Kommentar
12:42 Uhr, 02.11.2009

George Soros hat ein neues Angriffsziel

George Soros, der Fleisch gewordene, amerikanische „Ich werde vom Tellerwäscher-zum-Milliardär“-Traum aus Ungarn hat ein neues Angriffsziel: Die Volkswirtschaftslehre.

Anfang der 90er Jahre zerlegte er die Bank of England und zwang das britische Pfund in die Knie. Später trieb er mit seinen Währungsspekulationen u.a. Malaysia an den Rand des Untergangs. Offiziell und vielleicht auch tatsächlich zum Gutmenschen konvertiert, profiliert sich Soros seit Jahren als scharfer Kritiker des modernen Finanzkapitalismus bzw. des vorherrschenden Systems, das auf diesen Namen hört. Einen durchaus interessanten wirtschaftswissenschaftlichen Beitrag leistete er mit seiner „Reflexivitätstheorie“, die – und da hat er meiner Ansicht nach Recht – die absurden Annahmen der modernen Volkswirtschaftslehre theoretisch und empirisch widerlegt.

Beispiel Aktien-oder Devisenmärkte: Theoretisch gibt es hier einen „fairen Preis“, um den herum sich „zufällige“ Abweichungen ergeben (Random-Walk-Theorie). Der Random Walk ist schon wegen der offensichtlichen Anwesenheit starker Trends ein Unsinn, aber Soros geht noch weiter: Er sagt, die Marktteilnehmer rechnen nicht nur passiv einen Wert aus, sondern handeln aufgrund von Erwartungen: hinsichtlich der Entwicklung der Unternehmen, Devisen und Märkte UND bezüglich der Erwartungen anderer Marktteilnehmer. Das kann wiederum die Märkte andersherum beeinflussen. Ich will Ihnen das am Beispiel einer hoffnungsvollen Aktie erläutern: Nehmen wir an, wir haben ein junges Unternehmen mit einer Spitzentechnologie, aber ohne Geld. Die Anleger, in Erwartung 1. einer positiven Zukunft des Unternehmens und 2. dass andere Marktteilnehmer es ähnlich sehen werden, treiben den Kurs in absurde Höhen, wo die Gesellschaft dann eine riesige Kapitalerhöhung durchführen kann. Erst mit DIESEM Geld kann sie dann die Pläne verwirklichen, auf denen die ganze Erwartungshaltung basierte…REFLEXIVITÄT.

Die moderne Makroökonomie vertritt den Grundgedanken, dass man Märkte am besten sich selber überlassen sollte. Hier sagt Soros: STOP, ganz offensichtlich geht das nicht bzw. führt in die Katastrophe. Vielleicht ist ein Mitauslöser der Finanzkrise die Ausstattung eines Heeres von Wirtschaftswissenschaftlern (die in Geschäftsbanken, Unternehmen, Regierungen und Notenbanken sitzen) mit falschen theoretischen Annahmen? Ein neuer ökonomischer Think Tank muss also her: Das „Institute for New Economic Thinking“. 50 Mio. USD steckt Soros in das INET. Im Frühjahr 2010 soll eine erste große Konferenz zur Finanzkrise in Cambridge stattfinden. Immerhin geben die Verantwortlichen (zu denen auch etliche Nobelpreisträger gehören) nicht vor, die Antworten auf alle Fragen zu haben. Aber sie wollen zu neuem Denken inspirieren. Und das ist wirklich höchste Zeit: Kaum eine wissenschaftliche Disziplin wirkt so angestaubt wie die Volkswirtschaft.

Daniel Kühn - GodmodeTrader.de / BörseGo AG

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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