Kommentar
09:00 Uhr, 15.08.2007

George Orwells „1984“ rückt näher!

Von der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbeachtet sind in den letzten Tagen Ver¬schärfungen bei der Überwachung unbescholtener Staatsbürger eingeführt worden, die den bereits vor einigen Jahren begonnenen Trend der Einschränkungen der per¬sönlichen Freiheit des Einzelnen fortführen: Die Rede ist zum einen von den seit 15. Juni geltenden neuen Deklarationspflichten und Bargeldkontrollen an den Staatsgren¬zen und zum anderen von den ab 1. Juli vergebenen Identifikations¬nummern für alle 82 Millionen Bürger in Deutschland.

Vor wenigen Tagen und unbemerkt von den allermeisten Bürgern sind weitere Ver¬schärfungen der Grenzkontrollen eingeführt worden: So gelten ab dem 15. Juni stren¬gere Regeln für Bargeldtransfers. Wer mit 10.000 Euro oder mehr in die Schweiz (oder auch wieder hinaus will), muß an der Landesgrenze die Zöllner von sich aus über seine Absichten informieren und ein zweiseitiges Formular ausfüllen, samt genauer Angaben zur Herkunft und Verwendung des Geldes. Bisher waren 15.000 Euro er¬laubt und höhere Beträge mußten nur auf Nachfrage der Zöllner de¬klariert werden. Die Anmeldepflicht besteht nicht nur für Bargeld, sondern auch für leicht konvertier¬bare Werte wie Inhaberschecks, Reiseschecks, Obligationen, fällige Zinskupons, Ak¬tien, usw. Erfolgt der Länderwechsel innerhalb der Länder der Euro¬päischen Union, so sind zusätzlich noch Edelmetalle und Edelsteine anzugeben. Bei Mißachtung dieser Mel¬devorschriften drohen Bußgelder bis zu einer Million Euro!

Und auch die zweite Änderung der letzten Tage paßt in den Trend der zunehmen¬den Kontrolle des Einzelnen durch die Staatsmacht. Vor 25 Jahre protestierten zahlreiche Datenschützer in Deutschland, als die damalige Bundesregierung eine Volkszählung organisieren wollte. Die Furcht in der Bevölkerung vor einem Staat, der alles weiß und der alles überwacht, war groß im Jahr 1982. Und heute? Im Ver¬gleich zu den damaligen Pro¬testen müßte jetzt ein Aufschrei der Entrüstung durch die Lande gehen, denn ab dem 1. Juli erhalten alle Bürger eine Identifikationsnum¬mer – vom Baby bis zum Greis.

Mit dem Code für Jedermann perfektionieren die Behörden ihr System der massen¬haften Datensammlung. Egal, ob Kapitalerträge, Rentenbezüge oder Auslandsin¬vest¬ments, den Ermittlern ist demnächst alles zugänglich. Die persönliche Steuer¬identifi¬kationsnummer (ID-Nummer oder auch TIN genannt) vergibt das Bundes¬zentralamt für Steuern (BZSt) in Bonn. Diese neue Nummer löst die bisherige Steu¬ernummer ab und hat elf Ziffern. Dahinter verbergen sich der vollständige Name, Titel, Anschrift, Ge¬schlecht, Geburtstag und -ort und das zugehörige Finanzamt. Sie wird zentral verwal¬tet und erst 20 Jahre nach dem Tod des Bürgers wieder ge¬löscht. Die Identifikations¬nummer wird mit einer ganzen Reihe weiterer Informatio¬nen verknüpft und auch ande¬ren Behörden wie zum Beispiel Sozialamt, Arbeitsamt, Bafög- und Wohngeldstellen zugänglich sein. Das Finanzministerium in Berlin macht keinen Hehl daraus, daß wei¬tere Schritte folgen werden: So sei beispiels¬weise geplant, die ID-Nummer für die ge¬samte Kommunikation des Steuerpflichti¬gen mit Banken, Versicherungen oder Arbeit¬gebern zu verwenden.

Viele Bürger werden sich in nächster Zeit wundern, in wessen Händen ihre Steuer¬erklärung noch landen wird, denn „die Erfahrung zeigt, daß Datensammlungen, die für einen bestimmten Zweck angelegt wurden, schnell weitere Begehrlichkeiten wecken“ Es ist schon erstaunlich, wie wenig Widerstand aus der Bevölkerung der immer deutlicher werdenden gesetzgeberischen Tendenz entgegengesetzt wird, im Kampf gegen Terrorismus, Kriminalität und Mißbrauch staatlicher Leistungen die Grundrechte der einzelnen Bürger fortlaufend weiter einzuschränken.

Sarkastisch formuliert es das Unternehmerportal www.mittelstandswiki.de: „Ab 1. Juli 2007 legt der Fiskus Unternehmen und natürlichen Personen neue Halsbän¬der um: eindeutige und unveränderliche Identifikationsnummern, die dem Bundes¬zentralamt für Steuern eine deutschlandweit einheitliche Erfassung ermöglichen.“ Wenigstens habe die Bundesregierung von einer Etikettierung der Bürger mit Hilfe der Radio Fre¬quency Identification (RFID) noch einmal abgesehen, liest man dort. Diese Technik verleiht Gegenständen und Lebewesen eine eindeutige Identität, die per Funk abge¬rufen werden kann. So wäre es theoretisch möglich, daß Bürgern ir¬gendwann ein Chip unter die Haut gepflanzt werden kann, mit denen der Staat alle relevanten Informatio¬nen abrufen kann. Aber auf so eine abstoßende Idee für eine totale Überwachung kam nicht einmal George Orwell in seinem Werk „1984“!

Quelle: Portfolio-Journal.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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