Nachricht
09:55 Uhr, 19.02.2024

IMK: Hohe Rezessionsgefahr bis ins zweite Quartal

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen auf bereits hohem Niveau noch leicht gestiegen. Das signalisiert der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Für den Zeitraum von Februar bis Ende April weist der Indikator eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 61,7 Prozent aus, wie das Institut mitteilte. Anfang Januar habe sie für die folgenden drei Monate 56,8 Prozent betragen. Gleichzeitig sei die statistische Streuung im Indikator, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, mit 18,8 Prozent trotz eines geringfügigen Rückgangs weiter hoch. Das Konjunktur-Frühwarnsystem zeige "rot", was für eine akute Rezessionsgefahr stehe, die bis ins zweite Quartal 2024 reicht.

Der leichte Anstieg des Rezessionsrisikos beruhe vor allem darauf, dass die Produktion im verarbeitenden Gewerbe nach den aktuellsten verfügbaren Daten vom Dezember nochmals gesunken sei. Weitere Negativfaktoren seien die zuletzt schwachen Einzelhandelsumsätze und ein gestiegener "Finanzmarktstress", den das IMK mit einem eigenen Indikator ermittle. Dieser Anstieg gehe unter anderem auf die aktuell überdurchschnittlich hohe Zahl an Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorpandemiestand zurück. Dass die Rezessionswahrscheinlichkeit nicht noch stärker gestiegen sei, liege daran, dass die Aufträge an das verarbeitende Gewerbe zuletzt zugenommen hätten.

Diese positive Entwicklung sollte aber nicht überschätzt werden, warnte IMK-Konjunkturexperte Thomas Theobald. Denn sie sei vor allem auf Großaufträge im Flugzeugbau zurückzuführen, die üblicherweise die konjunkturelle Grunddynamik weniger gut widerspiegelten. "Einige wichtige Rahmenbedingungen verbessern sich aktuell eigentlich: Die Inflation ist deutlich rückläufig, was zu einer absehbar stärkeren Entwicklung der realen Einkommen in Deutschland führt. Parallel steigt die Erwartung, dass demnächst die hohen Leitzinsen zumindest moderat gesenkt werden", sagte Theobald. Auch scheine sich die Nachfrage nach Investitionsgütern bei wichtigen Handelspartnern wieder zu beleben.

Grundsätzlich bestehe daher die Hoffnung, dass sowohl der private Verbrauch als auch die Exporte im Jahresverlauf moderate Wachstumsimpulse für die deutsche Wirtschaft liefern könnten. Allerdings laufe gleichzeitig eine Art Rennen gegen die Zeit - je länger die Konjunkturschwäche andauere, desto stärker drohe sie trotz Fachkräftemangels spürbar auf den Arbeitsmarkt durchzuschlagen. "Mit jedem Monat wächst das Risiko, dass die konjunkturelle Hängepartie, die wir seit mehreren Quartalen erleben, in eine chronische Wachstumsschwäche umschlägt", warnte IMK-Chef Sebastian Dullien.

In dieser Situation seien sowohl von der Europäischen Zentralbank (EZB) als auch von der Bundesregierung positive Signale gefordert: "Die EZB sollte möglichst bald die Zinsen senken. Und die deutsche Politik sollte realistische, schnell wirksame Maßnahmen auf den Weg bringen", forderte der Ökonom. Dazu gehörten erweiterte Abschreibungsbedingungen für Unternehmen, wie sie im Wachstumschancengesetz vorgesehen seien, und eine klare Perspektive, dass die Schuldenbremse künftig nicht mehr dringend nötige öffentliche Investitionen ausbremsen könne. "Was hingegen nicht hilft, wären weitere Diskussionen um eine Streichung des Solidaritätszuschlags", sagte er.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

DJG/ank/apo

Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.