Nachricht
10:30 Uhr, 27.06.2008

In Vietnam gilt es einen kühlen Kopf zu behalten

Von Markus Winkler, VGZ-Vermögensverwaltung

Meldungen über eine rekordhohe Inflation und ein ausuferndes Handelsbilanzdefizit haben zu Gerüchten über eine bevorstehende Währungsabwertung in Vietnam geführt. Dies hat die durch den Kursrückgang an der Börse ohnehin schon verunsicherten Anleger noch vollends verängstigt, was zu vielen Fragen und teilweise auch Panikverkäufen geführt hat. Nachstehend möchte ich zu den am häufigsten gestellten Fragen kurz Stellung nehmen:

Die Jahresteuerung ist in Vietnam auf mehr als 20 Prozent gestiegen. Sind somit nicht drastische monetäre Massnahmen der Regierung zu erwarten? Hauptursache für den Inflationsschub ist der starke Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und Energieträger. Dies ist kein vietnamesisches, sondern ein internationales Problem, dem nicht mit einer restriktiven Geldpolitik beizukommen ist.

In Vietnam schlägt der Anstieg der Lebensmittelpreise (der Preis für Reis hat sich innert Jahresfrist fast verdoppelt) viel stärker auf die Jahresteuerung durch als in den westlichen Industrieländern, weil Lebensmittel mit 43 Prozent im Warenkorb gewichtet sind. Da kein eigentliches Versorgungsproblem auszumachen ist, das heißt der Preisanstieg vor allem durch Hortungskäufe sowie Finanzprodukte auf Commodities angeheizt wurde, stehen die Chancen gut, dass sich die Preise wieder zurückbilden werden. Spätestens in einem Jahr fällt der starke Preisanstieg aber ohnehin aus der Berechnung für die Jahresteuerung!

Ausländische Direkt- und Portfolioinvestitionen decken Handelsbilanzdefizit

Und wie sieht es mit dem Handelsbilanzdefizit aus, das ebenfalls aus dem Ruder gelaufen ist? Ja, das Handelsbilanzdefizit hat sich stark ausgeweitet. Dies ist aber vor allem auf die Einfuhr von Kapitalgütern zurückzuführen, welche in ein bis zwei Jahren zu einem Anstieg der Exporte führen werden. So baut Intel zum Beispiel eine Fabrik zur Herstellung von Komponenten für Hauptplatinen (“mother boards“). Die dafür notwendigen, teuren Spezialmaschinen müssen eingeführt werden. Nach Fertigstellung und Produktionsaufnahme wird der Export der hergestellten “Chipset“ aber zu substantiellen Exporteinnahmen führen. Mit anderen Worten führen die heutigen Kapitalgüterimporte mit einer gewissen Verzögerung zu noch grösseren Exporteinnahmen.

Die ausländischen Direkt- und Portfolioinvestitionen sowie Überweisungen von “Viet Kieu“ (Auslandvietnamesen senden jedes Jahr sechs bis acht Mrd. Dollar in ihr Heimatland) finanzieren das Handelsbilanzdefizit und die Zentralbank konnte die Währungsreserven vergangenes Jahr fast verdoppeln.

Abwertung wäre kontraproduktiv

Seit einiger Zeit Gerüchte über eine bevorstehende Abwertung des vietnamesischen Dong; was ist davon zu halten? Ich kann einen solchen Schritt nicht 100-prozentig ausschliessen, doch wäre die vietnamesische Regierung damit schlecht beraten, das heißt, eine Abwertung ist unsinnig, ja sogar kontraproduktiv! Die Finanzierung des Handelsbilanzdefizits bereitet bisher keine Probleme, die Währungsreserven der Zentralbank steigen sogar. Deshalb ist keine Abwertung angesagt, zumal eine solche zu einem Inflationsimport führen würde, was sicher nicht erwünscht ist.

Die Situation ist nicht vergleichbar mit Thailand vor Ausbruch der Finanzkrise in 1997, weist doch Vietnam keine nennenswerten kurzfristigen Auslandschulden auf und die gesamte Auslandschuld ist praktisch durch die Währungsreserven gedeckt!

