Kommentar
08:02 Uhr, 20.04.2016

Globale Wachstumsschwäche - wird das chronisch?

Das globale Wachstum ist moderat. Viele Ländern halten sich gerade so über Wasser, andere befinden sich in schweren Rezessionen. Woran liegt das nur?

Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt schon seit Monaten vor einer globalen Wachstumskrise. Diese Warnungen kommen in einem Umfeld, in dem sich das Wachstum in China zu stabilisieren scheint und sich die schweren Rezessionen in Ländern wie Brasilien und Russland langsam zurückbilden. Es ist nicht nur der IWF der warnt. Auch Notenbanken und Politiker sind besorgt.

Diese Sorge ist nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen. In den USA haben wir de facto Vollbeschäftigung. In Deutschland war die Arbeitslosenrate seit der Wiedervereinigung nicht mehr so niedrig. Japan schleppt sich zwar von einer Rezession zur nächsten, doch auch hier ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit knapp 20 Jahren nicht mehr.

Es mutet schon etwas merkwürdig an, dass die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern auf dem Rückzug ist, das Wachstum jedoch kaum über der Null liegt. Die USA zeigen sich im Vergleich mit Wachstumsraten von gut 2 % hochdynamisch. Deutschland ist mit einem Wachstum von knapp 2 % kurz vor der Überhitzung. Da stimmt doch etwas nicht...

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Keiner kann mit absoluter Sicherheit sagen, woran das liegt. Keiner kann das Rätsel um sinkende Arbeitslosigkeit bei blutleerem Wachstum genau erklären. Man kann aber gut darüber spekulieren und ein Erklärungsansatz macht besonders viel Sinn. Es handelt sich dabei um das Produktivitätswachstum.

Grafik 1 zeigt das Produktivitätswachstum von Japan, Deutschland und China im Vergleich. In den 60er Jahren war das Produktivitätswachstum in Deutschland und Japan konsequent hoch. Das relativierte sich während der 70er Jahre und seit den 80er Jahren kommt die Produktivität nicht mehr vom Fleck.

In China verhält sich die Lage etwas anders. Hier gab es schwere Rückschläge bis Mitte der 70er Jahre. Danach begann das Produktivitätswachstum rasant anzusteigen. Seit der Finanzkrise ist es nun jedoch auf sehr niedrigem Niveau und scheint dort zu verharren. Das ist ein Merkmal vieler Märkte. Grafik 2 zeigt das Produktivitätswachstum als Index für 8 Länder.

Aktuell gibt es nur einen Markt, der ein sich beschleunigendes Produktivitätswachstum ausweist. Das ist Indien. In China stagniert das Wachstum. Japan und Deutschland verzeichnen seit über 20 Jahren unterm Strich ein Nullwachstum. Selbst Entwicklungsländer wie Argentinien können sich nicht durch hohes Wachstum hervortun. Das gilt übrigens nicht nur für Argentinien, sondern auch andere Entwicklungsländer. In Brasilien ist das Produktivitätswachstum tendenziell negativ.

Wenn die Produktivität nicht steigt, sondern stagniert oder sogar sinkt, dann braucht es schlicht und ergreifend mehr Beschäftigte, um mehr zu produzieren. Hat eine Wirtschaft einen Output (Wirtschaftsleistung) von z.B. 100 Mrd. Euro und will um 2 % auf 102 Mrd. wachsen, dann geht das bei stagnierender Produktion pro Arbeitnehmer nur, wenn mehr Menschen arbeiten.

Genau dieses Phänomen erleben wir gerade fast überall auf der Welt. Die Arbeitslosigkeit sinkt, aber der Output steigt kaum. Das liegt an mangelndem Produktivitätswachstum. Will eine Wirtschaft überproportional schnell wachsen, dann geht dies nur, wenn der Output pro Person steigt. Typischerweise lässt sich das Beschäftigungsniveau innerhalb eines Jahres nicht um mehr als 2 % steigern. Wer mehr als 2 % wachsen will, muss produktiver werden.

Oftmals wird stagnierende Produktivität mit einer überalternden Bevölkerung assoziiert. Innovation und Produktivitätswachstum fällt einer Gesellschaft umso schwerer, je älter sie im Durchschnitt ist. Das kann jedoch nicht das alles erklärende Argument sein. In China altert die Bevölkerung rapide und dennoch ist das Produktivitätswachstum nach wie vor hoch.
Ein anderer Aspekt ist der Wandel vieler Wirtschaften von der Produktion hin zu Dienstleistungen. Im Dienstleistungsbereich ist das Produktivitätswachstum generell geringer. Die Anzahl an Haarschnitten, die ein Friseur an einem Tag bewältigen kann, lässt sich auch mit einer besseren Ausrüstung und Ausbildung kaum steigern.

Dem widerspricht der Fall Indien. Indien ist eine Dienstleistungsgesellschaft und gerade hier wächst die Produktivität besonders stark. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist die Bevölkerung in Indien jedoch jung und wachsend. Man kann das Rätsel um das abflachende Produktivitätswachstum nicht gut erklären. Immerhin erklärt das abflachende Produktivitätswachstum das Rätsel um sinkende Arbeitslosigkeit bei blutarmem Wachstum.

Wenn IWF und Notenbanken höheres Wachstum in der Welt wollen, dann hilft nicht die Druckerpresse der Notenbanken. Es braucht Produktivitätswachstum. Dieses lässt sich natürlich nicht verordnen, weder durch Zentralbanken noch durch die Politik. Die Welt hat schon früher Phasen geringen Produktivitätswachstum erlebt. Die Welt ging dabei durch Phasen langsamen Wirtschaftswachstums und einem Abwechseln von moderater Inflation und Deflation. Es ist nicht das erste Mal, dass wir das erleben.

Früher wurden solche Phasen von bahnbrechenden Innovationen beendet. Dazu gehörte etwa der Einsatz der Dampfmaschine, die die Produktivität massiv steigerte. Ohne die nächste technologische Revolution wird eine Rückkehr zu hohen Wachstumsraten sehr, sehr schwierig.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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