Handelsmaxime "Buy the Rumour - Sell the fact" dominiert, EZB in der Kritik …
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Der Euro eröffnet heute bei 1.5715, nachdem gestern im europäischen Geschäft Höchstkurse bei 1.5909 markiert wurden. In Fernost wurden im Rahmen der aktuellen Abschwächung des Euros Tiefstkurse bei 1.5674 realisiert. Der USD notiert gegenüber dem JPY bei 106.80 leicht befestigt. "Carry-Trades" zeigen sich in uneinheitlicher Verfassung. EUR-JPY hat an Boden verloren und notiert bei 167.80 (Höchstkurs gestern 169.13), während EUR-CHF sich stabil bei 1.6115 zeigt (Höchstkurs gestern 1.6142).
Bevor wir uns um die EZB-Ratssitzung und damit um den maßgeblichen Katalysator des gestrigen Marktgeschehens kümmern, wenden wir uns dem Datenbouquet des gestrigen Tages der Vollständigkeit halber zu.
- Der Einkaufsmanagerindex (Dienstleistung) der Eurozone per Juni enttäuschte leicht mit einem Rückgang von 50,6 auf 49,1 Punkte. Die Konsensusprognose und "Flash"-Schätzung war bei 49,5 Zählern angesiedelt.
- Die Einzelhandelsumsätze der Eurozone überraschten positiv mit einem Anstieg im Monatsvergleich um 1,2% (Prognose +0,5%). Damit stellte sich ein nominaler Anstieg um 0,2% im Jahresvergleich (Prognose -0,8%) ein.
Ergo lieferten die Daten der Eurozone ein ambivalentes Bild im Hinblick auf die Erwartungshaltung des Markts. Kontraktion im Dienstleistungssektor per Juni und marginal positive nominale (nicht reale!) Einzelhandelsumsätze können jedoch im Hinblick auf die zukünftige Konjunkturentwicklung nicht überzeugen!
Die Daten aus den USA boten noch nicht einmal Ambivalenz. Sie waren schlicht weg und ergreifend schwach.
- Die Arbeitslosenerstanträge nahmen in der Berichtswoche unerwartet von zuvor 388.000 (revidiert von 385.000) auf 404.000 (Prognose 384.000) zu.
- Die US-Arbeitslosenquote verharrte per Juni bei unverändert 5,5% (Prognose 5,4%)
- Die Beschäftigung außerhalb des Agrarsektors sank per Juni um 62.000 Jobs (Prognose -60.000). Darüber hinaus wurde der Wert per Mai von -49.000 auf -62.000 angepasst. Der Aprilwert erfuhr eine Revision von -28.000 auf -67.000!
- Der ISM-Dienstleistungsindex per Juni brach unerwartet von 51,7 auf 48,2 Punkte ein und signalisiert damit solide Kontraktion. Die Subindices spiegelten diese Entwicklung umfänglich.
Der Devisenmarkt reagierte bestenfalls unterproportional auf den belastenden Datenmix aus den USA. Der Aktienmarkt (Dow Jones) brachte es fertig, aus diesem Datengemenge einen Anstieg um 73 Punkte zu generieren. "Chapeau" …! Zusammenfassend bietet das Datengemenge aus Japan (letzte Nachrichten), der Eurozone und den USA ein Bild, das eine weitere zügige Abschwächung der Weltkonjunktur als wahrscheinlich erscheinen lässt.
Damit kommen wir zu der gestrigen EZB-Ratssitzung. Die EZB hat der Markterwartung entsprochen. Der Leitzins wurde um 0,25% auf 4,25% erhöht. Die EZB hat laut Herrn Trichet derzeit keinen Bias und es gibt keine Vorfestlegung der weiteren Zinspolitik. Der Markt hat die Einlassungen dahingehend interpretiert, dass die EZB ein Stück weit zurückgerudert hat. Die Marktreaktionen entsprachen in der Folge der Handelsmaxime "Buy the Rumour - Sell the fact". Das gilt für den gesamten Finanzmarkt.
