Institut: Reale Tariflöhne aktuell auf Niveau von 2016
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Durch die starke Inflation in den vergangenen Jahren sind die realen Tariflöhne in Deutschland im Durchschnitt auf das Niveau von 2016 zurückgefallen. Das ergeben Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten habe Ende 2023 im Mittel 6 Prozentpunkte niedriger gelegen als 2020, was eine Folge der drastischen Reallohnverluste 2021 und insbesondere 2022 sei, schrieb das Institut in seinem neuen Tarifpolitischen Jahresbericht.
Im vergangenen Jahr sei die weiterhin hohe Inflation immerhin weitgehend ausgeglichen worden: Die Tariflöhne in Deutschland seien nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,5 Prozent gestiegen. Die Zuwachsrate sei damit mehr als doppelt so hoch wie 2022, als die Tariflöhne lediglich um 2,7 Prozent gewachsen seien. Bereinigt um die Inflation von 5,9 Prozent ergiebt sich hieraus ein durchschnittlicher Rückgang der tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne von 0,4 Prozent im Jahr 2023.
In dieser Berechnung könne die Wirkung der in vielen Branchen vereinbarten steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien allerdings nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Bei einem Teil der Beschäftigten dürfte die finanzielle Bilanz daher positiver ausfallen.
"Es ist ein wichtiger Schritt, dass die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten 2023 im Mittel weitgehend gesichert werden konnte", sagte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Um jedoch auch die massiven Reallohnverluste der beiden Vorjahre ausgleichen zu können, seien in den kommenden Tarifrunden kräftige Reallohnsteigerungen notwendig. "Das ist auch wichtig, um die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland zu stabilisieren."
Dass die Inflationsrate nach Einschätzung der meisten Fachleute dieses Jahr auf 2 bis 3 Prozent sinken werde, erleichtere zwar die Durchsetzung von realen Lohnzuwächsen. Trotzdem erwartete Schulten 2024 eine "offensive Tarifrunde", die auch von Arbeitskämpfen geprägt sein dürfte. "Der Druck ist groß, nachdem für viele Beschäftigte preisbereinigt die Einkommens-Verbesserungen eines halben Jahrzehnts verloren gegangen sind", sagte der Forscher.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
DJG/ank/apo
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