Kommentar
10:00 Uhr, 12.05.2008

Hüten Sie sich vor Selbsttäuschung

Sehr geehrte Privatanleger,

letzten Samstag war ich auf der Hauptversammlung von Berkshire Hathaway in Omaha. Warren Buffett und Charlie Munger sind so fit wie immer und denken nicht daran, aufzuhören. Seit einem Jahr investiert Buffett in stark erhöhtem Tempo die Liquidität von Berkshire, aber jede Woche fließen fast 200 Millionen Dollar zu, so dass er immer noch Liquidität von 40 Milliarden Dollar hat.

Buffett und Munger erkennen beide die Schwere der jetzigen Finanzkrise an, aber Buffett sagt, dass er keine zehn Cent aufgrund von makroökonomischen Vorhersagen investiert. Findet er ein gutes Unternehmen zu einem guten Preis, kauft er. So einfach ist das.

Auf dem Rückflug von Omaha nach New York las ich das Buch „Schwarzer Schwan“ des Philosophen und Traders Nassim Nicholas Taleb. Über einen Punkt möchte ich heute schreiben. Nächste Woche werde ich Ihnen interessante Ideen aus Omaha berichten.

Taleb weist darauf hin, dass Aktienkurse kurz- und mittelfristig unvorhersehbar sind. Nehmen wir an, sie haben sich eine Aktie angesehen, aber nicht gekauft. Kurz danach steigt die Aktie massiv an. Die Sache beginnt, an Ihren Nerven zu zerren. Im Nachhinein scheinen die Erklärungen klar – die Gewinne steigen an, die Zinsen sinken oder was auch immer.

Oder – noch beunruhigender – die Kurse sinken, nachdem sie eine Aktie gekauft haben. Auch hier gibt es im Nachhinein viele Erklärungen. Vielleicht sind die Gewinne gefallen, oder die Börse hat insgesamt eine Korrektur durchgemacht.

Unser Gehirn sucht im Nachhinein solche Erklärungen, um der ganzen Sache einen Sinn zu geben. Und sie stehen vor sich selbst als Idiot da, wenn Sie diesen Erklärungen, die ihr Gehirn produziert, glauben. Dabei war es VORHER überhaupt nicht klar.

Noch täuschender sind Medienberichte. Taleb gibt folgenden Beispiel: Nach der Gefangennahme von Saddam Hussein im Dezember 2003 brachte Bloomberg um 13 Uhr 01 die folgende Schlagzeile: „Amerikanische Schatzanleihen steigen; die Gefangennahme von Hussein könnte den Terrorismus nicht eindämmen“. Nachdem die Schatzanweisungen im Preis fielen (die Rendite stieg), lautete die Schlagzeile um 13 Uhr 31: „U.S. Schatzanleihen fallen; die Gefangennahme von Saddam Hussein könnte die Attraktivität riskanter Anlagen steigern“. Innerhalb einer halben Stunde lagen also andere Fakten vor, und die Erklärung drehte um 180 Grad.

Hüten Sie sich vor im Nachhinein selbst produzierten Erklärungen und vor den Medien, die nach Taleb Meister darin sind, solche Erklärungen in industriellem Umfang zu produzieren! Der Kauf von Wertpapieren passiert immer unter Unsicherheit.

Ich kaufe, wie Buffett, Aktien, die billig sind. Wenn diese zunächst fallen, dann ist es eben so. Irgendwann wird der Markt den Wert dieser Papiere erkennen, und die Kurse werden steigen. Wenn wir im letzten Jahr angefangen haben, Aktien zu kaufen, dann, weil diese Aktie billig waren. Nun sind etliche Aktien, zum Beispiel Celesio (WKN: CLS100), noch billiger geworden. Für all diese Bewegungen können Sie im Nachhinein Erklärungen produzieren.

Wichtig ist aber, ob die Gründe zum Zeitpunkt des Kaufs valide waren, und das waren sie. Celesio ist zum Beispiel eines der besten deutschen Unternehmen und sehr aktionärsorientiert. Wir werden mit dem Kauf Geld verdienen, aber wir hüten uns davor, die zwischenzeitlichen Schwankungen mit nachträglichen Erklärungen zu kommentieren. Buffett macht es genauso.

Auf gute Investments,
Ihr

Prof. Dr. Max Otte

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