Der gestrige Zinsschritt der EZB ist in meinen Augen ein Fehler. Es gab keine zwingende Notwendigkeit für diese Anpassung. Auch ohne diesen Schritt wäre der Ruf der EZB als nachhaltiger Inflationsbekämpfer umfänglich gewahrt worden. Im Gegenteil er wäre sogar noch unterstützt worden.
Im Hinblick auf das "Textbuch" der Zentralbanken ist der Zinsschritt fraglos vertretbar. Verbraucherpreise bei 4,00% erfordern auf ersten Blick Zinserhöhungen, wenn der Leitzins bei 4,00% verankert ist und man nicht subventionstechnisch a la US-Fed schiefe Ebenen in der Kapitalallokation forcieren will.
Es gibt jedoch Phasen, in denen das "Textbuch" bestenfalls die zweitbeste Handelsalternative aufzeigt. Genau das ist hier in meinen Augen aus nachfolgenden Gründen der Fall:
- Die Kernrate der Verbraucherpreise liegt bei 1,7% und drückt damit aus, dass es keinen endogenen Inflationsdruck gibt.
- Die Bilanzrezession im Finanzsektor wirkt sich grundsätzlich disinflationär oder deflationär aus.
- Die vom Mainstream nicht erwartete globale Konjunkturabschwächung, die auch Europa erreicht hat, wirkt auf keinen Fall inflationstreibend, sondern im Gegenteil disinflationär oder sogar deflationär.
- Die EZB-Zinspolitik ist im Rahmen von Zinserhöhungen vollständig ungeeignet, den Ölpreis nach unten zu treiben. Im Gegenteil! Vor der Ankündigung der EZB der Zinserhöhung Anfang Juni hatte die "Erkenntnis" der Fed, dass der hohe Ölpreis auch Funktion des USD-Abwertung sei und die daraus resultierende Ableitung, dass die USA damit der "Politik des starken USD" mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, dazu geführt, dass der USD sich befestigte und der Ölpreis von jenseits 135 USD bis auf 122 USD sank. Mit der Ankündigung des Zinsschritts durch die EZB wurde diese entlastende Tendenz vollständig konterkariert mit der Folge, dass binnen 36 Stunden der Ölpreis auf 138 USD katapultiert wurde. Zentralbanken sind gut beraten, eine gewisse Sensibilität für Marktkorrelationen zu entwickeln, um ihren Zielen nachzukommen. Das war hier offensichtlich nicht der Fall!
- Mit dem gestrigen Zinsschritt reagiert die EZB auf eine Ölblase, dessen Fundament durch die globale Konjunkturabkühlung zunehmend erschüttert wird.
- Die Divergenz der ökonomischen Entwicklungen zwischen Nord- und Südeuropa wird durch den gestrigen Zinsschritt und die bereits zuvor ausgelöste Euro-Befestigung verstärkt.
- Das durch den Zinsschritt gesendete Signal wirkt sich belastend und nicht verstetigend auf die sich ohnehin abschwächende Konjunktur aus.
Obige Argumente wurden offensichtlich vom EZB-Rat für wenig Ziel führend erachtend. Das ist in meinen Augen bedauerlich. Fakt ist jedoch, dass nicht nur Politiker das Recht haben, Fehler zu machen.
Heute steht der Auftragseingang der Industrie in Deutschland per Mai auf der Agenda. Analysten unterstellen einen Anstieg um 0,7% nach dem Rückgang um 1,8% im Vormonat. Nach fünf Monaten mit Rückgängen in Folge, ist nicht auszuschließen, dass es zu einem Anstieg kommen kann. Die Erfahrung der letzten 5 Monate macht jedoch auch deutlich, dass optimistische Erwartungen regelmäßig enttäuscht wurden. Die Zahlenreihe ist volatil. Überraschungspotential ist auf beiden Seiten gegeben.
Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das eine neutrale Haltung in der Parität EUR-USD favorisiert. Erst ein nachhaltiges Unterschreiten der Unterstützung bei 1.5600 oder ein nachhaltiges Überwinden der bisherigen historischen Höchstmarken oberhalb von 1.6018 eröffnet neue Opportunitäten.
Viel Erfolg!
Folker Hellmeyer
Chefanalyst der Bremer Landesbank
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