gefallen Ihnen?

Unter den Branchen gefallen mir Stahl und Kohle, alle typischen metallurgischen Werte. Denn diese sind in der Regel nicht überbewertet. Als Einzelempfehlung würde ich Azovstal nennen. Der Titel wurde im Vorjahr noch verkauft wegen einer verwässernden Kapitalmaßnahme. Im Juni steht jetzt aber die Aktionärsversammlung an, bei der die verwässernde Kapitalmaßnahme rückgängig gemacht werden soll. Der Kurs hat deswegen schon angezogen. Außerdem räumt der Großinvestor Metallinvest mit den Transferpreisen auf. Zu den Stahlwerten sollte man außerdem wissen, dass für sie der Gaspreis kein großes Thema mehr ist, da eine neue Technologie entwickelt wurde, die mit Kohle funktioniert.

Wie erwähnt bin ich auch für Kohleproduzenten positiv gestimmt. Die beste Kohle stellt hier Yasynivsky By-Product Coke Plant her. Zudem hat das Unternehmen ein langfristiges Geschäft mit Mariupol Illich Iron & Steel Works abgeschlossen, der alleine schon die Abnahme von 60 Prozent der Produktion sichert. Vielleicht ist dieser Deal auch der Vorbote für eine künftig noch engere Bande zwischen diesen beiden Unternehmen. Der Rest der Produktion kann exportiert werden, wobei die kürzlich gesenkte Exportsteuer für Kohle positiv zu sehen ist.

Ebenfalls noch positiv gestimmt bin ich für die Röhrenproduzenten. Diese sind zwar schon teuer, haben aber noch immer Kurspotenzial. Schließlich kauft alleine Gazprom für 1,7 Mrd. Dollar neue Röhren. Und da ukrainische Anbieter wettbewerbsfähiger sind als die russischen Wettbewerber, dürften sie einen Teil des Kuchens abbekommen. Interpipe und System Capital Management wollen zudem ein IPO machen und werden deswegen auf Effizienz getrimmt. Das könnte positiv auf Interpipe Nyzhnyodniprovsky Pipe-Rolling Plant (Interpipe) und Khartsyzk Tube Plant (SCM) ausstrahlen.

Und welchen Sektoren gegenüber sind sie eher skeptisch eingestellt, Herr Keller?

Den Chemiewerten gegenüber bin ich eher skeptisch eingestellt. Die Bewertungen sind zwar günstig und es gibt auch Übernahmephantasie. Viel hängt hier aber von der Ammoniak-Pipeline ab und diese kann von den Russen abgeschaltet werden. Außerdem produzieren die Chemieunternehmen nur tiefste Qualität, Konkurrenten aus anderen Länder haben da mehr Vorteile.

Vorbehalte habe ich nach den starken Kurssteigerungen auch bei den Versorgern. Die Russen kaufen zwar die Versorger-Aktien, weil sie an eine ähnliche Entwicklung wie bei ihren Versorger-Aktien glauben. Aber als Bewertungskriterium auf die Kapazitäten zu achten, ist fragwürdig, weil nicht klar ist, ob die jemals genutzt werden. Die Oblenergos sind für mich sogar eine Gefahr für den Gesamtmarkt, denn sie sind hoch bewertet und im PFTS Index ist die Branche hoch gewichtet. Die Anlagen bei den Oblenergos stammen zudem aus den 60er und 70er Jahren, das bedeutet, alle Unternehmen müssen viel investieren.

Herzlichst Ihr Jürgen Büttner

Chefredakteur Ostbörsen-Report, www.ostboersen-report.de

Der Ostbörsen-Report ist eine Online-Publikation der BörseGo GmbH und kann unter obiger Web-Adresse durch Eintragung Ihrer E-Mail-Adresse abonniert werden.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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