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10:30 Uhr, 08.01.2024

IMK: Staat muss verlorenen Investitionsspielraum zurückgewinnen

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat für 2024 Maßnahmen gefordert, damit notwendige Investitionen erfolgen können. Die deutsche Wirtschaft dürfte 2024 das zweite Jahr in Folge mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,3 Prozent eine leichte Rezession durchlaufen. Ende 2024 könnte das BIP wieder auf dem Niveau von 2019 landen, unmittelbar bevor die Corona-Pandemie ausbrach. Deutschland "hätte damit wirtschaftlich ein verlorenes halbes Jahrzehnt erlebt" und wichtige Zeit verloren, um Wohlstand und Arbeitsplätze auf dem Weg in eine klimaverträgliche Zukunft zu erhalten, ergibt die neue wirtschaftspolitische Analyse des zur Hans-Böckler-Stiftung zählenden Instituts.

Um das zu verhindern, müsse die Wirtschaftspolitik dringend notwendige Spielräume für Investitionen wiedergewinnen, die sie durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom November und die politischen Reaktionen darauf verloren habe. Als beste Lösung für das Problem empfiehlt das IMK eine "Goldene Regel", um künftig Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen. Als zweitbeste Möglichkeit sehen die Wirtschaftsfachleute ein kreditfinanziertes Sondervermögen für Transformationsinvestitionen nach dem Vorbild des Sondervermögens Bundeswehr an.

Die deutsche Wirtschaftspolitik stehe aktuell vor zwei großen Herausforderungen: Erstens müsse verhindert werden, dass sich die Stagnationstendenzen der deutschen Wirtschaft 2024 fortsetzen und verhärten. So bestehe zum einen das Risiko, dass die privaten Haushalte und Unternehmen wie in den frühen 2000er-Jahren in eine "Stagnationserwartung" verfallen. Diese könne auf längere Zeit die Wirtschaftsdynamik lähmen, etwa weil private Haushalte Käufe und Unternehmen Investitionen aufschieben. Zum anderen könnte der Arbeitsmarkt, der sich über längere Zeit trotz heftiger äußerer Schocks stabil gezeigt habe, "kippen" und die Arbeitslosigkeit deutlich steigen.

Zudem müsse die Wirtschaftspolitik mittelfristig einen Rahmen schaffen und der Staat auch eigene Maßnahmen ergreifen, "sodass die anstehende Dekarbonisierung unter Erhalt des deutschen Wohlstands sozial abgefedert und politisch akzeptiert gelingen kann". Der größte Anteil der für eine sozial-ökologische Transformation und Klimaneutralität bis 2045 notwendigen Investitionen müsse natürlich von Privaten geleistet werden, worunter sowohl Unternehmen fielen als auch private Haushalte. In der aktuellen Situation seien öffentliche Investitionen aber besonders wichtig als "Türöffner" und teilweise Voraussetzung für private Ausgaben.

   Unterstützung privater Haushalte umso wichtiger 

Neben der Modernisierung und Ertüchtigung traditioneller Infrastruktur, etwa bei Schienen, Fernstraßen, Wasserwegen und bei Bildungseinrichtungen, sieht das IMK laut den Angaben staatlichen Regulierungs-, Investitions- und Unterstützungsbedarf in drei Bereichen: für einen forcierten Ausbau von Windenergie, Photovoltaik und Speichertechnologien für erneuerbare Energien, für Investitionen der Wirtschaft in neue Techniken für CO2-arme Produktion und zur Unterstützung privater Haushalte bei der Wärme- und Mobilitätswende. Solche Unterstützung werde umso wichtiger "angesichts der sich nun zunehmend klarer abzeichnenden Risiken einer Strategie, die bei der Dekarbonisierung auf steigende CO2-Preise ohne ausreichende Flankierung mit unterstützenden Maßnahmen setzt".

Ein vom IMK gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft bereits 2019 errechneter zusätzlicher Investitionsbedarf von rund 460 Milliarden Euro über zehn Jahre für die Modernisierung und den Ausbau der traditionellen Infrastruktur und des Bildungsbereiches bestehe weitgehend fort, weil in den vergangenen Jahren nur wenige der damals aufgezeigten Lücken geschlossen worden seien, so IMK-Chef Sebastian Dullien.

"2024 sollte das Jahr sein, in dem wir aus der akuten Krise herauskommen. In dem wir die Folgen der Pandemie endgültig hinter uns lassen. Und in dem wir die Lehren aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und aus der Energiekrise in die Tat umsetzen, indem wir die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft forcieren", sagte er. "Stattdessen droht aktuell ein Ausfall der wirtschaftspolitischen Handlungsfähigkeit." Mit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts und der finanzpolitischen Reaktion darauf drohe "die Wirtschaftspolitik jetzt selbst einer Belastung für die Wirtschaft zu werden", warnte der Ökonom.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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