Kommentar
09:51 Uhr, 23.11.2011

Hallo Frau Merkel - die Lage ist KRITISCH!

Bisher hat unsere Kanzlerin in Anbetracht der Umstände und Restriktionen relativ geschickt agiert und taktiert. Es war völlig richtig, dem frühen Drängen nach Eurobonds nicht nachzugeben. Es war korrekt zu betonen, dass die Lösung von Schuldenproblemen über die Druckerpresse die Probleme an sich nicht löst. Und es war eine angemessene Aussage, dass jeder Staat zunächst für sich selbst verantwortlich ist und es keine Kollektivhaftung für Schulden geben darf.

Die Tatsache, dass Italien heute nicht mehr von Berlusconi, sondern einem Wirtschaftsexperten geführt wird, ist der Kombination folgender Tatsachen geschuldet: Druck der Märkte über steigende Renditen und die Härte von Angela Merkel.

Nun sind wir aber an einem äußerst kritischen Punkt angekommen: Die Märkte vertrauen niemandem in Europa mehr – niemand außer Deutschland und ein paar Kleinstaaten. Noch, muss man betonen. Die „Ansteckung“ Frankreichs liegt in der Luft, und dann wird eines Morgens Deutschland aufwachen und feststellen, dass auch die Renditen der Bundesanleihen steigen.

Wenn diese Krise erst mal richtig Dynamik bekommt und absehbar ist, dass wir in eine massive Rezession schlittern, dann wird man sich zu Recht fragen, ob Deutschland eigentlich wirklich so ein sicherer Hafen ist, wie die niedrigen Renditen signalisieren. Insbesondere dann, wenn Italien seine Schulden nicht refinanzieren kann und die Banken europaweit deleveragen müssen. Und danach sieht es aus, wenn keine der schweren Waffen der EZB zum Einsatz kommt.

Man muss an dieser Stelle hervorheben: Es geht eigentlich gar nicht mehr um die Frage, wie viel neue Schulden ein Staat macht oder machen darf. Italien muss 2012 rund 400 Mrd. EUR beschaffen, nur um alte, fällig werdende Schulden abzulösen. Auch Deutschland muss einsehen, dass guter Wille der Regierung alleine dafür nicht mehr reicht. Die Marktteilnehmer wollen dieses Risiko ganz einfach nicht eingehen. Das hat meines Erachtens mit Spekulation gar nichts zu tun. Es ist die pure Angst. Fragen Sie sich doch selber mal, ob sie sich an Anleihen der Krisenländer herantrauen! Da kann Herr Monti viel von Sparpaketen erzählen – bis er sich beweisen kann, ist es zu spät.

Um es mal auf den Punkt zu bringen: wenn Deutschland weiter nein zu allen Lösungsansätzen sagt und die EZB sich nicht alleine traut, massiv einzugreifen, dann wird sich die Situation NICHT stabilisieren. Es ist absolut wichtig, den Spardruck auf die Staaten aufrechtzuerhalten, gleichzeitig müssen sie aber solange gestützt werden, bis das Vertrauen wieder einkehrt. Der Rettungsschirm EFSF ist dafür ein untaugliches Instrument und ist bereits eine Lachnummer am Markt. Da Deutschland verständlicherweise die Eurobonds zumindest jetzt noch nicht will, ist die EZB somit die einzige Instanz, die wirksam eingreifen kann.

Natürlich blutet einem Stabilitätsfreund das Herz bei diesem Gedanken. Aber so wie es jetzt aussieht, ist die Alternative zur Erhöhung der Geldmenge durch die EZB eine massive Kontraktion der Geldmenge durch den Abbau von Aktiva durch das Bankensystem. Ich erzähle Ihnen sicher nichts neues, dass an Wachstum unter solchen Voraussetzungen nicht im Traum zu denken ist. Und dann könnte eine Wiederholung von 2009, mit minus 5% BIP, durchaus realistisch sein.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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