Interview: "China soll die USA rausboxen, nicht Europa!"
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Von Jochen Stanzl
Ein Kollege schrieb vor kurzem aus seinem Thailand-Urlaub auf Facebook, er sei schon dreimal auf einen Haircut angesprochen worden. Während nach drei Wochen Katastrophen-Urlaub in Thailand seine mittlerweile wohl etwas eigenwillige Frisur Anlass zu dem Angebot zum Haare scheren gab, kennen wir Europäer den Begriff des Haircut unter einem gänzlich anderen Kontext. Gerettet wird hier, was zu retten ist: Ein Bailout jagt den nächsten, die Zinsen jagen durch die Decke, aber wen die EZB mit der jetzt angedachten Bazooka-Panzerfaust beschießen möchte, ist nicht ganz klar. Soll damit nach Italien geschossen worden? Während diese Metapher mit der Anlehnung auf das Kriegsgerät nicht gänzlich verständlich ist, leuchtet eine Theorie, die unser Interviewpartner von JP Morgan zu bieten hat, ein. Auch da geht es um eine Rettung – und zwar könnte China seine Dollarberge, die bei der People’s Bank of China auf Halde liegen, sinnvoll nutzen, um den Gasmarkt der USA zu erschließen. Der, der das sagt, ist Colin Fenton, der globale Leiter der Rohstoffstrategie bei Amerikas zweitgrößter Bank, JP Morgan. Die Einladung zu diesem Interview erhielten wir von der Schweizer Privatbank Vontobel, die seit einiger Zeit eine ganze Palette von Produkten anbietet, mit denen sich die kurvenneutralen JPMCCI-Rohstoffindizes handeln lassen. Ein Portrait des JPMCCI haben wir Ihnen in der Ausgabe 5/11 gebracht.
Wie sieht die Lage in den USA aus?
Ich möchte Ihnen gerne ein Bild geben: Wir sehen die US-Wirtschaft als einen Truck, der einen einsamen Highway hinabfährt. Der Motor macht komische Geräusche und Rauch entwickelt sich. Doch der Truck schleppt sich weiter und es gibt Hoffnung, dass in ein paar Meilen eine Tankstelle mit Werkstatt auftaucht.
Schaut man sich die entsprechenden Analysen und Zukunftsszenarien von J.P.Morgan an, ist davon auszugehen, dass – um in Ihrem Bild zu bleiben – diese Tankstelle einen chinesischen Betreiber hat…
Genau. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat die US-Verschuldung 100% des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Es gibt 25 Millionen Arbeitslose in den USA. Zugleich steigen die in der Zukunft zu leistenden Renten und weiteren Zahlungsverpflichtungen dramatisch an. Wir wissen: Jeder zusätzliche Dollar, der für diese Zahlungsversprechen aufgewendet muss, trägt wesentlich dazu bei, dass der Goldpreis inflationär steigt. Um aus dieser verfahrenen Lage herauszufinden, kommt China ins Spiel, hier könnte die Regierung in Peking helfen.
Inwiefern?
Die USA verfügen über Erdgasvorkommen im Überfluss. Die Lagerstätten sind so riesig, dass die Preise deutlich unter den Preisen liegen, die in Asien für fossile Energieressourcen aufgerufen werden. China wiederum hortet Dollar im Überfluss; das Volumen beläuft sich auf mehr als 1,3 Billionen US-Dollar. Zugleich kann es seinen steigenden Energiebedarf, darunter Erdgas, derzeit nicht decken und verfügt auch noch nicht über die Infrastruktur, um Erdgas in der Breite einzusetzen. Wenn sich die Politiker Chinas mit denen der USA und Europas an einen Tisch setzen, könnte ein gewaltiger Deal gemacht werden, der allen Seiten hilft.
Ist das nicht ferne Zukunftsmusik?
Ich glaube nicht. China braucht zügig Öl und Erdgas, um seine stark expandierende Wirtschaft am Laufen zu halten. Zugleich verlieren Chinas Dollarbestände fortschreitend an Wert: Der Renminbi steigt und ist gegenüber dem Dollar im Laufe des Jahres um fünf Prozent geklettert. Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand.
Chinas Ressourcenbedarf wächst - wird der Ölpreis steigen?
Wir sagen voraus, dass im vierten Quartal 2011 die Ölnachfrage Chinas zum ersten Mal die Marke von 10 Millionen Barrel pro Tag übersteigen wird. Zur gleichen Zeit wird die weltweite Ölnachfrage zum ersten Mal bei mehr als 90 Millionen Barrel pro Tag liegen. Die Preise werden steigen, die Chinesen dürften vor diesem Hintergrund versuchen, ihren Anteil an der vergleichsweise günstigen Energieerzeugung aus Erdgas zu steigern. Derzeit liegt dieser Anteil bei etwa 4 Prozent. Entwickelte Industrieländer hingegen verbrauchen deutlich mehr: Australien etwa erzeugt jede vierte Kilowattstunde aus der Verbrennung von Gas (23 Prozent). Beachten Sie bitte auch: Die Kosten für die Erschließung von Erdöl werden immer höher. Belief sich die Bohrtiefe zur Erschließung von Erdöllagerstätten im Jahr 2003 noch bei maximal 4300 Metern, muss heute stellenweise bereits 7000 Meter in die Tiefe gebohrt werden, um ans Öl zu kommen. Die vergleichsweise leichte Verfügbarkeit von Erdgas wird vor diesem Hintergrund immer mehr zur günstigen Alternative.
Neben Energierohstoffen dürften zukünftig auch die Preise für Nahrungsmittel steigen, weil Chinas Nachfrage ungebrochen ist. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die Preise für Schweinefleisch sind in China seit April dieses Jahres rasant gestiegen. Die Preisaufschläge bei diesem Grundnahrungsmittel in China, dessen Verfügbarkeit die soziale Stabilität sichert, haben die Regierung bewogen, verstärkt Getreide und andere Futtermittel zu importieren, um den Markt für Schweinfleisch durch forcierte Produktion zu entlasten. Das treibt wiederum die US-Getreidepreise, die bei 8 Dollar pro Bushel liegen. Hinzu kommen Hitze und Dürre in wichtigen Getreideanbaugebieten der USA, was wiederum die Fleischpreise weltweit beeinflusst.
Welchen Ausweg aus dem US-Dilemma sehen Sie?
Die Lage ist ziemlich verfahren, aber es gibt Grund zur Hoffnung, dass die Weltwirtschaft insgesamt wieder deutlich Fahrt aufnehmen kann. Wir hoffen, dass die Regierungen in den USA, Europa und Asien an einen Tisch finden, um – wie wir es nennen – einen „Grand Bargain“ auf den Weg zu bringen. Damit könnte eine tiefgreifende OECD-Rezession abgewendet werden. Eine solche Übereinkunft könnte so aussehen: China kauft mit seinen ungeheuren Dollar-Reserven sowohl europäische Staatsanleihen als auch Explorationsrechte für unerschlossene Erdgaslagerstätten in den USA.
Die Fragen stellte Helge Rehbein.
Dieser Artikl erschien am Donnerstag im Rohstoff-Report
Der Rohstoff-Report ist eine Publikation der BörseGo AG
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