Makro-Story bleibt intakt

Ganz allgemein ist zu sagen, dass die Makro-Story durch den Anstieg der Inflation und des Handelsbilanzdefizits nicht gefährdet ist. Die lizenzierten “foreign direct investments“ haben sich letztes Jahr fast verdoppelt und in den ersten fünf Monaten 2008 hat deren Wachstum unvermindert angehalten.

Was für Massnahmen hat die Regierung zur Beseitigung dieser Ungleichgewichte ergriffen? Weil die Verteuerung der Lebensmittel die finanziell schwachen Bevölkerungskreise besonders hart trifft, hat die Regierung der Inflation den Kampf angesagt. So wurden Preiskontrollen eingeführt und der Export von Reis vorübergehend gestoppt. Um den von der boomenden Wirtschaft ausgehenden Inflationsdruck abzubauen, hat man zum Beispiel die Mindestreserven der Banken erhöht, um das Kreditwachstum zu bremsen.

Zweitens wurde die Nachfrage der öffentlichen Hand durch Kürzung der Budgets um zehn Prozent zurückgebunden. Doch all diese Massnahmen können nichts an den rekordhohen Weltmarktpreisen für Agrarprodukte und Erdöl ändern! (Vietnam exportiert zwar Rohöl, muss aber bis zur Fertigstellung der im Bau befindlichen Raffinerien Benzin, Diesel, Kerosin etc. importieren; die Handelsbilanz wird durch den Anstieg des Ölpreises per Saldo kaum belastet, die Haushalte leiden aber unter den hohen Preisen für Energieträger.)

Und um das Handelsbilanzdefizit nicht unnötig steigen zu lassen, hat man den Import von unproduktiven und nicht lebensnotwenigen Gütern eingeschränkt bzw. durch hohe Einführzölle belegt (für Luxusfahrzeuge zum Beispiel rund 90 Prozent!).

Vietnamesen sind Momentum-Investoren

Warum brechen die Aktienkurse in Vietnam ein? Der anhaltende Kursrückgang ist vor allem markttechnisch bedingt. Die Vietnamesen sind Momentum Investoren. Nachdem die Börse 2007 einige Monate seitwärts tendiert hatte, begannen ungeduldige Spekulanten in Immobilien und insbesondere Gold umzuschichten. Der dadurch ausgelöste Kursrückgang veranlasste immer mehr Spekulanten ein Gleiches zu tun, was den Kursrückgang verstärkte und zu Margin Calls bzw. Zwangsliquidationen von kreditfinanzierten Aktienpositionen führte.

Als Momentum-Investoren denken die Vietnamesen selbst auf dem stark gedrückten, heutigen Kursniveau nicht an Käufe, während die Ausländer gerne möchten, aber oft nicht können, weil bei den einigermassen liquiden Standardwerten die Ausländerquote ausgeschöpft ist.

Durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis hat sich mehr als gedrittelt

Wie lange wird der Kurszerfall noch andauern und wie soll man sich verhalten? Der Markt ist krass überverkauft, doch fehlt der Auslöser für eine Trendwende. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis hat sich mehr als gedrittelt und zahlreiche Aktien weisen heute ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter fünf auf, was bei einem nachhaltigen Gewinnwachstum von 30 Prozent einer Rate beim Kurs-Gewinn-Verhältnis zum Gewinnwachstum von weniger als 0,2 Prozent entspricht.

Dennoch kaufen die Vietnamesen vorderhand nicht. Würde die Regierung aber zum Beispiel die Ausländerquote erhöhen (aufgrund der WTO-Bestimmungen muss sie dies ohnehin, das heißt, es ist nicht eine Frage des ’Ob’, sondern nur des ’Wann’), wäre die Börse sicher zwei Wochen “limit up“. Deshalb gilt es einen kühlen Kopf zu behalten und antizyklisch Positionen auf- und auszubauen, ist doch das Chance / Risiko - Verhältnis besser denn je zuvor. Ich hoffe, dass vorstehende Ausführungen die brennenden Fragen beantwortet haben und Ihnen helfen, kühlen Kopf zu bewahren.

Quelle: Ostbörsen-Report

Wo sind die besten Anlagechancen in Osteuropa?
Melden Sie sich kostenlos für den Ostbörsen-Report an und erfahren Sie alle Details!
Anmeldung: www.ostboersen-report.de

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

Mehr über Jochen Stanzl
Mehr Experten